Amoklauf in München: Der neue Breivik

Von und Andrea Pauly
 Foto: red

Es herrscht wieder Ruhe in München, aber von Normalität ist die Stadt noch weit entfernt. Am Mittag kamen Angehörige zum Einkaufszentrum am Olympiapark, um die Toten zu betrauern. Und das Bild, das sich am Tag nach dem Amoklauf vom Täter abzeichnet, ist nur schwer zu ertragen. Aus einer großen Furcht wurde eine andere, ebenso traurige Tatsache: Es war kein Akt eines Terroristen, sondern der eines wahrscheinlich kranken Menschen.

 
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Er war erst 18 Jahre alt, ein Jugendlicher, in Behandlung wegen Depressionen, der laut Polizei „schon lange“ in München lebte. Mit zwei Pässen, einem deutschen und einem iranischen. Ein Flüchtling war er also nicht. Die Polizei schloss bereits in der Nacht des Amoklaufes einen extremistischen Hintergrund der Tat aus. Im Melderegister steht noch nicht mal, ob Ali David S. Christ oder Muslim war. Religion spielte keine Rolle.

Die Ermittler fanden Ballerspiele auf seinem Computer

„Amok im Kopf – warum Schüler töten“, dieses Buch lag in der Wohnung des Schülers, der in München geboren und aufgewachsen war, dessen Eltern und dessen Bruder auch in der Stadt leben. Die Ermittler fanden Ballerspiele auf seinem Computer, neben Zeitungsausschnitten über Polizei-Einsätze, über Waffen - und über Amokläufe. „Wer sich mit Amok beschäftigt, beschäftigt sich auch mit Breivik“, sagte Münchens Polizeipräsident Hubertus Andrä.

Vor genau fünf Jahren fand das Attentat auf einer norwegischen Ferieninsel statt

Auffällig waren zwei Parallelen:  Das Attentat auf einer norwegischen Ferieninsel fand genau fünf Jahre vor dem Münchner Amoklauf statt. Und beide Täter hatten es hauptsächlich auf junge Menschen abgesehen. In der Woche zuvor hatte der 18-Jährige laut Robert Heimberger, dem Präsidenten des Bayerischen Landeskriminalamtes, das Facebook-Konto einer Frau gehackt und dort viele junge Leute aufgefordert, zu ihm an diesem Freitag ins McDonalds zu kommen, ins „Meggi“. Er wolle ihnen etwas spendieren. Da sieht nach einem Plan aus, den Ali David S. hatte.

17  Mal schoss er wahllos auf Menschen

Neun Menschen hat Ali David S. dann am Freitag gegen 17.50 Uhr erschossen. Zwei waren 15 Jahre alt, drei 14, einer 17, einer 19, einer 20 und einer 45 Jahre alt. Unter den Toten sind drei Frauen. Er kam bewaffnet mit einer Pistole aus dem gut besuchten Schnell-Restaurant. Der junge Mann ging zwei Schritte, er wankte, dann zielte er. Insgesamt 17 Mal schoss er wahllos auf Menschen, wie das Video eines Augenzeugen beweist. Panik brach aus, jemand schrie „der ist bewaffnet“. Die Menschen rannten davon. Ein Polizeibeamter in Zivil soll ihn angeschossen haben, gezielt hat er sicher auf ihn. Auf jeden Fall rannte der Mann weiter ins Einkaufszentrum, in dem er weiter auf Menschen schoss. Er muss sehr oft gefeuert haben: Die Sanitäter zählten 16 Verletzte, drei davon kämpfen noch immer um ihr Leben.

Im Morgengrauen, als die Nachricht, dass er sich selbst erschossen hatte, die Stadt längst wieder beruhigt hatte, wurde ein dunkler BMW aus dem abgesperrten Gelände rund um das Einkaufszentrum abgeschleppt. Die rechte Fahrzeugseite war von Schüssen durchsiebt. Im Rucksack von Ali David S. lagen noch 300 Schuss, die er in seine Pistole, Glock 17, Kaliber neun Millimeter hätte nachladen können.

Kein Sprengstoff im Rucksack

Zu dem Zeitpunkt hatten Beamte den Amokläufer längst gefunden, in einer Nebenstraße nicht weit entfernt vom Tatort. Sie bargen deshalb lange seine Leiche nicht, weil ein roter Rucksack neben ihr lag und sie befürchteten, dass dort Sprengstoff versteckt sein könnte. „Es war keiner drin“, sagte der Polizeipräsident am Tag danach.

Etwa fünf Kilometer von dem Ort, an dem er sich selbst richtete, lebte Ali David S., mit seinen Eltern und seinem Bruder an einer viel befahrenen Straße in der Maxvorstadt. Die Wohnungen liegen in schön sanierten Häusern, ein Luxus-Auto-Handel ist im Erdgeschoss. Die Nachbarn sahen immer den Vater und den Sohn, beide meist alleine. Eine Freundin haben sie nie gesehen. Aufgefallen ist S. weder der Polizei noch seinen Nachbarn, sie beschreiben ihn als normal. Die Wohnungen gelten den etwas betuchteren Nachbarn als sozialer Brennpunkt. Denn wie üblich bei gehobenen Sanierungen müssen etwa 20 Prozent der Wohnfläche einige Jahre für sozial Schwächere zur Verfügung gestellt werden. Ob Ali David S. überhaupt dazu gehörte, steht nicht fest.

"Ein Einzelgänger"

Der Vater M. (46) ist Kleinunternehmer, fährt Taxi, und er trägt einen anderen Namen. In der Tiefgarage steht neben den Luxuswagen anderer auch eine BMW-Limousine, die helle Taxifarbe mit schwarzer Folie überklebt. „Das fährt er kaum“, sagt ein Mann, der die Garage mitbenutzt. Überhaupt hat er den Amokläufer meist alleine gesehen. „Ein Einzelgänger.“ In seiner Jugend wurde er beklaut, vor vier Jahren verprügelten ihn zwei Jugendliche. Anzeichen von Mobbing könne man nicht sicher darin sehen, sagt Oberstaatsanwalt Thomas Steinkraus-Koch.

Quellen sagen, dass er vor einigen Tagen seinen Abschluss nicht geschafft habe

Ein Augenzeuge des Amoklaufes will gehört haben, dass S. schrie, er sei sieben Jahre lang gemobbt worden und von der Schule geflogen. Andere Quellen sprechen davon, dass er vor einigen Tagen seinen Abschluss nicht geschafft habe. Dass er Zeitungen ausgetragen habe, bestätigen die Nachbarn. In einem Video, das Augenzeugen während des Amoklaufes gedreht haben, ist zu hören, wie er von einem Dach aus „ich bin ein Deutscher“ schreit. Ein anderer Augenzeuge will gehört haben, wie Ali David S. „ich hasse Türken“ geschrien hat.

Die Eltern seien nicht vernehmungsfähig

Wie die Tat genau ablief, versuchen Ermittler mit Mantrail-Hunden festzustellen. Ebenso den letzten Weg des Ali David S., der sich, verfolgt von Polizisten, die Pistole mit der linken Hand an den Kopf drückte und sich selbst tötete. Seine Eltern seien nicht vernehmungsfähig, sagte der Polizeipräsident. Sie haben jetzt einen Sohn, der „schuld an dem Tod vieler ist“.

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