Ein Leben ohne Plastik

Von Ulrike Sommerer

Einmal angenommen, Martin Luther hätte nicht aus tönernen Krügen getrunken, sondern aus einer Plastikflasche – man könnte diese Flasche heute noch finden. 450 Jahre etwa dauert es, bis eine Plastikflasche, als Müll weggeworfen, abgebaut ist. Diese Rechnung macht das Umweltbundesamt auf. Es rechnet noch mehr vor: Bis zu 140 Millionen Tonnen Abfall sollen in den Meeren liegen, schwimmen oder an die Strände treiben. Plastikmüll wohin man sieht. Die Bayreutherin Julia Hempel will da nicht mehr mitmachen. Sie will plastikfrei leben.

 
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Die Ausgangslage: „Ich bin sowieso ein bisschen alternativ“, sagt Julia Hempel und grinst. Sie ist Vegetarierin, achtet seit langem auf Inhaltsstoffe von Lebensmitteln. Doch sonst lebte sie wie viele andere auch. Vorratsdosen aus Plastik. Salatschüssel aus Plastik. Kosmetik in Plastikdosen. Duschgel, Shampoo, Waschmittel – überall Plastik. Und sie konsumierte. „Ich habe früher alles einfach gekauft, ohne es zu hinterfragen.“ Dann sah Julia Hempel den Film Plastic Planet. Der Film zeigt Gefahren von Plastik und generell synthetischer Kunststoffe. Vor vier Monaten begann Julia Hempel ihr Leben umzukrempeln.

Die ersten Schritte: Julia Hempels Bad war voller Plastik. Nicht nur die Behälter der Kosmetik und Pflegemittel war aus Plastik, auch in Cremes oder Peelings fand sich Kunststoff. Mikroplastik. Im Grunde ging es der 22-Jährigen, die mit ihrem Freund in Bayreuth lebt und arbeitet, darum, ihren Konsum zu reduzieren. „Wenn man plastikfrei kaufen will, merkt man erst einmal, was alles in Plastik verpackt ist.“ Inzwischen macht sie viel selbst –- auch Produkte zur Körperpflege. Die Zahnpasta: selbst gemischt. Das Mundwasser: selbst gemischt. Statt Duschgel verwendet sie Seife, statt Shampoo aus der Flasche ein festes Shampoo. Es sieht aus wie ein Seifenstück. Plastikfrei leben bedeutet für sie nicht, jetzt alles wegzuwerfen, was aus Plastik ist. Die vorhandene Duschgelsammlung beispielsweise braucht sie erst auf. Auch ihre Vorratsdosen und Schüsseln in der Küche nutzt sie weiterhin. Eine plastikfreie Alternative werde dann gesucht, wenn das Teil aus Plastik kaputt ist. Allerdings verwende sie die Schüsseln und Dosen jetzt mit mehr Bedacht. „Ich würde nie mehr einen Salat mit Essig und Öl aus einer Plastikschüssel essen wollen“, sagt sie. Der nächste Schritt war dann, verpackungsfrei einzukaufen. „Am einfachsten ist das bei Obst und Gemüse.“ Konserven werden in Glas gekauft, nicht mehr in Dosen, Nüsse gebe es im Bioladen inzwischen lose, beim Bäcker wird die Ware in den mitgebrachten Jutebeutel gesteckt.

Ein ganz zurück ist nicht möglich

Die Herausforderungen: Plastik ganz aus dem Leben zu verbannen ist schwer, Julia Hempel strebt es auch nicht an. Sie will nicht auf Spülmaschine, Waschmaschine, Trockner, ihre elektrische Zahnbürste verzichten. Wichtig ist ihr, vor allem Wegwerfplastik zu vermeiden. Doch die Suche nach plastikfreien Alternativen ist mühsam. Für manche Produkte, zum Beispiel Zahnseide-Sticks, hat Julia Hempel noch keinen Ersatz gefunden. „Ganz schwierig ist es auch mit Schminke, mit Nagellack zum Beispiel.“ Ein schwerer Verzicht sei für sie auch der Verzicht auf Süßigkeiten, die meist in Plastik stecken. Manchmal bäckt sie Kekse nun selbst. „Aber das kostet viel Zeit.“

Plastik steckt im Essen

Das sagt der Wissenschaftler: Christian Laforsch ist Professor an der Universität Bayreuth. Er beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit Plastikmüll in der Umwelt. Bereits erforscht ist, ist, dass große Teile Plastikmüll in der Natur manche Populationen, beispielsweise die von Seevögeln, drastisch zurück gehen lassen. Bereits erwiesen ist auch, dass manche Weichmacher die im Plastik enthalten sind, auf den Hormonhaushalt von Lebewesen wirken und beispielsweise ein Grund für Unfruchtbarkeit sein könnten. Noch wenige Erkenntnisse habe man, wie sich Mikroplastik auf Menschen und Natur auswirkt. Viele Organismen nehmen Mikroplastik mit der Nahrung auf. Ob diese dann durch den Darm wieder ausgeschieden wird, oder ob sie sich im Körper anreichert, darüber gibt es allerdings unterschiedliche Studien. An Fischen habe man jedoch festgestellt, dass die Aufnahme von Mikroplastik über das Wasser das Verhalten der Fische verändere, bei Muscheln sei die Fortpflanzung beeinträchtigt. Kunststoff könne nicht generell verteufelt werden, sei er doch ein guter Werkstoff. Er dürfe eben nur nicht in die Umwelt gelangen. Wichtig sei daher, verstärkt auf Kreislaufwirtschaft zu setzen (Mehrweg). Jeder einzelne kann zudem dazu beitragen, negative Auswirkungen von Plastik auf die Umwelt zu vermeiden. „Jedes Bonbonpapier, das ich in der Natur oder auf der Straße wegwerfe, gelangt schließlich über den Wind oder die Kanalisation ins Wasser“, sagt Laforsch. Was seiner Meinung nach viel bringen würde, sei der Verzicht auf Plastiktüten um den Biomüll zu entsorgen, damit das Plastik nicht in den Kompost gelangt. Manche Bioplastikmülltüten zersetzen sich nicht ganz, sondern bleiben ebenfalls als winzige Plastikteile im Kompost.

Das will das Umweltbundesministerium: Weniger Plastiktüten. Der Verbrauch an Plastiktüten soll in den kommenden zehn Jahren halbiert werden. Das hat Bundesumweltministerin Barbara Hendricks mit dem Handelsverband ausgemacht. Inzwischen gibt es in vielen Geschäften keine kostenlosen Plastiktüten mehr. Die Ministerin ruft außerdem zu einem verantwortungsvolleren Umgang mit Plastik auf. „Jeder Mensch hält täglich Plastik in den Händen. Früher oder später wird aus Plastik dann Plastikabfall.“

Langfristig Kosten sparen

Die Kosten: Julia Hempels Suche nach plastikfreien Alternativen ist nicht billig. Häufig kosten Produkte, die im Glas statt im Plastik stecken, mehr. „Aber mir ist es das wert.“ An anderer Stelle spare sie wieder: Haushaltsreiniger wird selbst gemacht (Essigessenz, Wasser, ein paar Tropfen ätherisches Öl), vor allem durch ein Umdenken beim Konsum ganz allgemein würde sie viel sparen. Davon ist sie überzeugt.

So klappt’s mit weniger Plastikmüll: Soweit möglich, (Mehrweg-)Verpackungen aus Glas wählen. Das geht leicht bei Getränken, bei Milch, Sahne und Joghurt, in manchen Bio-Märkten gibt es auch Quark bereits im Glas. Auch Senf und Ketchup gibt es beispielsweise immer auch in Glasbehältern. Zum Einkaufen einen eigenen Korb, eine eigene Tasche mitnehmen. Obst und Gemüse lose kaufen. Bäcker und Metzger bitten, die Ware in mitgebrachte Dosen und Behälter abzufüllen. In größeren Städten – seit kurzem auch in Nürnberg – gibt es bereits Unverpackt-Läden. Dort erhält man sämtliche Ware ohne Verpackung und füllt sie in eigene Behälter ab.

Buchtipps: Anregungen für ein plastikmüllfreies Leben gibt es im Buch "Besser leben ohne Plastik" von Anneliese Bunk und Nadine Schubert, 12,95 Euro. Wer nicht nur auf Plastikmüll sondern gänzlich auf Müll verzichten will, dem sei das Buch "Zero Waste" von Shia Su (14,90 Euro) empfohlen.

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