Im Streit um neue Hausarztverträge steht Gesundheitsministerin Melanie Huml vor Zwangsmaßnahmen gegen die Kasse AOK Bayern frustriert Hausärzte

Von Peter Rauscher
Philipp Eder, Arzt in Mistelbach, ärgert sich über die AOK Bayern. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Ärzte wie er sind heiß begehrt. Philipp Eder hat sich vor knapp eineinhalb Jahren als Hausarzt in Mistelbach niedergelassen. Der heute 37-Jährige ist gerne Landarzt, aber er macht sich Sorgen, dass es zu wenige gibt wie ihn, um die ärztliche Versorgung auf dem Land künftig aufrechtzuerhalten. Die AOK Bayern, findet Eder, ist beim Streit um neue Hausarztverträge gerade dabei, jungen Kollegen die Lust auf diesen Beruf zu nehmen. Es geht um Geld – und wohl auch um Macht.

 
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Seit Monaten streiten AOK Bayern, Hausärzteverband und Bayerisches Gesundheitsministerium um die Hausarztverträge. Die Kassen sind gesetzlich verpflichtet, solche Verträge anzubieten, doch eine Einigung zwischen AOK und Hausarztverband kam nicht zustande. Den daraufhin ergangenen Schiedsspruch eines unabhängigen Schlichters setzt die AOK nicht um. Damit begeht sie Rechtsbruch, werfen ihr der Hausärzteverband und das Bayerische Gesundheitsministerium vor. Ministerin Melanie Huml (CSU), selber Ärztin aus Bamberg, will die Kasse nun dazu zwingen. Einen Verpflichtungsbescheid hat sie angekündigt.

Diese Drohung, bislang einmalig in der bayerischen Gesundheitspolitik, lässt die AOK aber kalt. „Die Umsetzung des Schiedsspruchs ist schon rein technisch nicht möglich, weil er nicht eindeutig ist und nicht klar sagt, welche Leistungen wie bezahlt werden sollen“, sagt AOK-Sprecher Michael Leonhart. Wenn Huml, die dieser Einschätzung klar widerspricht, zum Zwangsmittel greifen sollte, könnte sich die AOK mit einer Klage vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wehren, deutet er an. Dann wird sich der Streit weiter in die Länge ziehen.

Verträge bringen Geld

Für Philipp Eder eine schlechte Nachricht. Solange es keine Einigung gibt, kann er seinen bei der AOK versicherten Patienten keine neuen Hausarztverträge anbieten. Und das schon seit 1. Juli vergangenen Jahres. Mit Hausarztverträgen aber gibt es mehr Geld für die Ärzte. Und mehr Leistungen für Patienten. Für einen 76-Jährigen chronisch kranken Patienten ohne Hausarztvertrag bekommt Eder im Quartal zum Beispiel eine Pauschale von etwa 36 Euro über die Kassenärztliche Vereinigung von der Krankenkasse. Mit Hausarztvertrag sind es rund 100 Euro, die der Hausärzteverband verteilt.

34000 Euro pro Jahr

Das läppert sich. Die AOK Bayern rechnet bei Umsetzung des Schiedsspruchs mit Mehrkosten von 200 Millionen Euro im Jahr. Dass es ihr nur ums Geld geht, will AOK-Sprecher Leonhart aber nicht gelten lassen. In den vergangenen sieben Jahren hätten die an dem Programm teilnehmenden Hausärzte im Schnitt 34 000 Euro pro Jahr zusätzlich eingenommen, auch jetzt habe die AOK zehn Prozent höhere Vergütungen angeboten und zahle dies abschlagsweise aus. „Die Erwartungen mit diesem Mehraufwand haben sich aber nicht erfüllt“ sagte Leonhard. „Wir können nicht feststellen, dass die Versorgung von Patienten mit Hausarztvertrag qualitativ wesentlich besser ist als ohne“. Die AOK Bayern sieht sich mit ihrem Widerstand als Vorreiter für andere Kassen und will eine bundesweite Diskussion über den Sinn der so genannten hausarztzentrierten Versorgung anstoßen.

Von Ministerin Huml und den Hausärzten kommt energischer Widerspruch: „Ich halte Hausarztverträge für sinnvoll und wichtig“, teilte Huml dem Kurier mit. Als Lotsen und Erstbehandler hätten Hausärzte im Rahmen der ambulanten Versorgung der Patienten eine wichtige Rolle.

"PR-Gag der AOK"

Torsten Fricke, Sprecher des Bayerischen Hausärzteverbandes, sagt: „Die zehn Prozent höhere Vergütung ist ein PR-Gag der AOK,“ die dafür im Gegenzug eine Flatrate verlange. Die Hausärzte wollten aber nach Leistung bezahlt werden. Außerdem sei die Qualität der Versorgung mit Hausarztverträgen besser und billiger als ohne. Eingeschriebene Hausärzte verpflichteten sich zu strukturierter Fortbildung und Abendsprechstunden, leisteten bestimmte Vorsorgeuntersuchungen. Und wenn Versicherte erst zum Hausarzt gehen und nicht gleich zum Facharzt, werde es für das System auch billiger.

Hausarzt Philipp Eder zählt auf: Der Hausarztvertrag erlaube Ultraschalluntersuchungen an Gefäßen wie der Bauch-Aorta, die wichtige Rückschlüsse auf Gefäßkrankheiten und Herz-Kreislauf-Erkrankungen böten, als Vorsorgeleistung; außerdem Hautkrebsscreening ab einem Lebensalter von 19 Jahren und Demenztests für über 70-Jährige. Eder geht es nicht in erster Linie ums Geld, sagt er. „Wenn ich aber an manchen Tagen 13, 14 Stunden in der Praxis stehe, soll der Aufwand auch vergütet werden.“ Momentan weiß er nicht, ob er für alle seine Leistungen später Geld sehen wird.

Am Verband vorbei

Dazu wäre es nötig, dass der Rechtsstreit rasch entschieden würde oder dass sich AOK und Hausärzteverband doch noch einigen. Wenn es nach Bayerns größter Krankenkasse ginge, würde sie den Hausarztvertrag gerne auch am Hausarztverband vorbei aushandeln und öffentlich ausschreiben. Ein heikles Thema. Die Verteilung der Gelder hat dem Hausarztverband, der bereits früher mit den Krankenkassen heftig im Clinch lag und schon einmal aus dem Kassensystem aussteigen wollte, einen großen Bedeutungszuwachs gebracht. Das würde die AOK offenbar gerne wieder ändern.

„Ich arbeite sehr gerne als Arzt“, sagt Philipp Eder, „und eine gute Zusammenarbeit auch mit der AOK hier vor Ort ist mir wichtig. Aber was die AOK als Bayerns größte Krankenkasse für Signale aussendet, das motiviert meine jungen Kollegen ganz und gar nicht.“

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