Das Wasser zum Gießen müssen sie aus dem Main hochschleppen
Das mit dem Zusammenbringen klappt am Samstag. Bald sind auf dem Gelände etwa 70 Menschen unterwegs. Mindestens drei Sprachen sind zu hören. Sie schnuppern an Blütenkelchen, knabbern an Blättchen, die ihnen die Studenten erklären, buddeln, schleppen Gießkannen. Das Wasser müssen sie aus dem Main holen, eine schweißtreibende Arbeit. "Könnte die Stadt da nicht Wasser aus der Hammerstatt runterlegen?", fragt ein Mann. Er ist nicht im Verein. Aber der Garten liegt auf seiner Abendspaziergangsrunde. Da hat er oft schon Wasser geschleppt. Einfach so.
Studentin Catherine Bogs schlägt sich ins Gebüsch am Radweg und zeigt einem Grüppchen, was da Essbares und Heilsames wächst. Von der Brennnessel über Mädesüß, dem pflanzlichen Aspirin, bis zum Weißdorn. Heinz Singer spielt Klarinette, Hermann Potzel Akkordeon. Die Wespen machen sich übers Buffet her. Eine Seniorin fachsimpelt über Kräuter-Kochrezepte.
Verein sucht noch Mitstreiter
Derzeit hat der Verein Essbare Stadt 20 Mitglieder, zum Großteil Studenten. "Weitere wären uns sehr willkommen", sagt Riller. Vor allem, weil die meisten derzeit nicht aus der Hammerstatt kommen und daher vor allem mit ihren Mitgliedsbeiträgen und Ideen helfen. Auch wenn der Verein vieles geschenkt bekommt - das Geld ist wichtig, sagt Riller. Allein die Vereinsgründung habe 120 Euro Gebühren gekostet, also fünf Jahresbeiträge. Hinzu kommen Gerätschaften, Kosten für die Website und vor allem die Haftpflichtversicherung. Der harte, gartelnde Kern bestehe aus gerade einmal fünf bis acht Personen.
Auch ohne Expansionspläne hat Riller einiges vor. "Wir wollen erst einmal diese Fläche hier unter Dach und Fach bringen." Im hinteren Teil wachsen jetzt lila Blumen, Phacelia. Die werden nächstes Jahr als Gründünger untergepflügt. Dann geht es dort weiter mit Beeten, Hochbeeten und ein Insektenhotel soll auch noch hin. "Wir könnten uns zum Beispiel vorstellen, mit einem Café oder Biergarten zusammenzuarbeiten." Dann käme das Gemüse für die Küche aus dem eigenen Garten. Oder mit Schulklassen pflanzen.
Mit Gemüse gegen Vorurteile
Vor Kurzem, als er mal wieder abends im Garten arbeitete, kamen zwei junge Männer aus der Hammerstatt, etwa 20 Jahre alt, erzählt Riller. Sie hatten Bier dabei und fragten, ob sie sich damit auf die Bank setzen dürften. Klar, sagte Riller. Was das für eine Sache ist, ob das von der Stadt ist, fragten sie. Und dann wollten sie wissen, was ehrenamtlich bedeutet, weil sie das noch nie gehört hatten. Riller erklärte es ihnen, dass sie ohne Geld dafür zu bekommen, etwas aufbauen und jeder sich bedienen darf. Er würde das nie tun, sagte der eine Mann darauf. Er sei schon zu oft im Leben enttäuscht worden. "Das zeigt, dass wir genau am richtigen Ort sind", sagt Riller.
Eine Fotogalerie zur Eröffnung des Gartens gibt es hier.
Was die Bürger zu dem Projekt sagen, lesen Sie hier.
Hintergrund:
Urban Gardening: Das Phänomen der Gemeinschaftsgärten kommt aus dem Englischen (daher auch: „Communal Gardening“ oder „Urban Gardening“ genannt). Vermutlich entstanden die ersten Gemeinschaftsgärten im New York der 70er Jahre, als Anwohner in ärmeren Gegenden Brachflächen urbar machten. Das Prinzip findet sich in ganz Nordamerika. Meistens handelt es sich um Nutzgärten. Nebenbei haben die Gemeinschaftsgärten aber auch eine soziale Funktion: Sie bringen unterschiedliche Menschen zusammen, dienen als Erholungsraum und sorgen im Kleinen dafür, dass Engagement und Verantwortung entstehen. Daher werden viele solcher Projekte auch von der Politik unterstützt. Bekanntestes Beispiel in den USA dürfte die High Line in New York sein, eine ausgediente Hochbahnstrecke, deren Trasse man über mehrere Kilometer erhalten und als riesigen Garten zugänglich gemacht hat, inklusive Imkerei, Vogelstation und Ackerbau. In Deutschland gibt es mit dem Prinzessinnengarten in Berlin seit 2009 einen riesigen Gemeinschaftsgarten. In Kreuzberg am Moritzplatz wird nicht nur gegärtnert, hier wird das selbst gezogene Obst und Gemüse auch direkt verarbeitet und bei einem Mittagstisch, den jeder nutzen kann, angeboten. (kfe)
Urban Gardening vor der Villa Wahnfried: Vor gut 100 Jahren wurden auch in Bayreuth schon einmal an exponierter Stelle Gemüse und Kartoffeln angebaut – im Garten der Villa Wahnfried. Denn: Die militärische Lage im Sommer 1916 war ernst. Im Westen zogen sich die beiden deutschen Offensiven an der Somme und vor Verdun ergebnislos in die Länge. Die Ernährungslage in Deutschland wurde immer schlechter, die Rationen von Fett, Zucker, Brot auf den Lebensmittelkarten immer kleiner. Die 19-jährige Winifred Wagner, seit einem Jahr mit Siegfried Wagner verheiratet und gerade mit ihrem ersten Sohn Wieland schwanger, kämpfte energisch um Nahrung für die Familie. Im Wahnfried-Park wuchsen statt Rosen deshalb Kartoffeln und Gemüse. Das mühsam eingeweckte Essen wurde streng rationiert, die Vorräte von städtischen Behörden streng kon-trolliert. In Wahnfried konnten nur noch Cosimas Zimmer geheizt werden. Die übrige Familie zog aufgrund des Kohlenmangels zu neunt in das benachbarte Siegfried-Haus. Schmalhans war Küchenmeister in Bayreuth. Die Kriegskochstelle des Roten Kreuzes empfahl sogar, bei der Herstellung von Klößen Kartoffeln durch Kohlrüben zu ersetzen. (mx)
Info: Wie Sie den öffentlichen Garten finden, zeigt diese Karte.
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