Erst Tomaten, jetzt Hühner: „Essbare Stadt Andernach“ wächst und gedeiht "Essbare Stadt" Andernach als Vorbild für Bayreuth

Von Norbert Heimbeck
Hier werden die Markierungen für den Bayreuther Bürgergarten im Stadtteil Hammerstatt gesetzt: Hendrik Becker schlägt den ersten Pfosten ein. Christopher Riller (links daneben) vom Studententeam. Foto: Heimbeck Foto: red

Mit ein paar Tomatenstauden fing es an, am Ende tummelten sich Hühner und Schafe auf städtischem Grün. Der Projekt „Essbare Stadt“ in Andernach wächst und gedeiht. Für den Bayreuther Ableger braucht’s indes noch ein wenig Zeit und Geduld.

 
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Lutz Kosack stellte im Rahmen der Stadtgespräche im Iwalewa-Haus das Andernacher Projekt vor. Geoökologen der Uni Bayreuth wollen ein ähnliches Projekt auch in der Hammerstatt realisieren.

Seit fünf Jahren werden in der Stadt am Mittelrhein auf städtischen Grünflächen Tomaten, Salat, Bohnen und Gewürze angebaut, werden sterile Rasenflächen in bunte Blumenwiesen umgewandelt. Alle Bürger sind eingeladen, die hier angebauten Früchte zu ernten. Ziel ist es, die Städte wieder menschlicher zu machen. Fachleute sprechen von Aufenthaltsqualität, Erlebbarkeit biologischer Vielfalt. „Kosack: „Wir bringen die Jahreszeiten zurück. Wir entschleunigen das Leben in der Stadt.“

Gärtnern in der Stadt liegt im Trend. Michelle Obama, Gattin des US Präsidenten hat vor laufenden Kameras schon vor ein paar Jahren ein Gemüsebeet hinterm Weißen Haus angelegt. Lutz Kosack, der in Bayreuth Geoökologie studiert hat und jetzt Lehrbeauftragter der Uni Bonn ist, sagte: „Wir sind Entwicklungsland, was urbane Landwirtschaft angeht.“ Dabei eigneten sich Brachen, Dächer, Parks und Gärten als Flächen für öffentliche Gärten. Er rechnete vor: Wenn städtische Flächen mit wechselnden Saisonblumen bepflanzt werden, kostet die Pflege dieser Beete 56 Euro pro Quadratmeter und Jahr. Werden Wildstauden gesetzt, verbilligt sich der Pflegeaufwand auf knapp zwölf Euro – die Kommunen sparen also noch, wenn sie der Natur freien Lauf lassen. In Andernach hat Kosack immerhin tausend Quadratmeter der teuren Wechselflorbeete abschaffen dürfen.

Zum Thema Vandalismus sagte er: Entgegen der Befürchtungen sei kaum etwas passiert. Offenbar hätten die Menschen Respekt vor Lebensmitteln und schätzten die Arbeit am Gemeinschaftseigentum.

Genau darauf hoffen auch die Studenten der Uni Bayreuth. Sie wollen in der Hammerstatt, direkt am Gartenschaugelände, einen öffentlichen Garten anlegen. Statt „Betreten verboten“ soll es dann heißen „Pflücken erlaubt“. Auf einen Zaun wollen die jungen Leute verzichten, vielmehr soll der Garten allen offenstehen. Catherine Bogs und Christopher Riller stellten das Projekt im Iwalewahaus vor: Wer Zeit und Lust hat, kann mitarbeiten, darf säen, werkeln und natürlich auch ernten. Dieser Bürgergarten soll nicht nur gute Lebensmittel erzeugen, er soll auch Raum für Entspannung und Begegnung werden.

Info: Das Grundstück wurde den Studenten vom Bauverein zur Verfügung gestellt, städtische Behörden haben die Idee unterstützt. Nun soll ein Verein gegründet, der Boden vorbereitet werden – die Arbeit wartet. Die „Essbare Stadt Bayreuth“ ist auch auf Facebook zu finden.

Hintergrund:

Urban Gardening: Das Phänomen der Gemeinschaftsgärten kommt aus dem Englischen (daher auch: „Communal Gardening“ oder „Urban Gardening“ genannt). Vermutlich entstanden die ersten Gemeinschaftsgärten im New York der 70er Jahre, als Anwohner in ärmeren Gegenden Brachflächen urbar machten. Das Prinzip findet sich in ganz Nordamerika. Meistens handelt es sich um Nutzgärten. Nebenbei haben die Gemeinschaftsgärten aber auch eine soziale Funktion: Sie bringen unterschiedliche Menschen zusammen, dienen als Erholungsraum und sorgen im Kleinen dafür, dass Engagement und Verantwortung entstehen. Daher werden viele solcher Projekte auch von der Politik unterstützt. Bekanntestes Beispiel in den USA dürfte die High Line in New York sein, eine ausgediente Hochbahnstrecke, deren Trasse man über mehrere Kilometer erhalten und als riesigen Garten zugänglich gemacht hat, inklusive Imkerei, Vogelstation und Ackerbau. In Deutschland gibt es mit dem Prinzessinnengarten in Berlin seit 2009 einen riesigen Gemeinschaftsgarten. In Kreuzberg am Moritzplatz wird nicht nur gegärtnert, hier wird das selbst gezogene Obst und Gemüse auch direkt verarbeitet und bei einem Mittagstisch, den jeder nutzen kann, angeboten. (kfe)

Urban Gardening vor der Villa Wahnfried: Vor gut 100 Jahren wurden auch in Bayreuth schon einmal an exponierter Stelle Gemüse und Kartoffeln angebaut – im Garten der Villa Wahnfried. Denn: Die militärische Lage im Sommer 1916 war ernst. Im Westen zogen sich die beiden deutschen Offensiven an der Somme und vor Verdun ergebnislos in die Länge. Die Ernährungslage in Deutschland wurde immer schlechter, die Rationen von Fett, Zucker, Brot auf den Lebensmittelkarten immer kleiner. Die 19-jährige Winifred Wagner, seit einem Jahr mit Siegfried Wagner verheiratet und gerade mit ihrem ersten Sohn Wieland schwanger, kämpfte energisch um Nahrung für die Familie. Im Wahnfried-Park wuchsen statt Rosen deshalb Kartoffeln und Gemüse. Das mühsam eingeweckte Essen wurde streng rationiert, die Vorräte von städtischen Behörden streng kon-trolliert. In Wahnfried konnten nur noch Cosimas Zimmer geheizt werden. Die übrige Familie zog aufgrund des Kohlenmangels zu neunt in das benachbarte Siegfried-Haus. Schmalhans war Küchenmeister in Bayreuth. Die Kriegskochstelle des Roten Kreuzes empfahl sogar, bei der Herstellung von Klößen Kartoffeln durch Kohlrüben zu ersetzen. (mx)

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