Tränen und Freude mit Flüchtlingen

Karen Hawkins-Wolf hat Flüchtlingen in der Unterkunft in Sophienthal Deutschunterricht gegeben. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Karen Hawkins-Wolf hat zu „Wir schaffen das“ einen großen Beitrag geleistet. Seit so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, hat sie in der Unterkunft in der Hammerschmiede in Sophienthal rund 40 Menschen Deutsch beigebracht. Außer der moralischen Unterstützung sei von ganz oben nicht viel gekommen, sagt sie im Kurier-Interview. Integration, die geht für die Helferin beim Servus in der Kneipe los.

 
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Frau Hawkins-Wolf, warum haben Sie den Flüchtlingen in der Hammerschmiede geholfen?

Karen Hawkins-Wolf: Die Menschen haben mir leid getan. Auf einmal sind sie in einem fremden Land und können sich nicht verständigen. Als Engländerin weiß ich, wie das ist. Ich kam auch irgendwann nach Deutschland und kannte mich hier nicht aus. Deshalb und weil die Flüchtlinge etwas Deutsch lernen sollten, habe ich Hilfe angeboten.

Sie sind nach Deutschland gekommen und konnten kein Deutsch?

Hawkins-Wolf: Ich hatte damals Deutsch studiert, konnte die Sprache also schon. Aber das Außenrum, das Kulturelle - da kannte ich mich gar nicht aus. Und wenn dann noch Sprachschwierigkeiten dazu kommen, ist es doppelt oder dreifach schwer.

Bundeskanzlerin Merkel hat vor einem Jahr gesagt: Wir schaffen das. Hat Ihnen die moralische Unterstützung von ganz oben geholfen?

Hawkins-Wolf: Das hat eigentlich gar keine Rolle gespielt. Ich hatte auch das Gefühl, relativ alleine dazustehen. Ich musste selbst Hilfe suchen und nachfragen, was man machen kann, damit es die Leute hier ein wenig einfacher haben.

Sie haben also den Eindruck, dass die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe alleine gelassen werden?

Hawkins-Wolf: Ich kann nur von mir sprechen. Und die große Hilfe von oben habe ich nicht gesehen.

Viele Deutsche sagen, man sollte zuerst den Deutschen helfen, die bedürftig sind. Was halten Sie davon?

Hawkins-Wolf: Ich finde, es sollte jedem geholfen werden. Egal, wo er her kommt. Egal, in welcher Situation sich jemand befindet. Ob das ein Deutscher ist, der arm ist, oder jemand, der aus seinem Land geflüchtet ist.

Was hat Ihnen die Arbeit mit den Flüchtlingen in der Hammerschmiede gegeben?

Hawkins-Wolf: Viele Tränen. Ich habe so wahnsinnig viele Geschichten gehört, wie schlecht es den Menschen dort geht, wo sie herkommen. Manche mussten zuschauen, wie ihre Geschwister oder Eltern vor ihren Augen getötet wurden. Eine schwangere Frau erzählte mir, dass man ihr das Kind weggenommen und getötet hätte, wenn sie nicht geflohen wäre. Aber die Arbeit mit den Flüchtlingen hat mir auch viel Freude gebracht. Und das tut es nach wie vor. Es gefällt mir zu sehen, dass sich Menschen weiter entwickeln und dass sie sich hier zurechtfinden und ein neues Leben aufbauen können.

Haben die Menschen Ihre Hilfe immer dankbar angenommen oder gab es auch schwierige Momente?

Hawkins-Wolf: Es gab ein paar schwierige Fälle. Aber das war selten. Es gab welche, die kamen nach Deutschland und dachten, sie bekommen alles. Das waren aber Einzelfälle. Im Großen und Ganzen waren die Leute so dankbar - für jedes Paar Schuhe, für alles. Für jede Hilfe, dass man zugehört hat, dass man auch mal mit ihnen geweint oder gelacht hat.

Ich dachte, Sie haben Deutschunterricht gegeben?

Hawkins-Wolf: Mir war nicht nur wichtig, ein Pensum an Wörtern zu vermitteln. Die Menschen sollten auch lernen, wie man in Deutschland in gewissen Situationen reagiert. Zum Beispiel, wenn man in eine Kneipe geht, dass man da auf den Tisch klopft und servus sagt.

Ein Vorwurf ist oft, dass die Flüchtlinge kommen und unsere Kultur verändern. Haben Sie solche Erfahrungen gemacht?

Hawkins-Wolf: Die Menschen waren total offen. Ich betreue jetzt noch eine Familie. Ich zeige ihnen die Dinge, die hier anders sind. Und sie akzeptieren und respektieren das. Ihr Glaube ist ihnen eben wichtig. Der Ramadan zum Beispiel. Und wenn es möglich ist, wollen sie ihre Zeiten zum Beten einhalten. Aber da sind sie auch flexibel. Ein Mann, den ich betreue, geht arbeiten. Da kann er natürlich nicht vier Mal am Tag seine Arbeit fürs Gebet unterbrechen. Das holt er eben abends nach. Er akzeptiert, dass das in Deutschland so ist.

Es wird viel von Überfremdung durch die Flüchtlinge gesprochen. Haben Sie Angst davor?

Hawkins-Wolf: Überfremdung? Ich kenne das Wort nicht.

Das ist die Befürchtung, dass Menschen aus einem fremden Kulturkreis hier so starken Einfluss nehmen, dass unsere Kultur sich dadurch verändert.

Hawkins-Wolf: Ich habe nicht das Gefühl, dass es dieses Problem mit den Flüchtlingen gegeben hat. Ich kenne rund 40 persönlich. Ich würde sagen, 37 davon passen sich an. Und sie werden dann auch im Dorf akzeptiert. Ich habe sie mitgenommen zum Glühwein trinken. Der war dann natürlich nicht alkoholisch. Wir waren auch beim Sonnwendfeuer. Die Leute im Ort sollten sehen, dass das ganz normale Menschen sind, mit denen man reden kann. Es ist ein Nehmen und ein Geben.

Das Gespräch führte Moritz Kircher

 

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