Was Bibel und Klassenkampf verbindet

Von Heike Hampl
Peter Igl kämpft für Gerechtigkeit. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Bis Weihnachten sprechen wir mit Menschen aus Bayreuth und der Region über ein Zitat aus der Bibel, das Pfarrer Otto Guggemos ausgewählt hat. Den Anfang macht Peter Igl, Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft Verdi. Im heutigen Bibelzitat geht es um Klassen, um Arme, um Reiche – und um Gerechtigkeit. Und damit um das, was Peter Igl antreibt.

 
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Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

Lukas 1,52f.

Herr Igl, in der Bibel gibt es die "Gewaltigen" und die "Niedrigen". Können wir unsere Gesellschaft immer noch so einteilen?

Peter Igl: Als ich das Bibelzitat gelesen habe, habe ich mir überlegt: Welche Reaktion würde mir als Gewerkschafter entgegenschlagen, wenn ich so etwas sagen würde? Dann würde mir gleich Klassenkampfrhetorik unterstellt. Aber natürlich passt dieser Spruch wie die Faust aufs Auge. Nicht mehr im Sinne von Königen und Untergebenen. Ich transportiere dieses Bild in die Arbeitswelt und die Politik. Da haben wir Regierende und die, die regiert werden. Und wir haben Arbeitgeber, also die Manager, und die Arbeitnehmer. Und dazwischen verlaufen die Grenzen.

Eigentlich geht es uns doch allen gut. Wir haben ein Dach über dem Kopf, wir haben zu essen. Wer sind die "Hungrigen"?

Igl: Darunter fasse ich alle Obdachlosen. Davon gibt es jede Menge und bestimmt auch welche, die freiwillig so leben. Aber für mich gehören auch die zu den Hungrigen, die zwangsweise nur in Teilzeit arbeiten können. Die, die zwangsweise immer nur befristet beschäftigt werden. Die, die zwangsweise zu Arbeiten verpflichtet werden, weil sie Leistungsempfänger sind. Alle die, die zu etwas gezwungen werden, um ihr Überleben zu fristen und die, die Ungerechtigkeit erfahren, sind Niedrige und Hungrige.

Wollen Sie als Gewerkschafter, dass die Reichen leer ausgehen?

Igl: Nein, das wäre zu einfach. Meine Motivation war immer das Streben nach Gerechtigkeit. Es ist mir vollkommen wurscht, dass es reiche Menschen gibt. Neid ist mir fremd. Aber gerecht muss es zugehen.

Müssen die Reichen mehr geben?

Igl: Ja, weil es nicht sein kann, dass die Durchschnittsverdiener und Geringverdiener das Staatswesen aufrecht erhalten während auf der anderen Seite riesige Vermögen angehäuft und vererbt werden. So kommen Menschen durch Nicht-Arbeit zu Reichtum, nur durch Anlage von Geld. Diese Menschen verdienen mehr, als man mit seiner Hände Arbeit jemals erreichen kann.

Das Bibelzitat beweist uns, dass es dieses Gefälle schon vor 2000 Jahren gab. Warum verschwindet es nicht aus unserer Gesellschaft?

Igl: Die Gewerkschaften haben nicht die Macht, die oberen vom Thron zu stoßen. Das ist auch gar nicht unser Ansinnen. Das würde auf Gleichmacherei hinauslaufen, und das wollen wir nicht. Menschen sind unterschiedlich, haben unterschiedliche Bedürfnisse und strengen sich auch unterschiedlich an. Es geht nicht darum, jemanden zu stürzen oder ihm etwas wegzunehmen. Es geht um Gerechtigkeit. Die Mächtigen sind aber auch die Politiker, deren Aufgabe es auch wäre, für Gerechtigkeit zu sorgen. Wir erleben oft das Gegenteil. Man denke nur an die Tarifflucht des Bezirkes mit seinen Kliniken und Heimen. Schlimm sowas.

Was bedeutet Gerechtigkeit?

Igl: Gerechtigkeit hat mit Teilen zu tun. Es ist nicht hinnehmbar, dass mehr als eine Million Menschen nicht mal jeden zweiten Tag eine vernünftige, warme Mahlzeit kriegen und es auf der anderen Seite Million Millionäre oder gar Milliardäre gibt. Das ist meine Antriebsfeder, der Grund dafür, warum ich bei der Gewerkschaft arbeite und mich politisch einmische.

Sind Sie so gläubig, dass Ihr Sinn für Gerechtigkeit auch aus dem Glauben herrührt?

Igl: Ich bin gläubig. Aber mit der Kirche an sich kann ich relativ wenig anfangen.

Weil es innerhalb der Kirche auch Hierarchien, Mächtige und Beherrschte gibt?

Igl: Ja. Und ich kenne die Kirche eben auch als Arbeitgeber. Und das, was die Kirche als Arbeitgeber tut, geht nicht immer mit meinem Glauben überein.

Innerhalb der Gewerkschaft sind Sie der Mächtige. Kommen Sie mit dieser Rolle zurecht?

Igl: Ich erlebe die Macht als solche nicht. Ich erlebe viel öfter Ohnmächtigkeit. Ich habe aber auch kein Problem mit meiner Funktion. Ich denke, dass ich verantwortungsvoll mit meiner Rolle umgehe.

Ist Ihr Job manchmal frustrierend?

Igl: Sicher. Man muss sich einen Sinn für die Realität erhalten und damit leben, dass der Kompromiss den Sieg bedeuten kann.

Das klingt sehr bescheiden.

Igl: Ich muss mich nur an meine Ausbildungszeit erinnern. Als ich angefangen habe zu lernen, musste ich noch jeden zweiten Samstag zur Arbeit, musste 42 Stunden arbeiten. Bei den meisten ist das heute anders. Das sind Errungenschaften der Gewerkschaften. Als bescheiden würde ich mich nicht bezeichnen. Und wenn ich es täte, wäre das ja schon wieder unbescheiden.

Außer der Gerechtigkeit, welche Ideale treiben Sie an?

Igl: Mit einem Ideal gehe ich nicht in Gespräche oder Verhandlungen. Dafür bin ich vielleicht zu alt, zu erfahren. Ich definiere mir eine Richtung, in die es gehen soll und versuche diesem Weg so weit wie möglich zu gehen. Aber man muss auch erkennen, wenn es nicht weitergeht. Und Waffen, die man hat, richtig einsetzen.

Sie meinen den Streik?

Igl: Als letztes Mittel. Aber damit muss man sehr verantwortungsvoll umgehen.

Wenn Sie auf Ihre Jahre als Gewerkschafter zurückschauen, bereuen Sie eine Entscheidung?

Igl: Da fällt mir wirklich nichts ein. Ich drücke mich oft pointiert aus, ich provoziere auch mal. Aber ich versuche trotzdem immer, besonnen zu reagieren.

Müssen Sie viel Kritik einstecken?

Igl: Ja, aber ich kann nicht wirklich nachvollziehen, warum. Im Prinzip profitieren alle Arbeitnehmer von unserer Arbeit. Aber der Gewerkschaftsfunktionär genießt kein hohes Ansehen. Vielleicht liegt das daran, dass wir viel um Mitglieder werben. Aber wenn Kritik von der richtigen Seite kommt, dann ist sie ein Kompliment.

Bei vielen Streiks fehlte zuletzt der breite Rückhalt in der Bevölkerung. Kränkt Sie das?

Igl: Ich sehe das nicht so. Ich erlebe eher, dass in der Gesellschaft ein großes Verständnis für Streiks da ist. Die Frage ist, wie hoch der Leidensdruck bei denen ist, die unter dem Streik leiden müssen. Da ist irgendwann eine Grenze erreicht, und ich kann nachvollziehen, wenn das Verständnis dann auch mal nachlässt. Das muss man erdulden.

Die Religion hat schon lange vor der Gewerkschaft propagiert, soziales Ungleichgewicht auszugleichen.

Igl: Ja, das Zitat, über das wir reden, ist hochmodern.

Glauben Sie an eine Gesellschaft ohne soziale Gräben?

Igl: Es wäre ja schlimm, wenn ich meine Ideale verlieren würde. Ich glaube daran, ja. Aber ob ich es erlebe, ist eine andere Frage. Ich glaube, bei unserer Arbeit ist der Weg das Ziel.

Auch, wenn er Tausende Jahre lang ist?

Igl: Werte verändern sich. Ich weiß nicht, ob in den Nachkriegsjahren Gewerkschaften so deutlich für die Gleichstellung von Mann und Frau eingetreten sind. Es werden sich immer wieder neue Felder auftun, an denen man arbeiten muss. Das Gegenüber verändert sich. Heute steht da kein klassischer Arbeitgeber mit Zylinder und Stock, heute steht da das Management. Leute, die von den Hochschulen kommen und nichts als den neoliberalen Mainstream kennen. Das sind die, die den Schaden anrichten. Wenn mit jeder Massenkündigung die Aktienkurse in die Höhe gehen. Da läuft vieles in die falsche Richtung.

Statt in den Klassenkampf zu ziehen, drehen Sie heute aber lieber an kleinen Stellschrauben.

Igl: Nicht statt. Das ist der Klassenkampf. Der bekannte amerikanische Milliardär Warren Buffett hat gesagt: "Wir stecken im Klassenkampf. Und glauben Sie mir, wir werden gewinnen." Er ist ein klassischer Kapitalist. Und ich glaube ihm nicht.

Wer gewinnt?

Igl: Die Vernunft. Und letztlich die Gerechtigkeit.

 

 

 

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