Laufenberg spricht über "Parsifal"

Von Michael Weiser
Hessisches Staatstheater WiesbadenUwe-Eric Laufenberg (designierter Intendant Wiesbaden) Foto: red

Wie religionskritisch ist der „Parsifal“? Und wie frei ist die Kunst? In Bayreuth haben die Proben für den „Parsifal“ begonnen. Und wir sprachen mit Regisseur Uwe Eric Laufenberg über den Wahnsinn eines Religionskrieges, über Entgrenzung und gefährliche Bücher.

 
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Sie haben in Bayreuth für Aufregung gesorgt. Die Polizei geht offenbar dabei aus, dass Ihre „Parsifal“-Inszenierung für Anstoß bei Islamisten sorgen könnte. Was ist da dran?

Uwe Eric Laufenberg: Nichts. Ich habe gesagt, dass ich denke, dass „Parsifal“ ein religionskritisches Werk ist. Ich dachte ans Christentum und dass man, wenn man „religionskritisch“ hört, gleich „islamkritisch“ versteht, leuchtet mir nicht ein. Wenn Sie hinschauen, dorthin, wo die Christusgeschichte spielt, dann sehen Sie, dass das ein sehr umkämpftes Land ist. Das ist eigentlich auch Wahnsinn. Jerusalem ist, wenn Sie so wollen, eine religionswahnsinnige Stadt. Und wenn Sie noch ein bisschen in die Nachbarschaft schauen, dann werden Sie feststellen, dass da auch Muslime gegeneinander kämpfen, Sunniten gegen Schiiten, alle möglichen Religionsströmungen und Stammesfürsten. Und Sie werden feststellen, dass das Christentum einen sehr schweren Stand hat.

Welche Impulse sollen von dieser bedrohten Gemeinschaft noch ausgehen?

Laufenberg: Mir imponiert, dass dort, wo sie noch sind, Christen oft genug wieder zur eigentlichen Botschaft finden, nämlich zu helfen. Und darum geht es ja auch bei dieser Gralsgemeinschaft. Sie ist aufgerufen, barmherzig zu sein, zu helfen. Und dadurch, dass sie ihres Ritus nicht mehr sicher sind, schwächeln sie, auch in dem Sinne, Gutes zu tun. Schwach ist vor allem Amfortas, durch seine schmerzende, blutende Wunde, die er als Schuld begreift. Und diese Zusammenhänge, die Wagner symbolisch aufgeladen zusammenmixt, muss man in unserer heutige Welt suchen. Was hat das uns heute noch zu sagen? Wenn wir über monotheistische Religionen reden, kommt natürlich auch das Judentum und der Islam vor, aber in der Hauptsache geht es ums Christentum, die ja größte und verbreitetste Religion.

Und was war mit der Suche nach gut aussehenden Frauen, die sich gegebenenfalls auch ausziehen sollten?

Laufenberg: „Gutaussehend“ war nicht von mir, sondern von der Festspielleitung. Es geht um die entsündigte Natur im 3. Akt. Ein nackter Mensch hat nicht per se Schuld, nur weil er nackt ist. Und eine nackte Frau ist ja wohl noch nicht per se eine Islamkritik, nur weil der Islam Frauen verhüllt sehen will.

Eigentlich ist das für einen Regisseur angesichts der Dickleibigkeit des zeitgenössischen Publikums doch ein Traum: dass Religion das Zeug hat, aufzurütteln und zu provozieren...

Laufenberg: Über Provokationen denke ich kurioser Weise nicht nach, aber sie passieren mir. Das hat aber mit meiner Arbeit eigentlich nichts zu tun. Wenn man über Sexualität und übers Sterben redet, dann ist das Publikum natürlich berührbar und empfindlich. Und das zu Recht, weil das die Themen sind, die uns als Menschen im Innersten berühren, und die wir auch schützen wollen. Aber das Theater spielt mit allem, auch damit. Das Theater ist in allen Formen in unserer Zeit frei, und so können wir ja heute Dinge machen kann, von denen Wagner nur geträumt hat. Der hat die Tizianische Venus als Kundry gesehen. Er wollte, dass die nackt auf dem Sofa liegt und als Herzeleide den jungen Parsifal verführt. Das machen wir übrigens auch nicht, Frau Pankratova muss keine Angst haben, dass ich an sie so etwas herantrage. Aber wenn wir eine Sängerin als Titzianische Venus suchen würden, dann würden wie sie finden. Auch den Venusberg im „Tannhäuser“, den „Tristan“, zweiter Akt, wo es ganz stark um Entgrenzung und Sexualität geht - das könnte man heute alles tabufrei darstellen, natürlich nicht in islamischen Ländern.

Auch hierzulande muss Kunst geschützt werden. Sie erleben das gerade in Wiesbaden, mit der von Sicherheitsleuten überwachten Inszenierung der „Satanischen Verse“ von Salman Rushdie.

Laufenberg: Wobei ich die Sicherheitsmaßnahmen nicht bestellt habe. Es war vielmehr so, dass die Polizei meinte uns anraten zu müssen, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Wir haben einen Sicherheitsdienst angestellt. Man muss sich mit Personalausweis ausweisen, man wird mit Detektoren untersucht, wie es übrigens in Frankreich mittlerweile in allen Theatern gemacht wird, in Tel Aviv natürlich auch. Es ist die Frage, ob wir das in Deutschland auch überall machen müssen. In Stadien ist das mittlerweile schon so. Ich bin der Meinung, dass solche Maßnahmen nicht besonders zur Sicherheit beitragen. Terror kann Ihnen genauso gut in einem Restaurant oder an einem Bahnhof widerfahren. Solche Anschläge sind nicht zielgerichtet, sondern wahllos, eben um eine offene Gesellschaft zu treffen. Ich finde, dass Angst uns nicht gut tut. Und wir sollten nicht solcherart darauf antworten, dass wir unsere Gesellschaft abschotten.

Schlagzeilen sind Schlagzeilen. Mancher Intendant würde so ein Aufsehen auch als Werbung betrachten.

Laufenberg: Gerade bei den „Satanischen Versen“ geht es mir aber darum, dass das Werk wieder sichtbar wird, dass es seinen Fluch verliert gefährlich zu sein. Im Radio ist kürzlich behauptet worden, dass dieses Werk so und so viele Menschen getötet habe. Das finde ich eine Ungeheuerlichkeit. Ein Buch tötet keine Menschen, sondern Menschen töten Menschen. Die Behauptung, dass dieses Buch Menschen veranlasst haben soll, Menschen zu töten, ist einfach nicht gerechtfertigt. Im Gegenteil, in diesem Buch wird weder aufgehetzt noch beleidigt. Über den Islam werden Sachen berichtet, die in der Geschichte des Islam festgeschrieben sind, die in islamischen Ländern auch jeder weiß. Die satanischen Verse sind im Koran vermerkt, sie wurden eben getilgt, wie es auch in der Bibel getilgte Passagen gibt. Insofern ist dieses Buch ein Appell an eine multikulturelle Gesellschaft. Es geht um Menschen, die ihre Wurzeln in Indien haben, die nach Europa gelangen, aber immer in diesem Zwiespalt zwischen kultureller Herkunft und dem Wunsch nach Anpassung stecken. Darüber berichtet dieses Buch, und wir wollen den Mut zeigen, große Literatur auch sichtbar zu machen. Ich ordne das ein wie „Meister und Margarita“ von Michail Bulgakow.

Eines der ganz großen Bücher des 20. Jahrhunderts.

Laufenberg: Ja, Stalin hat das Buch trotzdem verboten. Und nun stellen Sie sich vor, wir würden dieses Buch nicht lesen oder aufführen, weil wir denken, Herr Stalin hat einen Fluch dagegen ausgesprochen. Das regt mich auf: dass wir Meinungen einfach übernehmen und uns dann pflichtschuldigst bedroht fühlen und meinen, das Buch unter Verschluss halten zu müssen.

Intendant zu sein, Maifestspiele zu leiten, selber auf der Bühne zu stehen, in Bayreuth zu inszenieren, und dann sind Sie auch Gastgeber für die Biennale in Wiesbaden – wie packen Sie dieses Pensum?

Laufenberg: Das sind Aufgaben, die einem zuwachsen. Als ich die Kölner Oper übernommen habe, habe ich gedacht, ich muss mich ausschließlich auf die Oper konzentrieren. Das habe ich dann auch gemacht, Sie wissen, nicht mit dem besten Ausgang, obschon wir 2012 als bestes Opernhaus des Jahres ausgezeichnet wurden. Damit, dass ich eine tolle internationale Oper dort machen wollte, war die Stadt überfordert. Oder jedenfalls die damalige Stadtregierung. Aber wohl auch die heutige.

Nun bin ich hier, in Wiesbaden, und übe mich wieder an mehreren Sparten, veranstalte zwei Festivals, die Biennale und das Maifestival, bin als Schauspieler und Regisseur in Oper und Schauspiel beschäftigt. Und das scheint uns allen ganz gut zu tun. Ich habe, bevor ich Wiesbaden übernommen habe, ein Sabbatical gemacht. Ich habe währenddessen aber auch den „Ring“ in Linz angefangen, und als in Wiesbaden die Arbeit anfing, hatte ich auch noch die Verpflichtung mit der Wiener Staatsoper, mit „Elektra“, und so war ich auf einmal damit konfrontiert, dass ich drei Gastproduktionen zu bewältigen hatte, und dazu die Intendanz, und dass ich natürlich auch noch hier Inszenierungen machen musste.

Also, in den Jahren 14/15 war das die totale Überforderung. Aber wie die Dinge im Leben so sind: Manchmal kommt alles zusammen, und dann ist wieder Funkstille. Ich habe ich diese Jahre gesundheitlich so grade überstanden, aber mit viel Lust und eigentlich guten Ergebnissen. Es hat mir viel Spaß gemacht. Und ich merke, dass es mir gut tut, zu spielen, weil ich dann in Kontakt bin zu meinen Mitspielern, zu meinem Theater, zum Publikum auch. Es macht Spaß, die Vorstellungen sind ausverkauft, und die Leute applaudieren mir. Und das ist es doch, weswegen man Theater macht.

Was verbindet Sie mit Bayreuth?

Laufenberg: In Bayreuth war ich in den vergangenen Jahrzehnten eigentlich fast jedes Jahr. Ich habe seit dem Chereau-„Ring“, glaube ich, fast jede Neuinszenierung gesehen. Den Chereau- „Ring“ habe ich im letzten Jahr gesehen. Das war für mich eines der markantesten Erlebnisse. Ich bin in Köln mit dem Wieland-„Ring“ aufgewachsen, der auch seine unglaublichen Schönheiten hatte. Ich war verwöhnt mit Wagner. Aber dann Chereau – dass der das in wirkliches Theater, in wirkliche Menschen, in etwas Wiedererkennbares verwandelte, dieses Erlebnis, dass das alles mit uns Menschen zu tun hat – das hat mich überrumpelt, das hat mir die Augen geöffnet. Seitdem bin ich immer wieder nach Bayreuth gepilgert, in der Hoffnung, wieder eine solche Inszenierung zu sehen. Und manchmal findet sie ja auch statt.

Was kam an nächsten hin?

Laufenberg: Der „Holländer“ von Kupfer, eine tolle Aufführung. Den „Lohengrin“ von Neuenfels fand ich auch toll. Wenn man da die Ratten sieht, denkt man sich, mein Gott, was hat denn das mit „Lohengrin“ zu tun. Aber dann hat Neuenfels seine Leute überragend geführt. Und so wird ein Menschenexperiment sichtbar. Lohengrin führt es durch, als er Elsa wie ein Versuchstier untersucht, daraufhin, ob sie Liebe ins Abstrakte oder Absolute übertragen kann. Was natürlich scheitern muss. Das war stark inszeniert, musiziert und gesungen.

INFO: Mit Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung des „Parsifal“ beginnen am 25. Juli die Bayreuther Festspiele 2016. Laufenberg ist Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und bereits polizeischutzerprobt: Für Ihsan Othmanns Wiesbadener Inszenierung des Romans „Satanische Verse“ von Salman Rushdie wurden strenge Sicherheitsauflagen gemacht. Dieser Text ist die stark gekürzte Fassung eines Interviews, das in voller Länge Anfang Juli  im „Festspielkurier“ erscheint.

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