Der Respekt vor den Sportkeglern wächst mit jedem Wurf Selbstversuch Kegeln: Von wegen ruhige Kugel

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Der Griff von Kurier-Sportredakteur Torsten Ernstberger an den Oberschenkel zeigt es: Gerade im linken Bein lernt man als Kegelneuling Muskeln kennen, die sonst nur selten belastet werden. Und die können auch Tage nach dem Training noch richtig schmerzen. Foto: Wittek Foto: red

Kegeln ist anstrengend und verlangt dem Körper einiges ab. Das muss
 Kurier-Sportredakteur Torsten Ernstberger schnell feststellen, als er zum Probetraining beim Bundestrainer vorstellig wird.
So viel vorneweg: Für einen Platz im deutschen Kader bei der Weltmeisterschaft in Speichersdorf hat es nicht gereicht.

 
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Endlich! Darauf habe ich gewartet! 46 Würfe lang, der 47. sitzt perfekt. Alle neun Kegel sind niedergestreckt, mit einem einzigen Wurf. Die Erfolgsfanfare ist so laut, dass sich alle anderen Kegler auf den Bahnen in der Bayreuther Eremitenklause zu mir umdrehen. Die Anzeigentafel blinkt in bunten Farben, gelb, grün, rot, . . .  Ja, leider leuchtet da auch ein kleines rotes Licht. „Du hast minimal übergetreten“, sagt Timo Hoffmann. „Aber wir drücken ein Auge zu, deine Würfe vorher waren ja schon richtig gut, da hast du dir diesen Neuner wirklich verdient.“

Lob vom Bundestrainer

Das Lob geht runter wie Öl, schließlich kommt es von keinem Geringeren als dem Bundestrainer der deutschen Herren. Und damit nicht genug: Hoffmann ist auch zweifacher Mannschaftsweltmeister, fünffacher deutscher Einzelmeister, mit seinem Team Rot-Weiß Zerbst hat der Neudrossenfelder zehn deutsche Meisterschaften in Folge und erst vor kurzem die Champions League gewonnen. Aber einen so blutigen Anfänger wie mich hat er selten im Trainingsbetrieb.

Kegeln fordert den ganzen Körper

„Beim Kegeln kommt viel auf Konzentration und Genauigkeit an. Ausdauer und Körperkoordination sind ebenfalls wichtig“, erklärt Hoffmann und deutet auf ein Plakat an der Wand. Dort sind die Grundbewegungen des Kegelns abgebildet. Also beide Füße parallel zur Auflagebohle stellen, die Kugel vor den Körper nehmen. Als Rechtshänder erst den linken Fuß nach vorne, zwei weitere Schritte, dabei mit dem Arm so Schwung holen, dass die Hand am Ende des Bewegungsablaufs die Kugel kurz vor der Markierung der Lauffläche mit Tempo aufsetzen kann.

Meine Kugel ist unterwegs – erreicht aber nicht die 19,50 Meter entfernten Kegel. 1,50 Meter Bahnbreite sind für diesen krummen Wurf nicht genug, die Kugel rollt in die linke Außenrinne. „Ach ja“, sagt Hofmann und grinst. „Einen guten Kegler macht vor allem eins aus: jahrelanges Training.“

Das Gewicht eines Mittelklasseautos

Dreimal in der Woche trainiert Hofmann, jeweils zwei Stunden. Dabei macht er jeweils ungefähr 200 Würfe mit der 2,85 Kilogramm schweren Kugel. Der 45-Jährige hebt also wöchentlich das Gewicht eines Mittelklasseautos. Und das schon seit vielen Jahren.

Als Kind steckte ihn sein Vater mit dem Kegelvirus an. Doch Hoffmann ist ehrlich: „Sportkegeln ist schwierig und mit enormem Zeitaufwand verbunden. Es ist eher selten, dass jemand nach den ersten Würfen für immer hängen bleibt. Wäre ich beim Kegeln nicht so erfolgreich gewesen, wäre ich wohl Fußballer geworden.“ Hoffmanns Leidenschaft zum Kegeln kam durch den Erfolg, die Fußballschuhe blieben immer öfter im Schrank.

Finanziell wohl die falsche Entscheidung. Als Fußball-Doppelweltmeister wäre er jetzt wohl schon Millionär, die gleichen Erfolge im Kegeln werfen dagegen keinen Ertrag ab. „Obwohl Rot-Weiß Zerbst der FC Bayern München des Kegeln ist, und wir mit Sponsoren gut aufgestellt sind, ist es unmöglich, dass am Saisonende Geld übrig bleibt.“ Da die Kegler aus der Förderung der Sporthilfe herausgefallen sind, gibt es selbst für WM-Medaillen keinen finanzielle Belohnung. „Wir quälen uns für Lob und Ehre“, sagt Hofmann und lächelt.

Der Rücken schmerzt, die Oberschenkel ziehen

Das Lächeln ist mir mittlerweile etwas vergangen. Der Rücken macht sich bemerkbar, die Oberschenkel ziehen und das Handgelenk schmerzt. Aber ich habe mich verbessert. Ich bekomme ein Gefühl dafür, wie die Kugel läuft, wenn ich mit den Fingern beim Abwurf noch etwas Druck ausübe. Vier, fünf Kegel fallen jetzt regelmäßig. Doch ich erkenne auch, wie schnell ein Wurf daneben gehen kann. Vor allem, wenn die Konzentration fehlt. Mein Respekt vor den Leistungen der Sportkegler – auf WM-Niveau sind bei 120 Wurf über 650 getroffene Kegel die Regel – wächst mit jeder geworfenen Kugel.

Sieg gegen den Bundestrainer

Jetzt kommt mein 100. Versuch, ein durchschnittlicher. Nur drei Kegel fallen. Zielstrebig greife ich zur nächsten Kugel. „Nach der solltest du aber aufhören“, bremst mich Hoffmann. „Sonst kommst du morgen vor Muskelkater im Oberschenkel nicht mehr aus dem Bett.“

Doch daran denke ich jetzt noch nicht. Vielmehr geht mir am Ende meiner einstündigen Sportkeglerpremiere ein unglaubliches Erfolgserlebnis durch den Kopf. Ich habe den Bundestrainer und mehrfachen Weltmeister im Alle-Neune-Wettbewerb besiegt. Viermal fielen bei mir alle Kegel auf einmal, bei Hofmann nur zweimal. Dass ich 101 Würfe hatte und Hoffmann nur sieben, ist da nur eine statistische Randerscheinung.

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