Im Netz haben es Lügen leicht

Lügen haben es im Netz leicht, sagt Olaf Struck. Ein Beispiel, das seine These stützt: Der Facebook-Post links. Wie der Kurier recherchierte, war die Geschichte frei erfunden. Viele Leser fand sie dennoch. Fotos: red Foto: red

Von wegen Mitbestimmung und Diskussion. Wenn es im Internet um politische Fragen geht, sieht Professor Olaf Struck schwarz. Der Arbeitswissenschaftler und Soziologe der Universität Bamberg warnt vor allem bei sozialen Medien wie Facebook. Seine These: „Die demokratische Öffentlichkeit ist den sozialen Medien nicht gewachsen.“

 
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Sie trauen den Leuten in den Sozialen Medien nicht viel zu?

Olaf Struck: Ja, das stimmt.

Warum, es sind ja nicht alle dort doof?

Struck: Das Internet ist zu schnell …

Schnell ist doch gut...

Struck:… aber nicht qualitätsorientiert. Die Vielfalt der Information, Text, Ton, bewegte Bilder, das ist alles sehr schön. Wir haben viele Möglichkeiten, alles in Echtzeit aus aller Welt zu jeder Zeit zu bekommen.

Wir können uns aber aussuchen, was wir wissen möchten.

Struck: Das Problem ist: Wir haben nicht gelernt, diese Fülle an Information zu filtern. Wir müssen oft das nehmen, was uns die Informationsgeber zusammenstellen. Einfluss darauf, von wem wir uns informieren lassen, haben wir im Internet kaum. Das Ergebnis: Wir werden gefiltert.

Aber wir können doch selbst eintippen, wonach wir suchen.

Struck: Auch wenn wir selbst filtern: Der Mechanismus ist immer der gleiche. Wir kriegen die Werbetexte zu dem, was wir bestellt haben.

Die Algorithmen?

Struck: Sie sind auf die Betroffenen abgestimmt. Sie nehmen das Milieu derjenigen auf, die sich in den Sozialen Medien bewegen, und verstärken das, was man eh schon denkt.

Die Macht einer AfD beruht auf einem Algorithmus?

Struck: Überspitzt gesagt ja. Auf der einen Seite versuchen Parteien, Trends zu verstärken, die schon da sind, um damit kleine Landgewinne zu organisieren. Im Prinzip erreichen sie aber nur diejenigen Menschen mit Meinungen, die sie auch zuvor schon hatten.

Und das ist schlimm?

Struck: Das kuschelt uns ein. Das ist nicht unangenehm, weil wir als Menschen auch ein bisschen faul sind. Aber wir schöpfen keinen weiteren Nutzen aus dauerhafter Selbstvergewisserung.

Aber wir sind doch informiert.

Struck: Nein, meist nicht. Blogs, Wikis, Netzwerke – das ist der Wohlfühlbereich. Wir tauschen aber nur das aus, was wir eh schon kennen, treffen auf Meinungen, die wir eh schon hatten. Information in Wissen zu überführen, zu lernen ist anstrengend.

Sie halten uns einfach für zu faul!

Struck: Nein. Wir scheuen nicht grundsätzlich Anstrengung. Aber wenn die Welt der sozialen Medien so einfach ist, dann bewegen wir uns lieber in der einfachen Welt.

Wie sieht die schwierige Welt aus?

Struck: Wissen und lernen in einer freien demokratischen Welt benötigt Ruhe, Zeit und Qualität, um Argumente und Gegenargumente abzuwägen. Es sollte eine vollständige Kommunikation herrschen. Der Sender soll erfahren, ob es angekommen ist. Der Empfänger muss die Zeit haben, darüber nachzudenken, was er gerade gehört und gelesen hat, um es mit dem zu vergleichen, was er früher gehört und gelesen hat. Sorgfältige Analyse also vor Schnelligkeit.

Das geht nicht im Internet?

Struck: Man müsste auf eine gründliche Analyse eben noch zwei Tage warten. Beispiel Donald Trump: Die Information, dass er die Wahl gewonnen hat, ist für sich genommen nutzlos. Wichtiger zu wissen wäre es gewesen, was wir zu erwarten haben in der Innen- und Außenpolitik, ob er Einwanderer nach Hause schicken kann, wie das Verhältnis zur EU oder China werden könnte. Aber das ist ein Medienproblem: Die schnelle Nachricht ist immer wichtiger als die Analyse.

Aber wir kommen aus unserer Info-Kuschelwelt nicht raus?

Struck: Wir kommen nur raus, wenn wir das, was wir selbst nicht können, an andere abgeben: an Fachkräfte, an Experten und…

Sagen Sie jetzt nicht Journalisten!

Struck: ... Journalisten. Auch denen fehlt Geld und Zeit. Das ist eine Gefahr. Und das ist nicht gut für eine Gesellschaft. Die Frage ist: Wie kriegen wir die Menge von Information in einer Weise vorsortiert, dass es daraus möglich wird, Wissen und Lernen zu ermöglichen? Dafür braucht es fachlich ausgebildete Journalisten, die sich in Medizin, Politik oder Wirtschaft auskennen. Und im Fall Donald Trump einen, der sich etwa als Amerikanist auskennt.

Die gibt es in sozialen Medien.

Struck: Aber der Experte braucht auch ein journalistisches Ethos. Es soll nicht nur um Meinungsmache gehen, sondern er muss die Fülle der Information aufbereiten und eine Idee davon haben, welcher Hintergrund für das Verständnis des Themas noch notwendig ist und welcher nicht.

Sonst passiert was?

Struck: Die Populisten haben Angst vor guten Journalisten und versuchen, an dieser Ecke Boden zu gewinnen und alles gleich zu machen. Sie sagen, alles ist gleich, wir würden von einer „Lügenpresse“ manipuliert. Wohl wissend, dass sie an dieser Manipulation auch teilhaben. Lügen und populistische Floskeln verbreiten sich im Internet viel besser als in Qualitätsmedien.

Aber nicht jeder, der im Internet schreibt, ist ahnungslos.

Struck: Wenn ich sehe, was in Foren an Wissen transportiert wird, ist das mitunter hervorragend. Aber öfters auch ein großer Blödsinn. Viele können nicht unterscheiden, ob eine Information besser ist als die andere. Sie können nicht unterscheiden, wer dahinter steckt. Ist das Halbwissen, ist das gut recherchiertes Wissen? Oder ist es aus dem Bauch heraus geschrieben? Wir können nicht alles selber prüfen. Deswegen brauchen wir klassische Medien, für die erste Orientierung. Fachleute, die als solche erkennbar sind.

Das schafft das Internet nicht?

Struck: Nein. Wir müssten deshalb schon Schülern früh beibringen, was eine gute und eine schlechte Meldung ist. Dass Meinung und Kommentare immer mit Vorsicht zu genießen sind. Ihnen Hinweise geben, welchen Texten man glauben kann. Ob hinter den Behauptungen eine Befragung, Analysen oder Experimente stecken. Man kann Artikeln durchaus ansehen, ob sie solide Nachrichten enthalten und worauf sie sich stützen. Früher hat ein Redakteur, ein Korrektor oder sogar ein Drucker über die Texte geschaut. Die entdeckten noch inhaltliche Probleme. Das ist heute alles weg.

Weil es leicht ist zu veröffentlichen.

Struck: Weil es so einfach geworden ist, passiert es schlicht auch.

Das macht einen fassungslos.

Struck: Mich auch.

Das Gespräch führte Otto Lapp.

 

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