Terror: Verrückt machen lohnt nicht

Die Regionalbahn von Treuchtlingen nach Würzburg am 20.07.2016 im Bahnhof von Ochsenfurt. In den gleichen Zug stieg rund 48 Stunden vorher vermutlich der 17-jährige Afghane ein, der danach Zugreisende mit einer Axt und einem Messer angriff. Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa Foto: red

Die Regionalbahn 58130 fährt jeden Tag von Ochsenfurt nach Würzburg. An Tag zwei nach dem Attentat nehmen es die Fahrgäste gefasst hin, dass es ausgerechnet bei ihnen passierte. Protokoll einer Mitfahrt.

 
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Die untergehende Sonne wirft Lichtstreifen auf den schmalen Bahnsteig. Die Sommerhitze klingt nur langsam ab. Von einem Holzverschlag am stillgelegten Bahnhofsgebäude schält sich weiße Farbe. So oder so ähnlich muss der Bahnhof von Ochsenfurt sich auch dem 17-Jährigen gezeigt haben, als er am Montag um 20.57 Uhr hier in die Regionalbahn nach Würzburg stieg.

Der jugendliche Flüchtling hatte eine Axt und ein Messer dabei, offenbar mit dem Ziel «Ungläubige» zu töten. Am Mittwoch, genau 48 Stunden nachdem er einstieg, ist es ruhig auf dem Bahnsteig. Auf dem Parkplatz hinter der Unterführung wendet ein Trecker. Es sind nur wenige Menschen da, die meisten kommen erst kurz bevor der Zug ankommt.

Unter denen, die ein wenig früher kommen, ist Franziska Werner. Die 36-Jährige war im Kino, das Ochsenfurter Programmkino «Casablanca» ist bekannt in der Region. Jetzt fährt sie zurück nach Würzburg. Fährt die Angst nun mit? «Es bringt nichts, sich jetzt verrückt zu machen und zu sagen, jetzt fahre ich nicht mehr Zug», sagt sie. «Es war ein Einzelfall.»

Als auf Gleis 2 die Regionalbahn 58130 einfährt, steigen rund zehn Menschen ein. Mit ähnlich vielen Menschen ist am Montag wohl auch der Attentäter eingestiegen. Es heißt, er sei während der Fahrt dann auf die Toilette gegangen, um seine Waffen zu ziehen. Franziska Werner setzt sich eine Sitzreihe vor die Toilette. Man kann durch den gesamten Zug durchgehen, auch Zwischentüren gibt es nicht. «In solchen Zügen kann man sich ja auch nicht verstecken», sagt sie.

Die Bahn ist nur knapp zur Hälfte gefüllt. Es ist ruhig, die meisten Fahrgäste spielen auf ihren Handys, lesen oder schauen aus dem Fenster. Ein Schaffner kontrolliert die Fahrkarten. Die einzigen, die sich unterhalten, sind eine Touristen mit westfälischem Dialekt. Ähnlich wie sie saßen am Montag wahrscheinlich auch die Touristen aus Hongkong in der Bahn, die zu Opfern wurden.

In Winterhausen steigen die Westfalen aus. Hinter Winterhausen fährt die Bahn weiter den Main entlang, bis sie dann die Außenbezirke Würzburgs erreicht. Um 21.05 Uhr passiert der Zug die Stelle, an der am Montag die Bluttat begann. Mit Axt und Messer ging der 17-Jährige auf seine Opfer los. Wenige Minuten später kam der Zug nahe dem alten Haltepunkt Würzburg-Heidingsfeld zum Stehen. Jemand hatte die Notbremse gezogen. Seine Opfer hatte er offenbar zufällig ausgesucht, es hätte jeden treffen können. Franziska Werner blickt aus dem Fenster und sagt: «Kann man eh nichts gegen machen.»

Um 21.18 Uhr erreicht die Bahn den Würzburger Hauptbahnhof. Franziska Werner steigt aus, sie fährt mit der Straßenbahn weiter nach Hause. Eigentlich sei es verwunderlich, dass sich der Täter ausgerechnet eine kaum frequentierte Regionalbahn ausgesucht habe, sagt sie. «Gerade hier in der Gegend gibt es viele Weinfeste, da könnte man viel mehr Menschen treffen.»

Auch die übrigen Fahrgäste steigen aus. Verängstigt wirkt keiner von ihnen. «Die Wahrscheinlichkeit, dass es noch mal auf der gleichen Strecke passiert, ist nahe Null», sagt eine Frau. Sie war am Sonntagabend, einen Tag vor dem Attentat, mit der Regionalbahn gefahren. Diskussionen in der Familie habe das schon gegeben, erzählt sie. Wirklich Angst habe sie nicht, eher ein «mulmiges Gefühl». Die Anschläge in Frankreich und Belgien seien weit weg gewesen - «es kommt immer näher».

dpa

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