Ehrenamtliche Betreuer kritisieren Abschiebepraxis – Vorwürfe gegen Zentrale Ausländerbehörde – Unternehmen verunsichert Flüchtlinge: Arbeit kein Grund zu bleiben

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Ein geschätzter Schneider und Mechaniker: Ali Husseini aus Afghanistan. Foto: Udo Bartsch Foto: red

Ehrenamtliche und Flüchtlinge gleichermaßen frustriert, Handwerksmeister fürchten um ihre Fachkräfte. Die Ausländerbehörden machen ihre Arbeit, auch wenn aus Fremden längst Freunde geworden sind. Nicht für jeden ist das Auftreten des Rechtsstaats nachvollziehbar.

 
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Ali Husseini spricht leise. Dabei kann er gut Deutsch. Er wirkt müde und senkt beschämt den Kopf. Seit sechs Jahren lebt der 23-Jährige aus Afghanistan in Deutschland. Er hat in Bayreuth die Berufsschule besucht und in einem Bayreuther Betrieb neun Monate als Schneider gearbeitet. Doch eigentlich ist Husseini gar nicht mehr da.

Er verbringt schlaflose Nächte. Husseini hält ein amtliches Schreiben in der Hand. Darin heißt es, er reist auf dem schnellsten Weg freiwillig in seine Heimat zurück. Doch wo ist die Heimat? Der 23-Jährige kam in Afghanistan auf die Welt. Er gehört zur diskriminierten Minderheit der Hasara. Als er noch ein Junge war, flohen seine Eltern mit ihm in den Iran. Dort wuchs er auf und floh vor den Behörden dort nach Deutschland.

Früher ein geschwätziger Kerl

Ali Husseini war früher ein anderer Typ. „Sie müssten ihn mal erleben, wenn er Landsleute trifft“, sagt Martina Waha. Sie betreut den 23-Jährigen ehrenamtlich. Der Mann aus Afghanistan könne geschwätzig und witzig sein. Aber das Lachen ist dem 23-Jährigen vergangen. Die Ungewissheit frisst ihn auf. Und er fürchtet sich vor den Behörden. „Es kommt vor, dass ich mich nicht in meine Wohnung traue“, sagt er. Dort könnte die Polizei auf ihn warten. „Oft stehe ich nachts auf und schaue aus dem Fenster, ob jemand kommt.“

Vor sechs Monaten verlangten die Behörden, Husseini solle eine Geburtsurkunde vorlegen. „Die gibt es gar nicht“, sagt er. In Afghanistan habe er keine Familie mehr, die ihm die Urkunde beschaffen könnte. Im Konsulat in München sei auch nichts zu machen, wie er sagt. Weil er die Urkunde nicht vorlegt, werfen ihm die Behörden nun vor, er verstoße gegen die Mitwirkungspflichten eines Flüchtlings.

Duldung ist abgelaufen

Husseinis Duldung ist längst abgelaufen. Reist er nicht freiwillig aus, dann wird er abgeschoben. So steht es in dem Schreiben, das man ihm bei der Zentralen Ausländerbehörde in die Hand drückte. Seine Papiere hat man ihm dort abgenommen. Aber ohne Papiere ist aufgeschmissen. Der junge Mann fühlt sich überrumpelt.

Anna Westermann, Beauftragte des evangelischen Dekanats für Flüchtlingsarbeit sagt: „Er kann sich nicht ausweisen und bekommt auch kein Geld beim Sozialamt.“ Dennoch soll der Mann aus Afghanistan nach München fahren, um sich dort beim Konsulat Papiere für die Heimreise zu beschaffen. „Die Behörden verunsichern mit ihrem Vorgehen die Flüchtlinge“, sagt Anna Westermann. Sie und andere Ehrenamtliche, die Flüchtlinge betreuen, fühlen sich vor den Kopf gestoßen. „Das ist beschämend“, sagt Martina Waha.

Polizei holt Flüchtling aus dem Integrationskurs

Wie weit die Verunsicherung geht, zeigt der Fall des Flüchtlings Sher Ali Afghanyar aus Afghanistan. Der 24-Jährige besuchte einen Integrationskurs im BFZ. Am Morgen des 14. Dezember erschienen dort zwei Polizeibeamte im Unterricht. Das war der Tag der ersten Sammelabschiebung für Afghanen aus Deutschland. Die Beamten führten Sher Ali aus dem Klassenzimmer. Wenig später brach er zusammen. Am Nachmittag meldete er sich telefonisch aus dem Klinikum, wo ihn die Beamten abgeliefert hatten. Danach verlor sich seine Spur. Der junge Mann ist untergetaucht.

Die übrigen Flüchtlinge des Integrationskurses beim BFZ waren schockiert und sahen sich in eine Falle gelockt. In den Tagen nach dem Vorfall erschienen sie nicht mehr zum Unterricht. „Das Vertrauen war zerstört“, berichten zwei Lehrerinnen. Klaus Wührl-Struller, der ebenfalls Flüchtlinge betreut, sagt: „Das war ein Schock für alle.“

Flüchtlinge wollen Fuß fassen

Wie er schildert, fänden sich in dem Kurs integrationswillige junge Flüchtlinge zusammen, weil sie in Deutschland Fuß fassen wollen. Doch durch das Vorgehen der Behörden würden alle Bemühungen zunichte gemacht. „Ein Federstrich macht alles kaputt“, so Wührl-Struller. Der Idealismus der Betreuer, ihre Zeit und Kraft blieben auf der Strecke. Zudem werde Steuergeld vergeudet, das die öffentliche Hand für Integration bereitstelle und den Flüchtlinge die Perspektive genommen. „Dieses Vorgehen desillusioniert auch die Ehrenamtlichen.“

Der Polizei und den Behörden macht Wührl-Struller wegen des Vorfalls keine Vorwürfe. So ist das Gesetz, wie er sagt. Gerade Polizeibeamte seien das letzte Glied in einer Reihe von Fehlentscheidungen. Verantwortlich sei die Politik. „Was jetzt passiert, geschieht aus politischem Kalkül“, denkt Wührl-Struller. Er spricht von Aktionismus gegen Flüchtlinge, denn Straftäter hätten die Behörden schon immer ausweisen können.

Zeit und Perspektive

Integration braucht Zeit und Perspektive. „An der Gruppe der jungen Afghanen wird der Widerspruch zwischen Jugendhilfe und rechtsstaatlichem Aufenthaltsrecht deutlich“, sagt Regina Skierlo vom Jean-Paul-Verein. Sie betreut junge Flüchtlinge in der Region. Integration bedeute, Teilhabe zu vergrößern und Perspektiven zu eröffnen. Dies funktioniere ja auch eine Weile. Ausbildung, Wohnung, Girokonto und die Gesundheitskarte: All das vermittle dem jungen Flüchtling, er komme gut in Deutschland voran. Doch dann komme plötzlich der Bruch. Niedergeschlagenheit, Angst und Albträume seien die Folge, schildert die Sozialpädagogin.

Ali Husseini verbringt weiter schlaflose Nächte. Rund 40 frühere Kollegen, Lehrer und sein Chef sprechen sich mit ihren Unterschriften dafür aus, dass er bleiben darf und bei ihnen arbeitet. Aus Fremden wurden Freunde. Doch der Rechtsstaat sieht das anders.

Das sagt die Regierung von Oberfranken:

Zum Fall Ali Husseini teilt die Zentrale Ausländerbehörde mit, sie lege Wert auf einen offenen Umgang mit den Asylbewerbern, auf klare Aussagen und auf Verlässlichkeit. Im Übrigen sei es Ziel der ZAB, die ausreisepflichtigen Personen dann, wenn eine freiwillige Ausreise in Betracht kommt, dazu erfolgreich zu bewegen. Das würde auf Dauer gar nicht funktionieren, wenn bei den Betroffenen der Eindruck entstünde, die ZAB würde tricksen.

Integration von Flüchtlingen sei eine wichtige Voraussetzung für das friedliche Zusammenleben. „Umgekehrt rechtfertigt eine begonnene Integration für sich gesehen aber kein Bleiberecht für abgelehnte Asylbewerber“, so Martin Steiner, Regierung von Oberfranken. Wenn die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen, insbesondere ein Ausländer vollziehbar ausreisepflichtig ist, sei er nach dem Gesetz abzuschieben – sofern er nicht von selber ausreist. Die Zentrale Ausländerbehörde habe grundsätzlich kein Ermessen. Nur unter vom Gesetz benannten Voraussetzungen kann ihm dennoch eine Duldung erteilt werden. Die Interessen der Wirtschaft würden durchaus berücksichtigt. Im Herbst vergangenen Jahres haben die Staatsregierung, die bayerische Wirtschaft und die Bundesagentur für Arbeit die Vereinbarung „Integration durch Arbeit“ abgeschlossen. Ziel des Ausbildungspakts sei es, bis Ende 2019 rund 60 000 Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt zu integrieren. ⋌ub

Die Wirtschaft will Flüchtlinge zu Fachkräften machen:

Junge Flüchtlinge, die in Ausbildung sind oder kurz davor stehen, dürfen nicht von Abschiebung bedroht sein. Die Industrie- und Handelskammern lehnen deshalb eine interministerielle Anweisung des bayerischen Innenministerium zum „Vollzug des Ausländerrechts, Beschäftigung und Berufsausbildung von Asylbewerbern und Geduldeten“ als kontraproduktiv ab. Nach der Anweisung sind die Voraussetzungen sehr streng, unter denen ein Geflüchteter eine Ausbildung aufnehmen kann. Mit dieser Vollzugspraxis hätten sich die Aussichten von Flüchtlingen auf eine Lehrstelle erheblich verschlechtert, kritisieren die IHKs.

„Entgegen dem begünstigenden gesetzlichen Rahmen müssen junge Geflüchtete, die bereits eine Ausbildung im Betrieb aufgenommen haben oder kurz davor stehen, immer noch mit Abschiebung rechnen“, heißt es in dem Brief. Dieses Vorgehen sei unvereinbar mit dem Grundsatz des Modells 3+2. Danach bestimmt sich Aufenthaltsstatus von geduldeten Auszubildenden in schulischer und betrieblicher Ausbildung so: Eine Duldung gilt für die Dauer der Ausbildung (drei Jahre). Bei anschließender Beschäftigung wird ein Aufenthaltsrecht für zwei weitere Jahre erteilt. Die Handwerkskammer Oberfranken führte deshalb zur Jahreswende ein Gespräch mit der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB). Zum Anlass sagt Thomas Koller, Hauptgeschäftsführer: „Wir haben bei unseren Betrieben eine gewisse Unsicherheit gespürt, ob die 3+2-Regel noch Bestand hat. Und bekamen gleichzeitig Fälle auf den Tisch, die Fragen auslösten.“

Deshalb habe die Kammer das Gespräch gesucht. Dabei ging es um junge Flüchtlinge, die bereits in Ausbildung sind oder vor der Vermittlung in eine Ausbildung stehen. „Hier konnten wir abklären, dass die 3+2-Regelung weiterhin Bestand hat“, so Koller. Wie er sagt, bilden die Betriebe 68 Asylbewerber aus. Die Betriebe sollten auch wissen, dass sie junge Flüchtlinge aus Integrationsklassen in Praktika nehmen können. Koller: „Ausbildung ist das Schlüsselelement für eine gelungene Integration schlechthin. Von daher ist die Rolle, die unsere Betriebe dabei einnehmen, nicht hoch genug zu bewerten.“⋌ub

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