Sexprozess: "Habe mich geschämt"

Von Susanne Will
Justizia. Foto: Arne Dedert/dpa Foto: red

Angenommen, sie sagt die Wahrheit. Angenommen, es stimmt, dass ihr Vater sie seit ihrer Kindheit missbrauchte, sie später vergewaltigte. Angenommen, sie muss das Gericht genau davon überzeugen. Dann hätte die 48-Jährige in ihrer 14. Vernehmung keinen Zweifel hinterlassen: Hier sitzt ein Opfer. Aber da es Zweifel an den Abläufen der Taten gibt, wird sie erneut vernommen. Auf Empathie von der Richterbank kann sie nicht hoffen. Vor allem der beisitzende Richter Yves Döll nimmt die Hauptzeugin in die Mangel.

 
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Alleine kann die Frau den Schwurgerichtssaal nicht betreten. Ihr zur Seite steht und sitzt quasi als Bollwerk zum Vater (71) und dessen Verteidiger ein Mitarbeiter des Weißen Ringes. Er wird später sagen, die Frau habe ihm fast die Hand zerquetscht.

Zeugin suchte Hilfe in Klinik

Die Frau sieht übernächtigt aus, ihre Schritte sind unsicher, sie sucht zu keinem, außer dem Vorsitzenden Richter, Blickkontakt. Sie kommt direkt aus einer psychosomatischen Klinik, vergangene Woche hatte sie noch als verhandlungsunfähig gegolten. Angeklagt in dem Prozess ist der Vater, dem vorgeworfen wird, er habe sie und auch die Enkeltöchter missbraucht. Daneben eine Freundin der Enkeltochter und seine Exfrau (wie berichtet). Es ist der 25. Verhandlungstag in diesem Mammut-Prozess.

Alles nur "Theater"?

Die Hauptbelastungszeuging wird diesen Tag nicht durchstehen. Ob das alles nur „Theater“, also einstudiert ist, wie der Verteidiger es sieht, wird das Gericht beurteilen müssen.

Wer allerdings schon einmal nachgewiesene Opfer sexuellen Missbrauchs vor Gericht erlebt hat, sieht in den Aussagen Parallelen zu dieser Hauptbelastungszeugin. Es kommen Details aus der polizeilichen Vernehmung zur Sprache.Das Thema: Ob die Drohung des mutmaßlichen Täters, er werde ihr den Geldhahn abdrehen, größer war als die Gewalt, die er bei den angezeigten Vergewaltigungen ausübte. „Ich habe“, sagte sie damals, „keine Knochenbrüche, keine Narben, keine Beweise“, das ist die Krux jedes Vergewaltigungsopfers. In ihrem Fall noch viel schlimmer: Sie hat zum einen das Geld, das er ihr für die Übergriffe gab, angenommen, zum anderen sich auch deshalb nicht gewehrt, weil sich fürchten musste, ohne ein Stillhalten würde ihr der schwerreiche Vater tatsächlich nicht mehr helfen. Und still scheint sie - wie viele Opfer - schon seit Kindertagen gehalten zu haben. „Für mich“, sagt sie später, „war es so selbstverständlich, dass er die Macht hatte.“

"Ich habe mich geschämt"

Dass sie der ermittelnden Polizistin scheibchenweise erst nur von den angedrohten finanziellen Konsequenzen berichtete und später erst, dass er drohte, sich auch an den Töchtern zu vergreifen, begründet sie so: „Ich habe mich geschämt.“ Opfer berichten immer wieder von der Grausamkeit, sich vor einem Fremden über das Berichten von Details buchstäblich nackig zu machen.

Richter Döll will Details

Der Beisitzende Richter Yves Döll will die Details wissen. Er bohrt weiter, Empathie hat bei ihm scheinbar keinen Platz, er fragt immer wieder nach, ob sie sich an diese oder jene Aussage erinnern könne. Und dann platzt es aus ihr heraus, es ist das erste Mal, dass sie trotz tränenerstickter Stimme deutlich zu hören ist: „Ich hab mich einfach nicht getraut, das mit den Kindern zu sagen.“

Nicht mehr vernehmungsfähig

Die Frau kann sich nach drei Stunden Vernehmung nicht mehr konzentrieren, sie wirkt, als habe sie keine Kraft mehr. Nach einer Pause hält sie sich nicht mehr für vernehmungsfähig. Der Staatsanwalt sagt später, dass er ihren „Stierblick“ bemerkt habe. Für Verteidiger Johann Schwenn alles ein „Theater“ einer „lügenden Zeugin“. Schwenn fordert, dass ihr künftig ein Psychiater an der Seite sitzt, der professionell „und nicht laienhaft“ wie der Staatsanwalt die Vernehmungsfähigkeit der Frau beurteilt. Der Prozess wird heute fortgesetzt.

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