Abschied: Sozialreferent Carsten Hillgruber über Geld, Macht und die hohe Kunst der Stadtratsdiplomatie Interview: Sozialreferent sagt ade

Von Katharina Wojczenko
Im RW 21 und auf der Café-Terrasse ist Sozialreferent Carsten Hillgruber gern. Die Planung hat als Kulturreferent noch teilweise begleitet. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Carsten Hillgruber (49) war 16 Jahre lang Referent in der Bayreuther Verwaltung. Erst zuständig für Kultur, dann nicht mehr, was den passionierten Kirchenmusiker heute noch ärgert. Jetzt zieht der gebürtigen Holsteiner wieder nach Norden. Ein Gespräch über Geld, Macht und die hohe Kunst der Stadtratsdiplomatie.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Am 1. September wird Hillgruber Erster Stadtrat von Neumünster. "Meine Eltern werden nicht jünger", sagt er. Da kam die berufliche Herausforderung in Neumünster gerade recht.

Als Sozialreferent haben Sie das größte Budget im städtischen Haushalt unter sich. Hat Ihnen das besondere Macht gegeben?
Carsten Hillgruber: So aufregend ist das auch wieder nicht. Das Budget ist so hoch, weil es großteils um Aufgaben geht, zu denen die Stadt gesetzlich verpflichtet ist. Im Jugendbereich ist die Finanzierung der Kitas ein großer Batzen, der ständig wächst. Der Ausbau der Kindergarten- und Kitaplätze ist ja politisch gewollt. Zu Recht, wie ich finde.

Ähnliches gilt bei den Sozialausgaben, zum Beispiel bei der Beteiligung der Stadt an den Kosten für die Unterkunft bei Hartz-IV-Empfängern. Aus dem Haushalt des Schulreferats werden auch die Lehrer für die beiden städtischen Schulen WWG und Wirtschaftsschule das Personal der städtischen Kitas bezahlt. Diese Kosten sind kaum zu beeinflussen. Macht ist also das falsche Wort.

Worauf konnten Sie trotzdem Einfluss nehmen?
Hillgruber: Das ging weniger über direkte Entscheidungen. Ich habe vor allem versucht, die Diskussion in städtischen Gremien zu beeinflussen und so meine Anliegen durchzusetzen. Dadurch, dass ich selbst berichte und Vorschläge mache. Die Verwaltungsanträge stellt aber immer der OB, nicht der Referent.

Was waren denn Ihre Anliegen?
Hillgruber: Bei der Ganztagsschule haben wir in Bayreuth viel erreicht. Die erste war an der Albert-Schweitzer-Schule, kurz nachdem ich nach Bayreuth gekommen bin. Die Entscheidung war zwar nicht umstritten. Aber mir war wichtig, zu sagen: Das wollen wir an jeder Schulform und idealerweise an mehreren Schulen innerhalb einer Schulform haben.

Heute haben wir fast überall Ganztagsangebote. Auch die neue Form der OGTS-Kombi an der Grundschule St. Georgen läuft sehr gut, sagen Eltern und Träger.

Sehr stolz bin ich auf die neue Jugendherberge. Das jetzige Gebäude ist schon sehr veraltet. Das Jugendherbergswerk wollte eigentlich nicht mehr in Bayreuth investieren. Wir haben das durch gutes Verhandeln und eine europaweite Ausschreibung geändert.

Wo haben Sie sich nicht durchsetzen können?
Hillgruber: Aus meiner Sicht sind keine dramatischen Dinge in die Hose gegangen. 80 bis 90 Prozent der Themen, die im Stadtrat aufschlagen, werden ohne große Diskussion entschieden. Die Stadträte stehen sozialen Themen sehr offen gegenüber.

Ihr Herz gehört der Musik, Sie haben neben Jura Musikwissenschaft studiert, sind ausgebildeter Organist. Den Bereich Kultur haben sie 2006 verloren. Dafür hat man Ihnen mit Ralph Lange und zuletzt Fabian Kern zwei Mal einen Kulturreferenten vor die Nase gesetzt. Hat das weh getan?
Hillgruber:Oberbürgermeister Michael Hohl wollte nach seinem Amtsantritt jemand anderen für den Bereich Kultur, die bis dahin in meinem Referat mit angesiedelt war. Das habe ich als ärgerlich empfunden, und ich hatte nicht den Eindruck, dass es dafür einen Anlass gab. Über die Motive kann ich nur mutmaßen. Und Frau Merk-Erbe hatte schon im Wahlkampf gesagt, dass sie ein eigenes Kulturreferat wolle.

Haben Sie sich dafür beworben?
Hillgruber: Nein. Es war klar, dass ich dafür rathausintern nicht gewollt war. 

Egal, wie abstrus die Diskussionen im Stadtrat bisweilen wurden, Sie haben Haltung bewahrt. Machen Sie Yoga?
Hillgruber: Nee. Das fällt mir nicht schwer. Wir Referenten sind in Bayreuth Beamte aufs Lebenszeit. Wir müssen mit jedem Oberbürgermeister und Stadtrat sachlich und parteipolitisch neutral zusammenarbeiten. Der Stadtrat entscheidet.

Es gibt natürlich Situationen, da muss ich grinsen. Dass ich mich richtig ärgere, kommt aber selten vor. Das passiert nur bei persönlichen Angriffen, dann kann ich auch deutlich werden.

Wie haben Sie es als Nordlicht so lange in Bayreuth ausgehalten?
Hillgruber: Ich war ja zuvor schon seit Jahren weg aus Schleswig-Holstein, habe in Passau studiert, hatte meine erste Stelle in Köln, habe ein Jahr in London gelebt. Was ich sagen will: Ich bin nicht auf Dauer verheiratet mit dem Norden. Nach Bayreuth zu gehen, fiel mir nicht schwer, und ich habe immer gern hier gelebt. Bayreuth ist eine schöne Stadt und sie bietet viel, obwohl sie nicht groß ist.

Was ich zu wenig ausgenutzt habe, ist die Umgebung mit den vielen Brauereien, Biergärten und der tollen Natur und Sehenswürdigkeiten. Das liegt vielleicht auch daran, dass ich kein fürchterlicher Naturmensch bin.

Was sind Ihre künftigen Aufgaben als Erster Stadtrat von Neumünster?
Hillgruber: Sie entsprechen weitgehend meinen bisherigen Arbeitsfeldern in Bayreuth: Soziales, Schule, Jugend und Kultur. Und dazu noch Gesundheit und Sport.

Die Struktur ist anders als hier: Aktuell leiten nur drei Personen die Stadtverwaltung: Der Oberbürgermeister und – so heißt das in Schleswig-Holstein – zwei sogenannte Stadträte. Als Erster Stadtrat vertrete ich den Oberbürgermeister. Bürgermeister als seine Stellvertreter gibt es nicht.

Was hat Sie daran gereizt?
Hillgruber: Ich bin für Bereiche zuständig, in denen ich mich auskenne. Gleichzeitig ist es eine Weiterentwicklung, weil das Amt stärker politisch geprägt ist. Ich werde Beamter auf Zeit und bin als SPD-Mann nominiert, nehme auch an Fraktionssitzungen teil.

Karrieremäßig ist es ein Aufstieg. Die Bezahlung ist besser, dafür kann es sein, dass ich nach sechs Jahren keinen Job mehr habe, weil ich nur so lange gewählt bin.

Was unterscheidet Neumünster von Bayreuth?
Hillgruber: Neumünster ist eine klassische Industriestadt. Es gibt zwar schöne Parks und Villenviertel, aber die Arbeitslosigkeit liegt bei elf Prozent. 

Was wollen Sie hier unternehmen?
Hillgruber: Meine persönliche Überzeugung ist: Wenn man wirklich etwas verändern will, muss man so früh wie möglich ansetzen, in Krippe, Kita, Schule. Es geht unter anderem darum, dass Kinder möglichst lange und möglichst lange gemeinsam zur Schule gehen.

Als Verfechter der Gemeinschaftsschule tun Sie sich in Schleswig-Holstein leichter.
Hillgruber: Es ist wichtig, das schwache Schüler von den starken lernen können und diese sehen, dass es andere gibt, denen Lernen nicht so leicht fällt. Ich halte es für zu einfach, wenn man sagt, dass Kinder entweder nur handwerklich oder geistig begabt sind. Sie werden oft nicht ausreichend gefördert.

Besonders problematisch finde ich die Trennung von Kindern nach der vierten Klasse. Ich habe viele meiner Grundschulkameraden zum ersten Mal beim Klassentreffen nach 30 Jahren wiedergesehen.

Ihr Amt ist nicht nur politischer als bisher. Sie haben auch zwei Parteien im Rat, die Sie hier nicht hatten: die Linke und vor allem die NPD. Auf welche Grabenkämpfe stellen Sie sich hier ein?
Hillgruber: Grabenkämpfe erwarte ich nicht. Im Umgang mit der NPD bin ich für eine klare Abgrenzung. Da die Parteien jeweils nur einen Sitz in der Ratsversammlung haben, halte ich die Situation nicht für besonders problematisch.

Was nehmen Sie aus Bayreuth mit?
Hillgruber: Leider nicht meine Freunde. Ich nehme die berufliche Erfahrung von 16 Jahren mit. Die Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern im Rathaus und in den Dienststellen hätte nicht besser sein können.

Als ich in den Sozialbereich wechselte, haben mir meine kompetenten und geduldigen Dienststellenleiter sehr geholfen. In Neumünster kenne ich bisher nur einen Menschen: die ehemalige Bayreuther CSU-Stadträtin Bettina Boxberger. 

Eine Wagner-Statue vielleicht noch?
Hillgruber: Ich bin trotz der 16 Jahre kein Wagner-Fan geworden. War ich nicht und werde ich wohl auch nicht mehr. Das liegt an meiner musikalischen Prägung. Wenn man Kirchenmusiker ist, mag man Bach – und im Regelfall Wagner nicht so sehr. Musikalisch packt er mich nicht. Trotzdem ist eine Aufführung im Festspielhaus oder ein Besuch im hervorragend gelungenen Richard-Wagner-Museum für mich etwas Besonderes.

Hintergrund: Die Ära Hillgruber

2000 bis 2007: Referent für Schule und Kultur

2007 bis 2010: Schule, Soziales und Jugend

2010 bis 2014: Soziales und Jugend, Kultur

ab 2015: Schule, Familie und Soziales

Am 19. August hat er in Bayreuth seinen letzten Arbeitstag. Einen Nachfolger gibt es noch nicht.

Bilder