Bier: Eine Frage der Moleküle

Von Kerstin Fritzsche

Bier ist Wasser, Hopfen, Malz und Hefe in Veredelung - klar, das wissen wir vom Reinheitsgebot. Warum Bier aber so schmeckt, wie es schmeckt und dass wir unterschiedliche Aromen beim Biertrinken erleben, das ist knallharten chemisch-physikalischen Abläufen geschuldet. Was genau beim Geschmackserlebnis passiert und wie man dies als Gastronom sinnvoll nutzt, darum ging es beim ersten Bierforum Bayern des Kompetenzzentrums Ernährung Kulmbach in Maisel's Bier-Erlebnis-Welt am Dienstag.

 
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Natürlich ist es völlig in Ordnung, wenn Bier einfach so genossen wird. Ohne zu hinterfragen. Und wenn man das eine Bier eben lieber mag als das andere, ohne das begründen zu müssen. Alles hat aber einen Grund. Denn Genuss und damit Geschmack ist Naturwissenschaft, sagt der Physiker Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut in Mainz. Das erklärt auch, warum ein Wissenschaftler aus der Polymer-Forschung über das Thema Bier-Vielfalt redet. Vor Brauern, Bier-Sommeliers und Gastronomen, die es im Zweifelsfall besser wissen müssten.

It's the molecules, stupid!

Es sind die Moleküle. "Wenn wir Bier-Aromen beschreiben, dann meint das eigentlich den knallharten chemisch-physikalischen Vorgang, molekulare Formen in unseren Geschmacksknospen und -rezeptoren zu entschlüsseln", erklärt Vilgis. Er kam über das Kochen zum Thema Bier und ist Autor zahlreicher Bücher zur Naturwissenschaft des Kochens sowie der Physik und Chemie von Lebensmitteln.

Immer die Nase mit dazu

Was passiert da genau? Beim Schmecken werden die Reize heiß, kalt, brennend, beißend, prickelnd, kühlend, adstringierend (das Mundgefühl, wenn sich alles zusammenzieht, etwa durch Saures) durch Sensoren auf der Zunge aktiviert. Hinzu kommen noch mal verschiedene Reize, die beim Riechen durch Rezeptoren und Molekularformen aktiviert werden. "Schmecken alleine reicht nicht, man braucht immer die Nase auch dazu", sagt Vilgis.

Voraussetzung dafür sei, dass fürs Schmecken und Riechen die Moleküle durch Wasser beziehungsweise Alkohol gelöst werden. Ein Aroma entsteht dann durch den Umbau von Wasser, Proteinen, Fetten und Zucker. "Und da reden wir noch nicht vom Brauvorgang, wo man beeinflusst, welche Bitterstoffe, Hefe-Extrakte und so weiter wie und wann gelöst werden, um ein bestimmtes Aroma herzustellen."

 

Physiker Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymer-Forschung in Mainz über Geschmack beim Bier

Bier hat viel mehr Aromen als Wein

Weil das alles so kompliziert ist, ordnet Vilgis in neun Aroma-Gruppen. Es sind in etwa jene, die man auch auf Aromabäumen oder -rädern findet, wenn man schon mal an einer Bier-, Whisky- oder Edelbrand-Verkostung teilgenommen hat. "Damit kann man sich leichter orientieren", sagt Braumeister und Bier-Sommelier Hans Wächtler. Denn beim Wein gehe man automatisch immer von Aroma-Vielfalt aus, dabei "hat Bier viel mehr. Es gibt rund 1000 Aromen im Wein, aber 2000 bis 2500 im Bier", erklärt er. "Der Unterschied ist, dass wir jetzt erst anfangen, dem Verbraucher klar zu machen, was Geschmack beim Bier alles ausmacht und ihn über die Rohstoffe zu informieren". Und so hielt Wächtler beim Bierforum direkt selbst einen Test ab, bei dem durch Riechen Aromen erkannt werden sollten.

Bei Winzern Selbstverständnis, im Gastro-Bereich etwas Neues

Mit dem neuen Bier-Erleben könne man auch dem Gastro-Bereich neues Leben verleihen, ist  Braumeister und Koch Thomas Reblitz überzeugt. "Beim Wein ist es ein Selbstverständnis, dass Winzer ihr Produkt bewerben, erklären und auch als ganzes Lifestyle-Erlebnis verkaufen", also Verkostungen anbieten und Weinwanderungen oder passende Menüs. "Bier muss genauso erlebbar gemacht werden", fordert er seine Branche dazu auf.

Aber keine Angst - nicht jeder muss jetzt Experte werden. Es wird weiterhin völlig legitim bleiben, sein Bier einfach so zu genießen. Die eigenen Geschmacksknospen machen zusammen mit den Molekülen ja die ganze Arbeit mit dem Geschmack von selbst.

Hintergrund: Was ist eigentlich Craftbier?

(kfe) Der Ausdruck bezeichnet selbstgebrautes (craft = handwerklich) Bier. Craftbier hat in den letzten vier Jahren einen regelrechten Boom erlebt. Nicht nur Privatleute brauen plötzlich selbst. Sondern auch kleine und mittelständige Brauereien setzen auf die trendigen handwerklichen Biere und experimentieren dabei mit Aromen bzw. Aroma-Hopfen.

Die US-amerikanische Brauervereinigung definiert Craftbier als Bier „von einem Brauer, der in kleinen Mengen und unabhängig von Konzernen auf traditionelle Weise braut“. "Klein" heißt hier aber noch: ein Ausstoß von bis zu sechs Millionen Barrel (= 954.000.000 Liter). Diese Zahlen erreichen noch nicht mal die größeren deutschen Brauereien. Auch „unabhängig von Konzernen“ beudetet nicht "komplett unabhängig", sondern Konzerne dürfen maximal 25 Prozent der Anteile halten.

In Deutschland gibt es keine genaue Definition von Craftbier. Bei der Produktion ist Maisel & Friends einer der Pioniere bei den Craft-Bieren und hat bereits drei unterschiedliche Sorten herausgebracht, die jetzt auch noch mal neu mit einem Prozent Alkohol-Gehalt weniger aufgelegt werden. Vom Geschmack her sind Craftbiere stark hopfig und oft mit Aromen versetzt. Es sind obergärige Biere mit meist überdurchschnittlichem Alkohol-Anteil. Während in Belgien oder Nordamerika Aromen oder etwa Früchte im Brau-Prozess mit verarbeitet werden, ist das in Deutschland aufgrund des Reinheitsgebots nicht möglich - oder aber das Bier darf nicht als "Bier" verkauft werden.

Viele Craftbrauer brauen ihre Biere streng nach Reinheitsgebot und erzeugen die Aromen(-Vielfalt) über den unterschiedlichen Hopfen. Erfunden wurde Craftbier übrigens nicht aus Experimentierwillen, sondern aus einer Not heraus: Wie macht man Bier ohne Kühlungsmöglichkeit länger haltbar? Man erhöht Alkoholgehalt und Hopfen (wegen der Gerb- und Bitterstoffe darin). Ob die neue Bewegung in Bayern oder Baden-Württemberg "erfunden" wurde, darüber streiten die Brauer in den Ländern.

 

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