Der VdK wird 70 und kein bisschen leise

Von Peter Rauscher
Kam schwer verwundet aus dem Krieg zurück: August Schreyer aus Bischofsgrün gehört zu den Gründungsmitgliedern des VdK-Kreisverbands Bayreuth und zeigt seinen alten Mitgliedsausweis. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Den VdK kennt man als streitbaren Verband für Rentner, Behinderte, Arbeitslose und Pflegefälle. Gegründet aber wurde er vor 70 Jahren, um den Millionen Invaliden und Hinterbliebenen nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen. Der Blick auf die Anfänge führt in Deutschlands düsterste Zeit.

 
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August Schreyer war 19 Jahre alt, als er beinahe getötet worden wäre. Damals, 1943, war der  junge Mann aus Bischofsgrün als Soldat der Waffen-SS in der Normandie stationiert. Er sei nicht gefragt worden, ob er zur Waffen-SS wollte, sagt der heute 91-Jährige, der sich genau erinnert. Mit 18 war der gelernte Weber von zuhause weg zum Arbeitsdienst eingezogen worden, kurz danach befand ihn ein Stabsarzt bei der Musterung tauglich für die Waffen-SS.

„Der hat mir  bloß in den Mund geschaut, ich wollte nie zur Waffen-SS“, erzählt Schreyer. Mit seiner neuen Einheit wurde der junge Bursche durch halb Europa geschickt. Paris, Südfrankreich, Polen und wieder zurück in die Normandie, als 1944 die Invasion der Alliierten begann. Dort erwischte ihn das Explosivgeschoss.

Den ganzen Fuß zerfetzt

„Es traf mich von hinten in die Ferse und hat mir den ganzen Fuß zerfetzt.“ Schwer verwundet kroch der junge Mann unter einen Baum und hätte dort verbluten können. Aber ein Offizier fand ihn,  sein Bein wurde notdürftig versorgt und geschient. Auf einem Lastwagen voller Benzinfässer wurde er geladen, er war die Tarnung als Verwundetentransport.

In Paris erwischte der schwer verwundete Bischofsgrüner den letzten Zug nach Deutschland, weil Kameraden ihn aus dem Krankenhausbett im Nachthemd in eine Straßenbahn schafften. So kam er bis Ludwigsburg. Schreyer erinnert sich mit Grausen: „In dem Zug stank es fürchterlich nach Eiter, Schweiß und Kot.“ Ein Lazarettarzt  amputierte sein Bein. Schreyer war 19 und ein Krüppel, aber heute sagt er: „Hätte der Arzt nicht amputiert, hätte ich einen Klumpfuß bekommen.“

Heimarbeit auf Krücken

Schreyer kehrte heim nach Bischofsgrün, die Stadt Bayreuth war im April  1945 von drei Luftangriffen, die fast 800 Todesopfer gefordert hatten, getroffen worden. Er war auf Krücken angewiesen, doch er konnte wieder arbeiten, machte in Heimarbeit Filets, das ist netzartiger Tüll. Zum Leben reichte der Verdienst nicht, sein Vater fütterte ihn durch. Bis Schreyer Georg Hedler traf. Der sorgte dafür, dass Schreyer zum Gesundheits- und Versorgungsamt kam und als Kriegsversehrter anerkannt wurde. Es gab eine Prothese, der Bischofsgrüner konnte wieder in der Weberei arbeiten und bekam später Invalidenrente – und bekommt sie noch heute.

"Opfer" durfte nicht im Namen stehen

Hedler war Mann der ersten Stunde beim VdK. Schreyer trat dem Kreisverband Bayreuth 1947 bei und ist einer von acht noch lebenden Gründungsmitgliedern. Zuvor, im Dezember 1946, hatte Karl Weißhäupl in München den Landesverband gegründet - mit Genehmigung der amerikanischen Militärregierung. Die wollte das Wort „Kriegsopfer“ für einen deutschen Verband damals nicht im Namen haben, deshalb hieß der VdK anfangs „Verband der Körperbeschädigten, Sozialrentner und Hinterbliebenen“. Das Ziel: Den Opfern und Hinterbliebenen zu helfen, und zwar ohne Ansehen der Person. Ob das früher glühende Nazis waren oder verwundete Zwangsarbeiter, der VdK hatte es sich zur Aufgabe gemacht, allen zu helfen.

"Wegen eines Ehrenamtes wählt einen keiner"

„Das war der Friedensauftrag des VdK“, sagt Anneliese Fischer. Die frühere Landtagsvizepräsidentin aus Bayreuth führte von 1991 bis 2011 selbst den Kreisverband Bayreuth und ist Ehrenvorsitzende. Beigetreten war sie erst 1988, da saß sie schon für die CSU im Landtag. Nicht, weil sie sich davon einen Vorteil versprochen hätte, sagt sie: „Wegen so eines Ehrenamtes wählt einen keiner.“ Sie habe das Anliegen unterstützen wollen und der Verband habe Kontakte  gesucht, die ihm nützten. Bis heute legt der Verband größten Wert auf seine parteipolitische Unabhängigkeit. So löste 2011 SPD-Landtagskollege Christoph Rabenstein die CSU-Frau Anneliese Fischer an der Spitze des Kreisverbandes ab.

Sprungbrett für Horst Seehofer

Heute, 70 Jahre nach seiner Gründung, ist aus dem Verband der Kriegsopfer der einflussreichste Sozialverband Deutschlands geworden. 1,8 Millionen Mitglieder bundesweit, 660000 allein in Bayern, mehr als 12000 im Kreisverband Bayreuth (ein Plus von fast 70 Prozent in den vergangenen 20 Jahren). In der Richard-Wagner-Straße arbeiten sieben Hauptamtliche für den VdK, die ihre Mitglieder in Sachen Rente, Behindertenhilfe, Pflege, und Arbeitslosigkeit beraten und unterstützen. „Solche Mitgliederzahlen imponieren Politikern“, sagt Anneliese Fischer, die es wissen muss. Horst Seehofer, der nach einem Krach mit Angela Merkel um die Kopfpauschale 2004 seinen Posten als Unionsfraktionsvize hingeschmissen hatte, gelang nach nicht einmal neun Monaten als VdK-Landesvorsitzender das Comeback als Minister in Berlin.

Geburtstagswunsch: Besserer Bahneinstieg

„Der VdK erreicht alles, aber nicht sofort“, glaubt Anneliese Fischer. Ihre Devise lautet: „Niemals aufgeben.“ Wird der Verband vielleicht sogar zu mächtig, weil er die Interessen von immer mehr Alten vertritt, deren Renten die Jungen zahlen müssen? Anneliese Fischer hält die Diskussionen über Methusalem-Komplott und Kampf der Generationen für Unfug. „Meinen vier Töchtern habe ich erklärt: Was wir heute für Rentner erstreiten, davon werdet ihr später auch noch was haben. Was aber einmal verloren ist, das bleibt verloren.“ Die meisten heutigen Rentner seien genügsam und sparten für ihre Kinder.

Wenn der Kreisverband am 31. Mai seinen 70. Gründungstag begeht, wird Fischer 92 Jahre alt. Zum Geburtstag ihres Verbandes wünscht sie diesem immer noch mehr Mitglieder. Und wenn sie noch einen Wunsch frei hätte: Einen behindertenfreundlichen Einstieg auf dem Bayreuther Bahnhof in den Zug nach Nürnberg. „So viele Ältere würden gerne mit dem Zug verreisen und trauen sich wegen des großen Abstands zwischen Bahnsteig und Zug nicht“, sagt sie, die an dieser Stelle schon selber zweimal gestürzt ist. „Jetzt fahr ich nicht mehr.“ Wenn sie ihrer eigenen Devise „niemals aufgeben“ treu bleibt, war das aber vielleicht nicht das letzte Wort.

Der VdK-Kreisverband Bayreuth feiert sein Jubiläum am 27. Mai. Die Veranstaltung im Zentrum mit Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe und Anneliese Fischer als Festrednerin ist nicht öffentlich.

Kriegsopfer

Am Jahresende 1950 hatten in der Bundesrepublik Deutschland nach Auskunft des Zentrums Bayern Familie und Soziales gut vier Millionen Kriegsopfer Anspruch auf Entschädigung. 854000 von ihnen lebten in Bayern. Schwerbeschädigte erhielten damals bei 100 Prozent Erwerbsunfähigkeit eine so genannte Ausgleichsrente von 90 Mark im Monat. Ende März 2017 lebten in Bayern noch 5731 Kriegsbeschädigte und 9549 Hinterbliebene, die Kriegsopferversorgung erhielten.

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