IS beansprucht Axt-Attacke für sich

Die Attacke kommt aus heiterem Himmel: In einem Regionalzug geht ein 17 Jahre alter Asylbewerber aus Afghanistan mit Axt und Messer auf Fahrgäste los. Vier Menschen werden schwer verletzt, zwei von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Die Opfer sollen aus Hongkong stammen. Am Dienstagmorgen hat das Landeskriminalamt die Ermittlungen übernommen. Am Vormittag bekannte sich der IS zu dem Anschlag.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Auf der Terrasse steht ein orangefarbener Sonnenschirm, an den gepflegten Garten grenzt ein Maschendrahtzaun. Mit laut kreischenden Bremsen stoppt direkt hinter dem Doppelhaus in Würzburg-Heidingsfeld an diesem Montagabend völlig unerwartet ein Regionalzug. Die Reisenden haben kurz zuvor einen Alptraum erlebt.

Der Jugendliche kann flüchten

Ein junger Mann greift völlig unvermittelt Fahrgäste mit einer Axt und einem Messer an. Bei dem Täter soll es sich nach Angaben des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) um einen 17-jährigen Flüchtling aus Afghanistan handeln. Vier Menschen werden schwer verletzt, ein weiterer Reisender leicht. 14 Passagiere erleiden einen Schock. Der Jugendliche flüchtet, weil jemand die Notbremse zieht, wird von der Polizei verfolgt - und dann erschossen.

Alles voller Blut im Waggon

«Wie in einem Schlachthof» habe es in dem Zug ausgesehen, berichtet ein Augenzeuge, der nebenan wohnt. Erste Bilder aus dem Inneren des Waggons belegen dies. Auf dem Boden des Abteils ist Blut zu sehen, daneben liegen zerknüllt eine Rettungsdecke und Verbandsmaterial. Der Zeuge berichtet, wie mehrere Passagiere nach der Bluttat aus dem Zug kletterten und ihn nach einem Verbandskasten fragten. Drinnen hätten noch Verletzte gelegen, so der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte.

Landeskriminalamt und Innenministerium wollen mutmaßlichen islamistischen Hintergrund prüfen

Laut Herrmann war der mutmaßliche Angreifer als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen. Das berichtet der Innenminister schon kurz nach der Tat in mehreren Fernsehinterviews. Gibt es Erkenntnisse, dass die Tat einen islamistischen Hintergrund haben könnte?

«Das ist jedenfalls nicht auszuschließen», sagt der CSU-Politiker am frühen Dienstagmorgen der Deutschen Presse-Agentur. Es gebe eine Aussage, wonach der Jugendliche, kurz bevor er von der Polizei erschossen wurde, «einen islamischen Ausruf gemacht haben soll». Dies werde aber im Moment noch genau überprüft.

Ein weiterer Nachbar, der durch die laute Notbremsung des Zuges aufgeschreckt wurde, will Ähnliches gehört haben. Kurz nachdem der Zug zum Stehen gekommen sei, habe es einen lauten Ruf gegeben. «Etwas Nicht-Deutsches», sagt der Mann. Ob es Arabisch gewesen sei, konnte er nicht sagen.

Zeugenvernehmung dauert noch an

«Es war gegen 21.15 Uhr, als uns der Notruf aus einer Regionalbahn erreicht hat», sagt der Sprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken, Michael Zimmer. «Es werden zahlreiche weitere Zeugen vernommen. Was vor der Tat passiert ist, können wir zur Stunde noch nicht sagen.»

Etwa 25 bis 30 Menschen saßen nach Angaben der Bundespolizei in der Bahn von Treuchtlingen nach Würzburg - sie war kurz vor dem Ziel, als der Angreifer die Reisenden attackierte. Was genau sich in dem Zug abspielte, muss die Polizei noch ermitteln. Per Nothalt kommt die Bahn zum Stehen. Wer die Notbremse gezogen hat, ist bisher unklar. Der Angreifer springt etwa einen halben Meter tief auf den Bahndamm und flüchtet zu Fuß.

Ein SEK war zufällig in der Nähe

Ein Sondereinsatzkommando, das zufällig in der Nähe gewesen sei, habe die Verfolgung aufgenommen, so Herrmann. Als der 17-Jährige mit seinen Waffen auf die Einsatzkräfte losgegangen sei, hätten diese das Feuer eröffnet. Der junge Mann wird getötet.

Die Polizei gehe nach Zeugenaussagen von einem Einzeltäter aus, sagt Herrmann. Der 17-Jährige, der ohne Eltern nach Deutschland gekommen sei, habe seit einiger Zeit im Landkreis Würzburg gelebt, in einer Einrichtung in Ochsenfurt. Zuletzt habe er bei einer Pflegefamilie gewohnt.

Wohnviertel bleibt vorerst gesperrt

Das Gelände in dem beschaulichen Wohnviertel an der Bahnstrecke ist am Montagabend weiträumig abgesperrt. Die umliegenden Straßen sind gesperrt. Nur Nachbarn können einen Blick auf den Zug werfen. Die Polizei beginnt in der Zwischenzeit mit umfangreichen Ermittlungen: «Was hat er in den letzten Tagen und Wochen unternommen, was ist aus seinem Umfeld bekannt, was findet sich in seinem Zimmer - das muss genau ermittelt werden, damit man sich ein Bild machen kann», sagt Herrmann.


Die Bahnstrecke Würzburg-Ansbach war zunächst gesperrt. Ein Schienenersatzverkehr mit Bus zwischen Ochsenfurt und Würzburg Hbf wurde eingerichtet. 

Opfer chinesische Touristen

Bei den Opfern soll es sich um chinesische Touristen aus Hongkong handeln, berichtet am Dienstagmorgen die Agentur dpa und bezieht scih dabei auf eine Honkonger Zeitung. Es handele sich um eine Familie und einen Freund, berichtete die Hongkonger Zeitung «South China Morning Post» am Dienstag unter Hinweis auf die Behörden in der asiatischen Wirtschaftsmetropole. Bayerns Innenminister Herrmann bestätigte dies im ZDF-"Morgenmagazin".

Die vier Verletzten seien ein Vater (62) und die Mutter (58) einer Tochter (27) und deren Freund (31) gewesen. Der Vater und der Freund hätten versucht, die anderen Mitglieder in der Gruppe vor dem Angreifer zu schützen. Ein fünfter Mitreisender, der 17-jährige Sohn, sei unverletzt davongekommen, berichtete das Blatt.

Was bisher über den Täter bekannt ist

Auf seiner Flucht verletzte der Täter auch noch eine Anwohnerin in Heidingsfeld. Zwei Menschen sind lebensgefährlich verletzt, informierte Innenminister Herrmann im ZDF-"Morgenmagazin". Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand gehen die Ermittler von einem Einzeltäter aus. Der 17-Jährige aus Afghanistan sei vor zwei Jahren als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland gekommen. Er ist seit einem Jahr als Asylbewerber registriert, wohnte in einem entsprechenden Heim und in den letzten zwei Wochen bei einer Pflegefamilie.

"Bereits beim ersten Notruf aus dem Zug um kurz nach 21 Uhr wurde berichtet, der Jugendliche habe 'Allahu Akbar' gerufen", sagte Herrmann. Dem wird nun bei weiteren Zeugen-Aussagen nachgegangen.

Ob der junge Afghane sich selbst radikalisiert hat oder einer IS-Gruppe angehört, ist derzeit noch unklar. In seinem Zimmer wurde aber eine handgemalte IS-Flagge gefunden.

Die Frage ist nun, ob es sich um einen Anschlag oder einen Amoklauf handelt, erläuterte Herrmann. "Die Hintergründe müssen sorgfältig ermittelt werden, momentan sind das viele Spekulationen. Aber die Tat ist keine 12 Stunden her".

Was sind die Konsequenzen?

"Natürlich kann nicht in jedem Bahn-Waggon ein Polizeibeamter präsent sein, aber wir müssen die Polizei-Präsenz erhöhen", sagte Herrmann im ZDF-"Morgenmagazin". "Mit der Gefahr müssen wir leider leben. Gegen einen Einzeltäter sind wir machtlos, da kann Ihnen an jeder Straßenecke etwas passieren, das muss auch jedem klar sein. Wir wollen aber alles dafür tun, möglichst frühzeitig zu erkennen, ob jemand aus dem Ruder läuft bzw. sich radikalisiert."

 

Update 10.55 Uhr: IS beansprucht Axt-Angriff für sich

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hat laut Angaben aus ihr nahestehenden Kreisen die Verantwortung für die Axt-Attacke übernommen. Bei dem Angreifer handele es sich um einen IS-Kämpfer, berichtete die IS-nahe Nachrichtenagentur Amak am Dienstag im Internet. Der Angreifer habe auf Aufrufe reagiert, die Länder der internationalen Koalition anzugreifen, die den IS bekämpfen.

Die Echtheit der Erklärung ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. In ähnlicher Form hatte der IS zuvor die Verantwortung für das Attentat von Nizza übernommen. Eine Erklärung direkt von der Terrormiliz wurde danach bislang nicht veröffentlicht. Unklar ist in beiden Fällen, ob der IS dabei nur als Trittbrettfahrer auftritt.

 

 

Hintergrund: Viele unbegleitete Flüchtlinge aus Afghanistan

Fast jeder zweite unbegleitete junge Flüchtlinge in Bayern stammte zuletzt aus Afghanistan. 17,5 Prozent der 2015 registrierten minderjährigen Flüchtlinge im Freistaat kamen aus Syrien, 10 Prozent aus Eritrea und 7,5 Prozent aus Somalia. Ende März dieses Jahres waren nach Angaben des Sozialministeriums mehr als 15.500 minderjährige Flüchtlinge in Bayern untergebracht.

Zuständig für sie sind die Jugendämter. Im Rahmen eines sogenannten Clearingverfahrens stellen Fachleute zunächst fest, welche Art von Hilfe der jeweilige Jugendliche baucht und wo er untergebracht werden kann. Das kann ein Heim, eine Wohngruppe oder Pflegefamilie sein. Noch 2012 und 2013 hatten nur wenige hundert minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung im Freistaat Schutz gesucht. Dann stieg die Zahl stark an. Seit vergangenem Herbst werden sie wie erwachsene Asylbewerber nach einem festgelegten Schüssel auf die Bundesländer verteilt.

Zur Einordnung: 96.000 Kinder - das ist etwa ein Viertel aller Kinder, die 2015 in Europa um Asyl suchten - waren laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) unbegleitet

dpa/red

Autor

Bilder