Sigrid Kerschensteiner über ihr Leben als Ordensschwester Interview: Kloster statt Küsse

Von Martina Bay
Schwester Sigrid mit dem Christuskreuz, das sie sich in Assisi gekauft hat. Foto: Ralf Münch Foto: red

Seit 50 Jahren lebt Schwester Sigrid im Kloster. Die 72-Jährige hat die strengen Kleidervorschriften gelockert und ein rettender Engel war sie auch schon. Nur einmal wäre sie fast aus dem Kloster abgehauen.

 
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Bis Weihnachten sprechen wir jeden Tag mit Menschen aus Bayreuth und der Region über ein Zitat aus der Bibel, das Pfarrer Otto Guggemos ausgesucht hat. Das Zitat für das Interview mit Schwester Sigrid (bürgerlich Sigrid Kerschensteiner) lautet: Sieh, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr (Lukas 1,38).

Sehen Sie sich auch als Magd des Herren?

Schwester Sigrid: Ja, das tue ich. Ich sehe mich aber nicht als unterwürfige Dienerin oder von Gott abhängig. Für mich ist es eine Ehre. Sonst wäre ich nicht ins Kloster gegangen.

Wollten Sie auch schon mal aus dem Kloster abhauen?

Schwester Sigrid: Ja. In meinen Zwanzigern hat sich ein Mann so heftig in mich verliebt. Er hat mir Briefe geschrieben. Ich musste sehr mit mir kämpfen.

Und dann? Lief zwischen Ihnen etwas?

Schwester Sigrid: Auch Schwestern sind Menschen mit Gefühlen. Vor allem wenn sie jung sind und das Blut noch heiß ist. Ich bin in eine schmerzhafte Krise geraten. Aber schließlich wollte ich meiner Berufung treu bleiben und habe auf die Partnerschaft verzichtet.

Was halten Sie vom Zölibat?

Schwester Sigrid: Für mich wäre es vollkommen in Ordnung, wenn sich Priester für eine Frau entscheiden dürften. Das Zölibat ist von Christus nicht verlangt worden. Aber die Kirche ist immer größer gewachsen und man hatte die Erfahrung gemacht, dass Priester für die Familie kaum noch Zeit hatten. Für mich ist ein Priester genauso wertvoll, wenn er eine Familie hat. Dann ist er vielleicht auch dem wirklichen Leben näher.

Hat Gott Ihnen gesagt, dass Sie Nonne werden sollen?

Schwester Sigrid: Gott spricht mich nicht direkt an. Er ist für mich der Allerhöchste. Gott hat seine Boten. Das sind nicht nur Engel, das können auch Menschen sein.

Glauben Sie an Engel?

Schwester Sigrid: Und ob. Ich bin auch schon ein Engel gewesen.

Das müssen Sie erklären.

Schwester Sigrid: Ich war einmal mit Jugendlichen in Assisi. Ich habe dort an einem Abend gesehen, wie ein Mädchen aus der Gruppe weinend aus dem Lokal gelaufen ist. Ich bin ihr nachgelaufen und habe zu ihr gesagt: 'Wenn du reden willst, kannst du zu mir kommen. Ich bin in meinem Zimmer und bete für dich.' Von ihrer Freundin wusste ich, dass sie Probleme zu Hause und durch ihren Freund auch mit Rauschgift zu tun hatte. Sie kam an dem Abend zwar nicht zu mir, aber dafür zwei Jahre später. Sie bedankte sich bei mir und sagte, dass ich ihr damals das Leben gerettet hätte. Sie wäre nämlich aus dem Fenster gesprungen, wenn ich sie nicht aufgesucht hätte.

Mit welchen Sorgen kommen die Menschen zu Ihnen?

Schwester Sigrid: Viele Eltern kommen zu mir, die sich um ihre Kinder Sorgen machen. Es geht um Drogen- oder Erziehungsprobleme. Auch macht es Ihnen zu Schaffen, dass ihre Kinder keine Ahnung mehr vom Glauben haben und sie wissen nicht, wie sie damit umgehen sollen. Auch die Senioren in dem Haus, in dem ich lebe, freuen sich, wenn ich mir Zeit für sie nehme.

Hat man als Nonne auch mal Urlaub oder ist das ein 24-Stunden-Job?

Schwester Sigrid: Wenn ich ein bischen Zeit habe, dann fahre ich mit dem E-Bike. Jetzt fahre ich meine 20 Kilometer pro Stunde über Berg und Hügel und der Akku wird schnell leer.

Bekommen Sie eigentlich Taschengeld?

Schwester Sigrid: Wir kriegen ein Verfügungsgeld. Im Quartal bekommt jede Nonne Geld überwiesen. Wenn das Geld nicht reicht, kann man sich noch einmal bei der Ordensleitung melden - in meinem Fall in Vierzehnheiligen. Man kann damit vernünftig leben. Ich bekomme viele Spenden. Damit unterstüzte ich meine Mitschwestern in den Armenvierteln von Peru und Indien.

Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie gesagt haben, dass Sie Nonne werden wollen?

Schwester Sigrid: Sie haben mir freien Lauf gelassen. Sie haben mein Temperament gekannt. Meine Mutter hat mich auch mal gefragt, ob ich nicht zurückkommen will. Aber ich habe Vieles im Kloster gesehen, was mir nicht gefallen hat und das wollte ich ändern.

Was hat Sie denn gestört?

Schwester Sigrid: Allein schon die einengende Kleidung. Alles zu. Nur Gesicht, Hände und Füße haben rausgeschaut. Da habe ich mich eingesetzt, dass sich was ändern muss. Heute ist das kein Problem mehr. Ich kann mich mit Hemd und Radlhose auf mein Fahrrad setzen und die Leute erkennen mich trotzdem.

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