Erlanger Medizinprofessor Thomas Kühlein über die Zukunft von Landärzten und den Sinn von Hausarztverträgen "Man kann als Hausarzt ganz gut verdienen"

Von Peter Rauscher
Der Onkel Doktor ist ein Auslaufmodell, sagte Thomas Kühlein,Professor für Allgemeinmedizin an der Uni Erlangen. Foto: red Foto: red

AOK Bayern, Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) und Bayerischer Hausärzteverband ringen um neue Hausarztverträge. Bayerns größte Krankenkasse weigert sich, einen Schiedsspruch umzusetzen, hält ihn für rechtswidrig. Für  Prof. Thomas Kühlein, der in Erlangen den ersten regulären Lehrstuhl für Allgemeinmedizin leitet, sind Hausarztverträge wichtig, aber nicht alles.

 
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Haben Sie persönlich einen Hausarztvertrag?
Thomas Kühlein: Nein. Ich habe keinen Hausarzt. Ich bin mein eigener Hausarzt – obwohl das eigentlich falsch ist.

Würden Sie Ihren Freunden einen Hausarztvertrag empfehlen?
Kühlein: Ja, unbedingt. Unser Medizinsystem krankt vor allem an der fehlenden Trennung von Primär- und Sekundärmedizin. Der Primärarzt ist der, auf den der Patient als Erstes trifft, der Sekundärarzt der, an den ein Patient überwiesen wird. Beide gehen komplett anders an Fälle heran. Wir Hausärzte werden vor allem von Fachärzten und Universitätskliniken ausgebildet. Dort sammelt sich nur der kleine Teil der Patienten, die am schwersten erkrankt sind. Das Ergebnis ist: Viele Ärzte übertragen das, was sie dort gelernt haben, unbedacht auf die Primärmedizin. Im Ergebnis haben wir zu viel Medizin. International ist das ein großes Thema. Es wird medizinisch mehr gemacht, als gut wäre.

Wer zuerst zum Hausarzt geht, wird nicht so leicht überversorgt?
Kühlein: Die Gefahr ist geringer, vor allem wenn der Hausarzt gut ausgebildet ist. Der Spezialist sucht nach der Ursache der Krankheit. Ein guter Hausarzt sollte aber als erstes versuchen, mögliche gefährliche Ursachen für Krankheiten auszuschließen. Er wird dann meistens nichts finden. Und dann muss er aufmerksam abwarten. Und dem Patienten zum Beispiel sagen: Wenn diese Beschwerden bis dann und dann nicht weg sind, sehe ich Sie wieder. Dann wird sich zeigen: Ein Großteil der Symptome verschwindet wieder von allein. Wenn ich aber wie wahnsinnig nach Ursachen suche, gilt der zynische alte Satz: Ein gesunder Patient ist nur schlecht untersucht.

Die AOK Bayern weigert sich seit Monaten Hausarztverträge anzubieten. Wie finden Sie das?
Kühlein: Ich befasse mich nicht so sehr mit Verhandlungen von Hausarztverträgen. Grundsätzlich sind Hausarztverträge ein Versuch, den Hausarzt wieder wie früher als ersten Ansprechpartner für Patienten zu installieren. Damit er einen Überblick hat über alles, was den Patienten betrifft. Deshalb sind Hausarztverträge ein Schritt in die richtige Richtung, und es ist schade, dass es jetzt diesen Streit mit der AOK gibt. Ich bin sicher, dass die AOK weiß, was sie an den Hausärzten hat. Würden Fachärzte deren Aufgaben übernehmen, wäre das der Ruin der Krankenkassen. Die meisten Probleme von Patienten können Hausärzte bewältigen. Wenn ein Patient wegen Bluthochdrucks von mir eine Überweisung zum Kardiologen verlangt, fasse ich mich an den Kopf. Dort hat man eine Wartezeit von teils vielen Wochen.

Die AOK behauptet, der teure Hausarztvertrag lohne sich nicht für die Kassen, weil er die Qualität der Behandlung beim Hausarzt nicht deutlich verbessere.
Kühlein: Der Nachweis, dass die Qualität mit Hausarztvertrag besser ist, dürfte tatsächlich schwierig zu führen sein. Es wäre doch geradezu unmoralisch, wenn ich meine Patienten unterschiedlich behandeln würde. Das gilt für Hausarztverträge, aber auch für Kassen- und Privatpatienten. Die Qualität muss für alle gleich sein. Trotzdem nochmal: Wenn ich die Patienten dazu bekomme, zuerst zu gut ausgebildeten Hausärzten zu gehen, dürfte das die Qualität verbessern und die Kosten senken.

Hausarztverträge bringen Geld. Verdient der Landarzt zu wenig?
Kühlein: Nein. Man kann als Arzt ganz gut verdienen, aber man steckt im Hamsterrad. Das Problem ist: Wenn man es ruhiger angehen will und bessere Qualität liefern will, wird man weniger verdienen.

Ist das Hamsterrad der Grund dafür, warum junge Landärzte so schwer zu finden sind?
Kühlein: Ja und nein. Das Land hatte es schon immer schwerer, Ärzte anzulocken. Klagen kenne ich schon von Dokumenten aus den Zeiten der französischen Revolution. Die Stadt hat nun mal die Universität, ist der flottere Ort – und die jungen Menschen werden weniger. Wir haben einen sehr hohen Frauenanteil unter den angehenden Ärzten, die oft nicht gleich voll arbeiten wollen, Familienplanung spielt eine Rolle, auch die Pläne des Partners. Man teilt sich heute Kinder und Arbeit. Eine Lösung wären neue Versorgungsformen. Ich denke, dass der alleine niedergelassene Arzt nicht das Zukunftsmodell ist.

Sondern?
Kühlein: Eher Gruppenpraxen, Gemeinschaftspraxen, Medizinische Versorgungszentren, wie immer das organisiert wird. Wo Angestellte mitarbeiten können und Teilzeitmodelle möglich sind. Da wird sich was ändern und tut es bereits. Der Onkel Doktor, der schon die Kinder hat aufwachsen sehen, ist ein Auslaufmodell. Einerseits schade. Andererseits: Manche Dinge können wir auch besser machen, für Ärzte und für Patienten.

Wie viele Ihrer Studenten hätten Lust, Landarzt zu werden?
Kühlein: Lust hätten rund die Hälfte. Entscheidend sind eher die Fragen: Was wird einem angeboten, was will der Partner, was passiert im Leben? Manche haben vielleicht eine falsche Vorstellung davon, was Landarzt bedeutet. Für mich ist der Hausarzt der vielleicht einzige, der vollumfänglich für den Menschen zuständig ist, und nicht nur für ein bestimmtes Organ oder einen Teilprozess. Das macht die Schönheit und den Reiz dieses Berufs aus.

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