Flüchtlinge: Wir schaffen das - irgendwie

Von Sarah Bernhard
Angelika Steuer betreut die Flüchtlinge in Warmensteinach. Und sagt: "Die Warmensteinacher haben ihr Herz aufgemacht." Nur eben nicht alle. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Zwischen dem, was Politiker sagen, und dem, was bei den Menschen ankommt, liegen oft Welten. Doch in diesem speziellen Fall herrscht Einigkeit. Denn auch die Praktiker im Landkreis Bayreuth sagen: Es ist schwierig – aber wir schaffen das. Mit ein paar klitzekleinen Einschränkungen.

 
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Das Ausländeramt: Wir zahlten den Preis für "Wir schaffen das"

„Alle, die uns zugeteilt wurden, haben wir versorgt“, sagt Ingrid Gleißner-Klein, Chefin des Ausländeramts. Während das Mitte 2015 knapp 250 Personen waren, musste das Ausländeramt zu Hochzeiten im Frühjahr dieses Jahres rund 1000 Asylbewerber unterbringen. Der Preis dafür war hoch: „Wir sind ja überrollt worden“, sagt Gleißner-Klein. Die Mitarbeiter seien überfordert gewesen, doch neue einzustellen, hätte zusätzliche Probleme geschaffen. „Neue Mitarbeiter muss man einarbeiten, das hält den Laden noch mehr auf.“ Unzählige Überstunden waren die Folge.

Mittlerweile wurden für diesen Bereich im Ausländer- und im Jugendamt insgesamt fünf neue Stellen geschaffen. Außerdem hat der Landkreis Gelder für einen Bildungskoordinator beantragt, der am Jobcenter für Deutsch- und Integrationskurse zuständig sein soll. „Im Moment kommen wir klar“, sagt Gleißner-Klein. „Mal schauen, was die Zukunft bringt.“
 

Die Caritas: "Wir schaffen das" alleine reicht nicht

Asyl-Koordinationsstellen in Stadt und Landkreis, ein besserer Betreuungsschlüssel für die Caritas in der Wilhelm-Busch-Straße, vom Freistaat finanzierte Wohnungsvermittler: „Wir sind dabei, es zu schaffen“, sagt Caritas-Mitarbeiterin Dolores Longares-Bäumler.  Doch die richtig schwierige Aufgabe komme erst noch: die Integration. „Die kriegen wir nur hin, wenn hier alle zusammenarbeiten.“

Auch die Bundesregierung könne ihren Teil dazu beitragen. „Die anerkannten Flüchtlinge brauchen Bildung, Wohnung und Arbeit. Die Bundesregierung muss Möglichkeiten schaffen.“ Zum Beispiel bezahlbaren Wohnraum für Großfamilien. Oder entsprechende Bildungsangebote. „Und sie muss die Brille der Realität auflassen“, sagt Longares-Bäumler. Denn dass lauter Facharbeiter ins Land gekommen seien, sei falsch. „Klar haben sie was gelernt, aber ihre Bildung ist anders als unsere. Viele müssen erst noch nachqualifiziert werden.“

 

Die Asylbetreuerin: Wo "schaffen" und "nicht schaffen" nahe beieinander liegen

In Warmensteinach liegen geschafft und nicht geschafft nahe beieinander. „Als der Helferkreis mitbekommen hat, dass eine Familie auszieht, zackbumm, war ein Staubsauger da, und ein Schlafzimmer auch“, sagt Angelika Steuer, die die Asylbewerber im ehemaligen Gasthof Puchtler betreut. „Die haben ihr Herz aufgemacht.“ Doch dann gebe es auch die, die ihre Wohnungen nicht an anerkannte Asylbewerber vermieten möchten. „Dabei wollen die auch nur ein normales Leben führen und ihre Kinder großziehen.“

Von der Politik wünscht sich Steuer ein bisschen mehr Gehör. „Wir hier wissen doch, wo der echte Bedarf ist. Aber geredet wird immer nur mit den Bürgermeistern.“ Und ein bisschen weniger Bürokratie. „Klar, es gibt die Angst vor Doppelzahlungen und vor Missbrauch. Aber man kann auch übertreiben.“

 

Die Einrichtungsleiterin: Wir haben's fast geschafft

Ute Mayrhofer steht voll hinter Angela Merkel. „Auch wenn sie in der falschen Partei ist“, sagt die Leiterin der Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Speichersdorf. Die Deutschkurse, die ihre Schützlinge besuchen dürfen, die Jugendhilfemaßnahmen, „da sag ich super“.

Doch ein Problem gibt es: Sobald die Flüchtlinge 18 Jahre alt werden, müssen sie die Einrichtung verlassen. „Das tut mir in der Seele leid, weil die meisten danach in ein Loch fallen.“ Viele kämen erst mit 16 nach Deutschland, zwei Jahre seien zum Eingewöhnen einfach zu kurz. „Da haben sie es geschafft, herzukommen, haben Beziehungen geknüpft, und dann müssen sie wieder ganz von vorne anfangen.“ Um Merkels Slogan vollständig wahr werden zu lassen, müssten die Jugendlichen ihrer Meinung nach deshalb bis zu ihrem 21. Lebensjahr in der Einrichtung bleiben.

 

Zum Jahrestag der „Wir schaffen das!“-Rede der Bundeskanzlerin hat die Kurier-Redaktion mit Menschen in Oberfranken gesprochen, die täglich mit der Flüchtlingskrise zu tun haben. Aus ihren Geschichten ergibt sich ein komplexes Bild der Situation.

 

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Günther Hinterobermeier sagt: Bayreuth schafft die Krise auf jeden Fall. Auch, wenn er selbst gerade um einen neuen Freund bangen muss. Zum Artikel

 

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„Wir würden heute nicht über Burkas reden, wenn wir auf eine erfolgreiche Integration in den letzten 50 Jahren zurückblicken könnten.“ Das sagt Günter Reichert, der vor vier Jahren die erste Asylothek in Nürnberg gründete. Jetzt gibt es über 50 davon in Deutschland. Hier vermitteln Ehrenamtliche Flüchtlingen Deutsch und europäische Werte. Doch das genüge nicht, sagt Reichert: „Wir haben 2,7 Millionen Menschen, die wir integrieren müssen – aber nur 300 000 Integrations-Plätze.“ Zum Artikel

 

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Karen Hawkins-Wolf hat zu „Wir schaffen das“ einen großen Beitrag geleistet. Seit so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, hat sie in der Unterkunft in der Hammerschmiede in Sophienthal rund 40 Menschen Deutsch beigebracht. Außer der moralischen Unterstützung sei von ganz oben nicht viel gekommen, sagt sie. Zum Artikel

 

Kommentar: Die Jahrhundertagenda

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