BAT: Verhandlungs-Endspurt

Von Susanne Will
Eine Woche lang haben BAT-Mitarbeiter Mahnwache vor dem Gebäude gehalten. Rund um die Uhr. Am Montag brachte Ute Seibel von der Maisel-Gastsätte in St. Johannes eine Brotzeit vorbei. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Am Mittwoch laufen die Verhandlungen für einen Sozialplan bei der BAT aus. Und die 950 Menschen, die ihre Jobs verlieren werden, wissen, wie ihre Zukunft aussieht: Neuanfang, Arbeitsamt, Abfindung oder Vorruhestand. Eine Woche lang mahnten die Beschäftigten mit einer Wache vor den Toren der BAT. Rund um die Uhr. Sie prangerten Profitgier an und dass aus 950 Einzelschicksalen nackte Zahlen einer Firmen-Bilanz wurden. Sie weinten zusammen. Und sie lachten zusammen.

 
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Ute Seibel und ihr Lebensgefährte Stefan Hanus haben Ruhetag in ihrer Gaststätte „Maisel“ in St. Johannes. Die beiden standen dennoch in der Küche, brieten Hamburger, belegten Brötchen, rührten Nachspeisen an. Am Abend fuhren sie das Essen vor das BAT-Gebäude. „Das ist Nervennahrung für die Mahnwache. BAT geht jeden Bayreuther an“, sagen sie kurz. Es sind auch ihre Kneipen-Gäste, die sich vielleicht später den Gaststättenbesuch nicht mehr leisten können.

Solidarität der Bayreuther

Die rund 15 Männer und Frauen, die sich im vier-Stunden-Rhythmus rund um die Uhr abwechseln, greifen zu. Hungrig und glücklich darüber, dass jemand an sie denkt. Ute Seibel und Stefan Hanus sind nicht die einzigen. „Landwirte bringen uns Holz für die Feuertonne, immer wieder kommen Bayreuther vorbei, unterhalten sich mit uns und spenden ein wenig Geld.“ Das sind die Situationen, in denen BAT-ler glauben: Wir werden nicht vergessen. Eine Frau Anfang 50: „Wir wollten mit der Aktion ja erreichen, dass wir gesehen werden. Dass wir mehr sind als nur die Zahl 950.“

"Es war ein Privileg, bei BAT zu arbeiten"

950 Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Eine Arbeit, mit der sich fast alle der BAT-Mitarbeiter identifiziert haben. Eine junge Frau, die gerade ein Jahr dabei ist: „Als ich meinen Freunden erzählte, dass ich bei BAT anfange, meinten die: Jetzt hast du es geschafft.“ Ein Mann in Latzhose: „Ja, es war ein Privileg, bei BAT zu arbeiten. Wenn du eine Wohnung gesucht hast: Der BAT-ler hat sie gekriegt. Wenn du einen Kredit gebraucht hast: Die Bank hat sie einem BATler gegeben. Diese Sicherheit ist jetzt weg.“

Jahrelang ist der Großkonzern als guter Arbeitgeber ausgezeichnet worden. Das vergessen sie hier in der großen Runde nicht. Einer steht auf und schlägt die Mahnglocke zur vollen Stunde. „Wir hatten bis zum 14. Juli einen tollen Arbeitgeber: sehr sozial. Und wir wurden sehr gut bezahlt.“

Der 14. Juli: ein "Schock"

Den 14. Juli beschreiben sie alle mit einem Wort: „Schock.“ Eine Frau ging nach Hause, putzte wie eine Besessene und zertrümmerte danach Fliesen im Badezimmer. Der Schock des Arbeitsplatzverlustes hat einigen buchstäblich den Boden unter den Füßen weggerissen. Umso grotesker kommt ihnen heute die Situation vor, die sie an diesem Tag vorgefunden hatten. „In der Halle, in der sie es verkündeten, war alles voll mit Sicherheitsleuten. Und die Stühle waren aneinandergebunden. Dachten die etwa, es gibt Randale?“, erinnert sich eine Frau. Wenn das überhaupt jemand vorgehabt hätte: Es scheint, als ob dazu die Kraft gefehlt hätte. „Ich bin in ein so großes Loch gefallen, dass ich nicht wusste, ob die Leiter lang genug sein wird, um da wieder rauszukommen.“ Ihre Zukunft war ihr bis dahin klar: Ich bleib‘ bis zur Rente bei BAT. An jenem Donnerstag legte sie sich ins Bett. Blieb dort bis Samstag. „Am Sonntag hab ich gesagt: So, ich lasse es auf mich zukommen.“

"Meine Zweitfamilie"

Das wird für sie ab heute heißen: Bewerbungen schreiben. „Ich möchte in die Transfergesellschaft. Die letzte Bewerbung habe ich vor 20 Jahren geschrieben, an BAT. Ich weiß gar nicht mehr, wie das geht.“ Täglich acht Stunden mit den Kollegen, das „ist meine Zweitfamilie“, dass die auseinander bricht ist für sie so schlimm wie der Jobverlust. Das ist immer wieder zu hören: Die Erinnerung an die große Familie. Die auch jetzt füreinander da sei. „Wir lachen. Und wir weinen miteinander“, eine Frau hat auch starke Männer weinend zusammenbrechen sehen. Die Umarmung von jemandem, der genau weiß, wie es dem Gebeutelten jetzt geht, hilft. „Fürchterlich sind die Schicksale von Familienvätern“, sagt die Frau. „Einer hat drei Kinder, davon ist eines krank. Er ist Alleinverdiener. Dem sollte der Geschäftsführer mal in die Augen sehen.“

"Jetzt stehen wir vor einem großen Loch"

Eine 50-Jährige genießt den Burger von „Maisel“. Morgen, am Donnerstag, ist sie auf den Tag genau 33 Jahre bei BAT. Hat hier gelernt. Hat hier ihre große Liebe getroffen. Mit dem Geld, was das Paar verdiente, haben sie drei Kinder großgezogen. „Jetzt stehen wir vor einem großen Loch.“

Der Protest der Kinder

Mit Schicksalsschlägen geht jeder anders um. So auch die beiden. „In den ersten zwei Wochen haben wir wenig miteinander geredet, jeder verarbeitete es anders. Was toll ist: Unsere Kinder haben uns Unterstützung zugesagt.“ Wobei, sie denkt nach, es solle ja nicht so sein, dass die Kinder für die Eltern sorgen, nicht schon mit 50. „Die Kinder sind groß. Wir wollten jetzt ein kleines bisschen Luxus für uns haben: Mal in ein Hotel, nicht immer campen.“ Die Träume sind vorbei. Ferienpläne auch. Dafür macht sich die Angst vor Altersarmut breit. Die 50-Jährige hat Schiss vor dem heutigen Tag. „Ich vermute, dass ich nach Verkündung des Sozialplanes noch einmal in ein großes Loch falle. Man bekommt einfach keine Übung mit solchen Schlägen.“ Die Kinder rauchen jetzt Zigarettenmarken, die nicht in Bayreuth hergestellt werden. Das ist ihre Art des Protestes.

Jobverlust schon einmal erlebt

Ein wenig abseits sitzt ein 48-Jähriger. „Ich erlebe das zum zweiten Mal.“ In Berlin hat er schon für BAT gearbeitet, bis der Standort aufgelöst wurde. „Aus den gleichen Gründen wie hier in Bayreuth: Überproduktion in einem anderen Werk.“ Er entschied sich, nach Bayreuth zu kommen. „Der Betrieb war toll. Sonst wäre ich nicht mitgegangen.“ Das war vor 18 Jahren. Er gehört zu den prognostizierten Verlierern, um die sich die meisten sorgen: zu jung für den Vorruhestand, zu alt für den normalen Arbeitsmarkt, da macht sich auch der 48-Jährige nichts vor. „Gedanken mache ich mir erst später. Es kann warten, dass ich keinen Schlaf finde.“

"Heiß auf Streik"

Auch er wartet mit Spannung aufs Ende der Verhandlungen. „Ich vertraue dem Betriebsrat und der Gewerkschaft. Ich denke, das wird ein Sozialplan, wie ihn Deutschland noch nicht gesehen hat.“ Und wenn nicht? „Dann steht die Mannschaft wie eine eins. Die Leute sind heiß auf Streik.“

Der Mann in der Latzhose hat bislang den Gesprächen zugehört. Er blickt in die Runde: „Das ist schon irre: Wie oft habe ich mir gedacht: Wie soll ich es mein Leben lang bitteschön mit diesem Haufen aushalten?“ Die anderen lachen befreit. „Und jetzt sitze ich da und frage mich, wie soll ich es mein Restleben ohne sie aushalten?“ Die anderen nicken schweigend. Bis auf einen: „Die Vorstellung, hier nicht mehr reinzugehen – das schafft mein Kopf noch nicht.“ Dann steht er auf und läutet die Glocke zur vollen Stunde.

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