Amoklauf: Forensik-Chef über Warnsignale

Von Andrea Pauly
Dr. Klaus Leipziger, Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus in Bayreuth. Archivfoto: Andrea Pauly Foto: red

Erst der Amoklauf in München, dann das Attentat in Ansbach: In beiden Fällen waren die Täter psychisch krank und in Behandlung. Dr. Klaus Leipziger, Chefarzt der Klinik für forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus in Bayreuth, über mögliche Gründe, Warnsignale und Parallelen zwischen Attentäter und Amokläufer.

 
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Hätten die Ärzte der beiden Täter nicht bemerken müssen, dass in den Männern das Potenzial zu solchen Taten schlummert?


Dr. Klaus Leipziger: Das ist eine Frage, die man ganz schwer beantworten kann, wenn man keine Details über die beiden Männer weiß. Dazu müsste man wissen, ob sie in einer ausführlichen oder kontinuierlichen Behandlung waren, oder wann die letzten Behandlungstermine waren.

Solche Entwicklungen sind langfristig nicht unbedingt vorhersehbar. Aber wenn es den Therapeuten gelingt, den Patienten zu einer gewissen Offenheit zu bringen, können solche Pläne bekannt werden.

Der Münchner Amokläufer hat seine Tat nach ersten Erkenntnissen der Ermittler lange geplant. Wie ist es möglich, dass ein Patient seine Behandler so hinters Licht führt?


Leipziger: Das kann verschiedene Gründe haben. Es kann sein, dass ein Patient absolut mauert. Es kann aber auch sein, dass die Kontakte zum Therapeuten relativ lange zurückliegen. Wenn dann etwas geschieht - zum Beispiel durch eine Abschlussprüfung zu fallen - kann das eine negative Entwicklung verstärken.

Man müsste in den Fällen vom Wochenende wissen, ob es einen Hinweis auf diese fatalen und dramatischen Entwicklungen gegeben hat oder es eine Ankündigung gab. Das wäre hochbrisant.

Heißt das, dass die Sicherheit der Öffentlichkeit von der Kooperationsbereitschaft des Patienten abhängt?


Leipziger: Grundsätzlich beruht die psychiatrische Behandlung auf Freiwilligkeit. Nach dem Unterbringungsgesetz ist eine unfreiwillige psychiatrische Behandlung ja nur möglich, wenn ein Gericht erwartet, dass eine Gefährdung durch den Patienten vorliegt.

Eine andere Konstellation ist es, wenn der Patient unter Betreuung steht oder die Erziehungsberechtigten das für ihn entscheiden. Die Bereitschaft des Patienten zu wecken und zu fördern, ist die Kunst des Therapeuten.

Wie schätzen Sie die Bedeutung von psychischen Erkrankungen bei Amokläufern und Attentätern ein?


Leipziger: Dass ein Amoklauf und eine psychische Erkrankung gänzlich ohne Zusammenhang sind, ist für mich schwer vorstellbar. Das Potenzial zu solchen Taten kann in den Menschen schlummern. Aber bei den allerwenigsten Menschen mit einer psychischen Erkrankung besteht die Gefahr, auch wirklich Amok zu laufen. Die Persönlichkeitsstruktur des Einzelnen ist wesentlich ausschlaggebender.

Unsicherheit, Kontaktprobleme, Enttäuschungen, wenn jemand mit seinem Leben nicht zurechtkommt - das können Punkte sein. Wenn das in Neid oder Wut umschlägt, dann entsteht vielleicht ein Konglomerat, aus dem solche Ideen erwachsen können.

Die Rufe nach dem Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen wurden schon am Samstag wieder laut. Welche Rolle spielen solche Medien Ihrer Meinung nach?


Leipziger: Sie können möglicherweise fatal werden, wenn jemand in die Welt von Aggression und Aggressionsabbau durch Gewalt eintaucht. Aber dass ausschließlich diese Spiele zu solchen Taten führen sollen, das halte ich doch für sehr gewagt.

Gibt es Warnhinweise, die Angehörige, Freunde oder Mitschüler bemerken können?


Leipziger: Wenn jemand Gewalt- und Tötungsphantasien deutlich macht und sich in eine zunehmende Isolierung zurückzieht, wenn jemand mit seinem Leben nicht zurechtkommt, das können Warnhinweise sein. Das muss aber nicht gleich eine Amokgefahr bedeuten.

Welche Parallelen gibt es zwischen einem Attentäter und einem Amokläufer?


Leipziger: Es gibt die Möglichkeit, dass es sich bei beiden Tätern um labile Persönlichkeiten handelt, die empfänglich sind für derartige Entwicklungen, und bei denen das Bedürfnis nach Macht und Rache stetig zunimmt.

Ist diese Angst vor Amokläufen und Anschlägen als Folge von labilen Persönlichkeiten etwas, womit die Gesellschaft leben muss? Oder kann jeder in seinem Umfeld etwas tun, um so etwas zu vermeiden?


Leipziger: Solche Ereignisse werden sich nicht vollkommen ausschließen lassen. Aber ich denke, von Vorteil ist es, wenn sich insbesondere labile Personen nicht in die Enge getrieben fühlen und positive Perspektiven sehen und finden. Es ist wichtig, dass sie in tragfähige soziale Kontakte kommen und Mitgefühl und Einbeziehung erleben.

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