Der öffentliche Garten in der Bayreuther Hammerstatt ist eröffnet Essbare Stadt: Ab ins Beet

Von Katharina Wojczenko
Ab in die Hocke zum Buddeln: Beim Blumenflashmob legen die Besucher in der Hammerstatt Hand an. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Am Radweg liegen Erdhaufen und Ziegelsteine. Bis wenige Minuten vor dem Festakt hämmert einer noch das Podest für die Redner zusammen. Dann ist es am Samstag offiziell: Der erste öffentliche Garten des Vereins Essbare Stadt ist in der Hammerstatt eröffnet. Es gibt viel Lob. Die richtige Arbeit fängt erst an.

 
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"Wir haben unglaublich viel geackert", sagt Christopher Riller, Geoökologiestudent und Vorsitzender des Vereins Essbare Stadt. Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Die Brachfläche in der Hammerstatt ist kaum wiederzuerkennen. In der Mitte haben die Studenten und ihre Mitstreiter eine Kräuterspirale angelegt. In den Beeten wachsen schon Zucchini, Tomaten, Gurken, Paprika, Kürbis, Salat, Kapuzinerkresse, Sonnenblumen, Kartoffeln, Kohl und Melde. Jetzt steht ein Geräteschuppen dort, ein paar weiße Bänke, die in der Eremitage aussortiert wurden. Sie sind immer noch da, unbeschmiert, freut sich Riller.

"Viele Initiativen kommen von oben nach unten", sagt Gregor Aas, Direktor des Ökologisch-Botanischen Gartens der Universität, der die Studenten berät. Das Besondere an der Essbaren Stadt: Hier ist es umgekehrt. Und das ist gut so, findet Aas. Und dass Stadt und Uni die Studenten-Idee unterstützt. "Wer nur auf Bedenkenträger hört, wird nie etwas umsetzen", sagt Aas. Das war hier anders.

Stadt unterstützt die Studenten-Idee

"Uns allen hat die Idee sehr gut gefallen",  sagt Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe. Die Stadt habe das Projekt von Anfang an unterstützt. Der Bauverein stellt dem Verein die 800 Quadratmeter in der Hammerstatt zur Verfügung. Stadtgartenamt und Bauverein helfen mit. Gerade für Kinder sei es wichtig zu erfahren, dass das Gemüse nicht im Supermarkt wächst, sondern viel Arbeit und Freude macht, sagt Merk-Erbe. Besonders gefällt ihr, dass in den Beeten auch seltene, vergessen Sorten wachsen.

Der Direktor des Botanischen Gartens geht noch weiter: Raus aufs Land ziehen, das habe die Politik lange gefördert, sagt Aas. Die neue Strömung sei, Lebensmittel wieder selbst zu produzieren und die Stadt als Lebensraum wieder attraktiver zu machen. Also das, was öffentliche Gärten tun. Und Menschen zusammenbringen, egal wie alt sie sind und woher sie kommen. Als Symbol dafür hat Aas als Geschenk einen echten "Nicht-EU-Ausländer" mitgebracht: ein Schweizer Orangenapfelbäumchen.

Das Wasser zum Gießen müssen sie aus dem Main hochschleppen

Das mit dem Zusammenbringen klappt am Samstag. Bald sind auf dem Gelände etwa 70 Menschen unterwegs. Mindestens drei Sprachen sind zu hören. Sie schnuppern an Blütenkelchen, knabbern an Blättchen, die ihnen die Studenten erklären, buddeln, schleppen Gießkannen. Das Wasser müssen sie aus dem Main holen, eine schweißtreibende Arbeit. "Könnte die Stadt da nicht Wasser aus der Hammerstatt runterlegen?", fragt ein Mann. Er ist nicht im Verein. Aber der Garten liegt auf seiner Abendspaziergangsrunde. Da hat er oft schon Wasser geschleppt. Einfach so.

Studentin Catherine Bogs schlägt sich ins Gebüsch am Radweg und zeigt einem Grüppchen, was da Essbares und Heilsames wächst. Von der Brennnessel über Mädesüß, dem pflanzlichen Aspirin, bis zum Weißdorn. Heinz Singer spielt Klarinette, Hermann Potzel Akkordeon. Die Wespen machen sich übers Buffet her. Eine Seniorin fachsimpelt über Kräuter-Kochrezepte.

Verein sucht noch Mitstreiter

Derzeit hat der Verein Essbare Stadt 20 Mitglieder, zum Großteil Studenten.  "Weitere wären uns sehr willkommen", sagt Riller. Vor allem, weil die meisten derzeit nicht aus der Hammerstatt kommen und daher vor allem mit ihren Mitgliedsbeiträgen und Ideen helfen. Auch wenn der Verein vieles geschenkt bekommt - das Geld ist wichtig, sagt Riller. Allein die Vereinsgründung habe 120 Euro Gebühren gekostet, also fünf Jahresbeiträge. Hinzu kommen Gerätschaften, Kosten für die Website und vor allem die Haftpflichtversicherung. Der harte, gartelnde Kern bestehe aus gerade einmal fünf bis acht Personen.

Auch ohne Expansionspläne hat Riller einiges vor. "Wir wollen erst einmal diese Fläche hier unter Dach und Fach bringen." Im hinteren Teil wachsen jetzt lila Blumen, Phacelia. Die werden nächstes Jahr als Gründünger untergepflügt. Dann geht es dort weiter mit Beeten, Hochbeeten und ein Insektenhotel soll auch noch hin. "Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, mit einem Café oder Biergarten zusammenzuarbeiten." Dann käme das Gemüse für die Küche aus dem eigenen Garten. Oder mit Schulklassen pflanzen.

Mit Gemüse gegen Vorurteile

Vor Kurzem, als er mal wieder abends im Garten arbeitete, kamen zwei junge Männer aus der Hammerstatt, etwa 20 Jahre alt, erzählt Riller. Sie hatten Bier dabei und fragten, ob sie sich damit auf die Bank setzen dürften. Klar, sagte Riller. Was das für eine Sache ist, ob das von der Stadt ist, fragten sie. Und dann wollten sie wissen, was ehrenamtlich bedeutet, weil sie das noch nie gehört hatten. Riller erklärte es ihnen, dass sie ohne Geld dafür zu bekommen, etwas aufbauen und jeder sich bedienen darf. Er würde das nie tun, sagte der eine Mann darauf. Er sei schon zu oft im Leben enttäuscht worden. "Das zeigt, dass wir genau am richtigen Ort sind", sagt Riller.

Eine Fotogalerie zur Eröffnung des Gartens gibt es hier.

Was die Bürger zu dem Projekt sagen, lesen Sie hier.

Hintergrund:

Urban Gardening: Das Phänomen der Gemeinschaftsgärten kommt aus dem Englischen (daher auch: „Communal Gardening“ oder „Urban Gardening“ genannt). Vermutlich entstanden die ersten Gemeinschaftsgärten im New York der 70er Jahre, als Anwohner in ärmeren Gegenden Brachflächen urbar machten. Das Prinzip findet sich in ganz Nordamerika. Meistens handelt es sich um Nutzgärten. Nebenbei haben die Gemeinschaftsgärten aber auch eine soziale Funktion: Sie bringen unterschiedliche Menschen zusammen, dienen als Erholungsraum und sorgen im Kleinen dafür, dass Engagement und Verantwortung entstehen. Daher werden viele solcher Projekte auch von der Politik unterstützt. Bekanntestes Beispiel in den USA dürfte die High Line in New York sein, eine ausgediente Hochbahnstrecke, deren Trasse man über mehrere Kilometer erhalten und als riesigen Garten zugänglich gemacht hat, inklusive Imkerei, Vogelstation und Ackerbau. In Deutschland gibt es mit dem Prinzessinnengarten in Berlin seit 2009 einen riesigen Gemeinschaftsgarten. In Kreuzberg am Moritzplatz wird nicht nur gegärtnert, hier wird das selbst gezogene Obst und Gemüse auch direkt verarbeitet und bei einem Mittagstisch, den jeder nutzen kann, angeboten. (kfe)

Urban Gardening vor der Villa Wahnfried: Vor gut 100 Jahren wurden auch in Bayreuth schon einmal an exponierter Stelle Gemüse und Kartoffeln angebaut – im Garten der Villa Wahnfried. Denn: Die militärische Lage im Sommer 1916 war ernst. Im Westen zogen sich die beiden deutschen Offensiven an der Somme und vor Verdun ergebnislos in die Länge. Die Ernährungslage in Deutschland wurde immer schlechter, die Rationen von Fett, Zucker, Brot auf den Lebensmittelkarten immer kleiner. Die 19-jährige Winifred Wagner, seit einem Jahr mit Siegfried Wagner verheiratet und gerade mit ihrem ersten Sohn Wieland schwanger, kämpfte energisch um Nahrung für die Familie. Im Wahnfried-Park wuchsen statt Rosen deshalb Kartoffeln und Gemüse. Das mühsam eingeweckte Essen wurde streng rationiert, die Vorräte von städtischen Behörden streng kon-trolliert. In Wahnfried konnten nur noch Cosimas Zimmer geheizt werden. Die übrige Familie zog aufgrund des Kohlenmangels zu neunt in das benachbarte Siegfried-Haus. Schmalhans war Küchenmeister in Bayreuth. Die Kriegskochstelle des Roten Kreuzes empfahl sogar, bei der Herstellung von Klößen Kartoffeln durch Kohlrüben zu ersetzen. (mx)

Info: Wie Sie den öffentlichen Garten finden, zeigt diese Karte.

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