Gnade vor Recht

Von Manfred Scherer
27 Jahre Freiheitsentzug könnten eine unverhältnismäßig lange Zeit sein. Foto: Uwe Zucchi dpa-Archiv Foto: red

Der virtuelle Stammtisch hat ein gnadenloses Urteil gefällt: Kastrieren! Wegsperren! Kein Mitleid! Nein, es geht im vorliegenden Fall weder um einen Mörder noch um einen Serienvergewaltiger. Es geht um einen Menschen, für den es in früheren Zeiten im Polizeisprech folgende Abkürzung gab: GVZ. Einen Gliedvorzeiger. Heute heißt das Exhibitionist.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der Gliedvorzeiger W. ist nach juristischen Maßstäben krank, nach moralischer Einordnung dürfte man ihn höchstens „anders“ bezeichnen. Seine sexuelle Orientierung ist die homosexuelle. Und er ist – leider – pädophil. Das bringt ihn mit dem Gesetz in Konflikt, denn exhibitionistische Entblößung vor Kindern mitsamt Selbstbefriedigung ist als sexueller Missbrauch strafbar.

Beim Stichwort sexueller Missbrauch von Kindern bekommt der Stammtisch – und nicht nur der – einen Abwehrreflex. Zu Recht, denn sexueller Missbrauch ist eines der abscheulichsten Verbrechen.

Dennoch hat der Pädophile, dessen Fall diese Woche am Landgericht Bayreuth verhandelt wurde, eine differenzierte Beurteilung verdient. Der Mann wurde zu Beginn der 90er Jahre als Jugendlicher eingesperrt – ursprünglich für ein Jahr. Jährlich verweigerten Gutachter und die Gerichte, die den Gutachtern folgten, ihm die Freilassung mit dem Hinweis auf das Fortbestehen seiner Krankheit. Und auf das Fortbestehen der Gefahr, dass er wieder und wieder die Hose öffnet. Er wurde als gefährlich eingestuft. Und aus einem Jahr wurden 27.

 27 Jahre dafür, dass er nie ein Kind angefasst hat? Dass er nie ein Kind zwang, ihn zu befriedigen? Dass er immer abließ, wenn ein Kind cool blieb und sich abwandte? Auch die Gerichte hatten im Lauf der Zeit Gewissensbisse: 27 Jahre könnten für das eine unverhältnismäßig lange Zeit sein. 27 Jahre sind fast ein halbes Leben.

Der Versuch, ihn freizulassen, schlug fehl: Erneut stellte er sich mit offener Hose vor Kindern auf. Und wurde bestraft. Zu recht. Der Prozess war vielleicht sein Glück, denn da wurde festgestellt: Nach heutigen Recht kann der Mann nicht mehr zwangsweise in der Psychiatrie festgehalten werden. Da wurde auch festgestellt, dass das Hosen-Öffnen keine erhebliche Straftat darstellt. Und nur, wenn von einem kranken Täter erhebliche Straftaten zu erwarten sind, kann man solche Täter für immer wegsperren.

Und nun hat der Pädophile W. ein Problem: Sollte seine Zwangsunterbringung in der Psychiatrie aufgehoben werden, müsste er eigentlich in den Knast. Doch dort wartet auf Leute wie ihn mehr als der virtuelle Stammtisch. Dort sitzen richtige Schwerkriminelle, die „Kinderschänder“ verachten und entsprechend brutal behandeln. Schwerkriminelle, die den Fall des Pädophilen W. nicht differenziert betrachten werden.

Und deshalb täte der der Staat gut daran, ihm im Gnadenweg die Strafe zu erlassen. Und ihn nicht den Wölfen zum Fraß vorzuwerfen.

Bilder