Pädophiler sitzt länger als viele Mörder

Von Manfred Scherer

Der außergewöhnliche Fall des Pädophilen W.: Er wird im Jahr 1990 zu einer einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Doch aus dem einen Jahr werden 27 Jahre, mehr als mancher Mörder brummen muss. Und es werden noch mehr. Denn W. steht erneut wegen Kindesmissbrauchs vor Gericht.

 
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Es waren W.'s erste Gehversuche in Freiheit. Er ging am 12. Februar 2016 durch die Pforte des Bezirkskrankenhauses, dann am Nordring entlang, die Hindenburgstraße hinab und kam gegen 16 Uhr zum Cineplexkino. Er habe auf Klo müssen, sagt er vor Gericht. Unten, im Keller des Kinokomplexes, stand er vorm Pissoir und ein Junge im Alter von acht Jahren kam herunter, der ebenfalls aufs Klo musste. Er stellte sich ans Pissoir. Und da kam es über ihn, sagt W.: "Es hat mich übermannt." Angesichts des Kindes befriedigte er sich selbst. Erschrocken lief das Kind davon.

Im Kaufhaus von Überwachungskameras gefilmt

Gut sechs Wochen später, an seinem Geburtstag, befand sich W. auf dem Gelände der Graserschule. Zwei Jungs im Alter von neun und zehn Jahren wurden seine Opfer: "Der Trieb kam in mir hoch." Mit offener Hose stellte er sich vor ihnen auf. Die Jungs flüchteten, doch W. ließ nicht locker. Er folgte einem in das Karstadt-Kaufhaus - dort wurde er von einer Überwachungskamera aufgenommen und später identifiziert. Als er das Kind aus den Augen verlor, ging W. in die Spielwarenabteilung. "Dort war ein Junge, doch der hat mich nicht beachtet. Da habe ich abgelassen." W. machte es nämlich nur dann an, wenn ein Opfer ihm zusieht.

Der Richter sagt: "So was hatte ich noch nie."

Der Fall des Pädophilen W. ist auch für den Vorsitzenden der Strafkammer am Landgericht, Richter Michael Eckstein, außergewöhnlich. Eckstein, der nicht mehr lange hin hat zur Pension, sagt über den Fall des Pädophilen W.: "Aus einem Jahr sind 27 Jahre geworden, das hatte ich noch nie."

Als Kleinkind zur Adoption freigegeben

Und das kam so: W. kam als Kind einer drogen- und alkoholkranken Frau im Badischen zur Welt. Er ist auf einem Auge blind, auf einem Ohr taub - seine Mutter hatte während der Schwangerschaft exzessiv Alkohol getrunken und Drogen konsumiert. Sie ist lange tot. W. wurde als Kleinkind zur Adoption freigegeben und kam zu einem Ehepaar in Oberfranken. Gute Leute, die W. trotz Verhaltensauffälligkeiten durch die Hauptschule brachten.

Schon mit 16 belästigte er Kinder

Doch im Alter von 16 machte W. klar, dass er anders ist: Homosexuelle, exhibitionistisch - und pädophil. Letzteres ist W.'s großes Problem. Exhibitionistische Handlungen vor Kindern sind als sexueller Missbrauch strafbar. Im Alter von 16 und 17 trat W. in der Forchheimer und Bamberger Region in vielen Fällen Kindern gegenüber. In Bamberg bekam er dafür im Mai 1990 eine Jugendstrafe aufgebrummt. Ein Jahr und Unterbringung in der Psychiatrie - ausgesetzt zur Bewährung. Die Justiz hofft zu diesem Zeitpunkt, dass man die Leiden des jungen W. therapieren kann.

Jahr für Jahr ein Nein zur Entlassung

Die Bewährung wird schnell widerrufen, weil W. seinen Trieb nicht zügeln kann. Er kommt in die Bezirksklinik nach Bayreuth. Und Jahr für Jahr lautet bei der Überprüfung, ob man W. wieder rauslassen kann: Nein, er würde es wieder tun.

Die Zeit vergeht, Richter kriegen Bedenken

Doch Ende des Jahres 2015 haben die Richter der Strafvollstreckungskammer schwere Bedenken: 25 Jahre Freiheitsentzug für einen Exhibitionisten mit einer andersartigen Sexualpräferenz? Ist das noch verhältnismäßig? Man versucht W. an die Freiheit zu gewöhnen. Erst geht er begleitet auf Freigang, dann unbegleitet. Man hat ihm eingeschärft, dass er Schulhöfe, Kinderspielplätze, Kinos und alle Plätze meiden soll, wo er Kindern über den Weg läuft. Vergeblich. Im Prozess sagt W., dass ihm "das leid tut, dass ich Kindern wehgetan habe." Er gesteht, dass er sich bei viel, viel mehr Gelegenheiten vor Kindern entblößt hat. Die Staatsanwaltschaft hat es bei den beiden oben genannten Fällen belassen.

"Schwulenfilme" als Auslöser?

Auslöser für seine Taten? W. glaubt: "Ich hätte die Tage vorher die Schwulenfilme nicht anschauen sollen." W. hat ein Smartphone, mit dem er im Internet surft.

Im Prozess klärt sich, warum W. so lange nicht raus durfte. Er ließ die Psychotherapeuten nicht an sich ran. Das aber wäre die Voraussetzung, dass er triebhemmende Mittel bekäme. Mit solchen Mitteln könnte man W.'s Trieb ganz weit runterfahren, meint Gerichtspsychiater Thomas Wenske. Er stuft W. als normal intelligent ein und sagt: "Es ist ein biologisches Wunder, dass er als Kind im Mutterleib keinen Hirnschaden erlitten hat." Wegen der andersartigen Sexualität des Angeklagten stuft Wenske W. als gefährlich ein. Die Voraussetzungen für eine weitere Unterbringung in der Psychiatrie liegen vor.

Am Mittwoch werden Staatsanwalt und Verteidiger Johannes Driendl ihre Plädoyers halten, danach will die Strafkammer ihr Urteil verkünden.

 

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