"Tristan": Mit ein wenig mehr Gefühl

Von Florian Zinnecker
"Tristan und Isolde"-Premiere 2017: Christa Mayer (Brangäne), Stephen Gould (Tristan), René Pape (Marke) und Petra Lang (Isolde). Foto: Bayreuther Festspiele / Enrico Nawrath Foto: red

Um ein Haar wäre die Premiere von "Tristan und Isolde" bei den diesjährigen Festspielen gescheitert. Aber das lag nicht an den Sängern oder Musikern - und auch nicht an der Regisseurin Katharina Wagner. Kurier-Kritiker Florian Zinnecker über eine Produktion, die erst jetzt so richtig reif ist.

 
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Der Liebestod beginnt im Pianissimo, schwillt an, flaut ab, schwillt wieder an, unaufhaltbar diesmal, bis zum Platzen. So steht es in den Noten zu „Tristan und Isolde“, seit 1865, aber niemand – sicher nicht im dokumentierten Teil der Aufführungsgeschichte, aber sehr wahrscheinlich auch nicht im undokumentierten – ist so gut darin, die in die Noten hineingeschriebene Spannung in Klang zu übersetzen, wie Christian Thielemann. Musikhören ist im Festspielhaus immer auch eine körperliche Angelegenheit, aber wenn Thielemann „Tristan“ dirigiert, fasst die Musik das Publikum an.

Man muss das wissen, aushalten und sich darauf einlassen wollen – aber wenn, dann kann man nur hoffen, über ein gesundes Herz und einen stabilen Kreislauf zu verfügen, um nicht von der Flut weggerissen zu werden.

Aus Tönen lodernde Glut machen

Aber es ist natürlich nicht Thielemann allein, es ist vor allem das Bayreuther Festspielorchester, das aus den Tönen lodernde Glut macht und sich einlässt auf diese Vollkontaktmusik. Und es braucht, um beim Liebestod zu bleiben, auch eine Sopranistin, die nach vier Stunden noch in der Lage zu einem kontrollierten, schönen, empfundenden Pianissimo ist. Das nicht belanglos klingt, nur weil es leise sein muss. Natürlich, leise beginnt die Schlussarie immer. Aber dieses Pianissimo gibt es selten. Petra Lang, als Isolde, kann das.

Nicht nur deshalb ist die Wiederaufnahmepremiere von „Tristan und Isolde“ bei den Bayreuther Festspielen vor allem musikalisch ein umwerfender Erfolg.

Und vielleicht liegt es sogar an der Musik, dass auch die tiefschwarze und emotional ein wenig unterkühlte Inszenierung Katharina Wagners im dritten Jahr der Produktion allmählich auf Betriebstemperatur kommt – und mehr schafft, als nur die in die Partitur geschriebene Handlung mit imposanten Bühnenbauten und neuen Ideen zu bebildern.

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Das Liebesdrama ist bei Katharina Wagner eine Lehrstunde in Ausweglosigkeit, die Deutung lebt von der Wucht, Kraft und Ausstrahlung des Personals. Petra Lang ist eine Isolde, die besonders in den tiefen Lagen stimmlich glänzt und sich in den hohen zwar sicher bewegt, dann aber eher kalt als warm klingt – streckenweise klingt Langs Isolde an diesem Abend wie eine Alt-Partie, was ihrer Wirkung ganz und gar keinen Abbruch tut. Zumal sich Lang in den tiefen Lagen traumwandlerisch sicher bewegt, während viele hohe Töne oft eine Nuance zu tief unter der zu treffenden Note hängen bleiben. Stephen Gould ist ein Tristan-Routinier. Er singt die Partie kraftstrotzend und mit gepanzerter Stimme – bis zum allerletzten „Isolde!“-Ausruf – herunter, mit perfekter Intonation und angesichts der Schwere der Partie immer noch erstaunlicher Artikulation, auch wenn es nicht allein an Wagners metaphernschwerem Libretto liegt, dass man im Zuschauerraum nicht immer so ganz genau versteht, was er da singt.

Die tiefe, tragische, unstillbare Liebe zwischen den beiden titelgebenden Figuren bleibt hier und heute eine Behauptung von Text und Musik. Zu sehen ist eher: kalte, merkwürdig körperlose Leidenschaft.

Kühl, fern und abgekapselt

Ganz anders im Übrigen als Iain Paterson in der Rolle des Kurwenal und Christa Mayer als formidable Brangäne – Figuren, die man in Katharina Wagners Blickwinkel auf das Stück allzu bereitwillig als die wahren und einzigen Sympathieträger wahrnimmt. Christa Mayers Brangäne und Iain Patersons Kurwenal sind an diesem Abend die vielschichtigeren, menschlicheren und tatsächlich spannenderen Charaktere als Isolde und Tristan, die kühl, fern und abgekapselt vor allem um einander und sich selbst kreisen. Der Eindruck bleibt: Der Deutung fehlt die Dringlichkeit, es gibt keinen Grund, das Werk so zu deuten, außer der Möglichkeit, dass es halt auch so geht, wenn man will.

Die Schlüsselfigur in Katharina Wagners Inszenierung bleibt König Marke, der nicht als schmerzvoll-mitleidender Herrscher, sondern ein eisenherziger Despot angelegt ist, dem aber diesmal René Pape Tiefe und – also doch – Gefühl verleiht. So wird die Inszenierung allein durch ein bisschen Klangfärbung viel konventioneller als bisher. Aber nicht unbedingt schlechter.

Über Papes Stimme, die die größte und souveränste an diesem Abend ist, über die Art, wie er mit Worten umgeht, wie er phrasiert und Pausen setzt: darüber ließen sich nun ganze Absätze schreiben und lesen, besser ist aber, man hört es sich selber an. Es ist eine Form von Schönheit, die sich sofort erschließt.

Die größte Hypothek der Inszenierung

Und es geht ja sogar. Ja, es ist ganz und gar möglich, an Karten zu kommen (vor der Aufführung war die Auswahl vor dem Kartenbüro recht groß).

Man kann es durchaus schade und ein wenig voreilig finden, dass dieser „Tristan“ schon im ersten Jahr mitgeschnitten und aufgezeichnet wurde, als er auch in anderen Rollen und auch musikalisch noch nicht auf dem Niveau lag, auf dem sich die Produktion heute befindet. Dass es trotzdem noch Karten gibt, könnte daran liegen, dass auf dieser Inszenierung eine Hypothek liegt: das auch szenisch immer noch ungelöste Dramaturgie-Problem, dass Tristan und Isolde mit großer Geste und auf dem musikalischen Höhepunkt des ersten Aufzugs den Liebestrank nicht trinken, sondern ausschütten.

Laut Textbuch hat Tristan später den Trank als vermeintliche Wurzel des Übels zu verfluchen. An diesem Problem ändert auch der Umstand nichts, dass der irrlichternde Tristan und seine herbeigeträumten Isolden nun auch im dritten Aufzug diverse Tränke verschütten. Wieder erscheint dem delirierenden Tristan die ferne Isolde als Fiebertraum, der sich auf verschiedene Arten selbst als Traum entlarvt – sie löst sich in Luft auf, stürzt in die Tiefe, verblutet, verliert den Kopf, eine nette, aber nur illustrative Idee, die den Abend inhaltlich nicht wirklich weiterbringt. Daran ändern auch die neuen Varianten nichts, die es in diesem Jahr gibt.

Ein paar Bitten an die Zuschauer

Gleichzeitig ist es ein Glücksfall, dass gerade dieser Abend nicht aufgezeichnet wurde. Denn obwohl die Aufführung auf der Bühne und vor allem im Orchestergrabend auf den Punkt gelang, wäre sie, das muss man so sagen, dennoch um ein Haar gescheitert. Aus Gründen, die keinem der Mitwirkenden und auch nicht der Regisseurin anzulasten sind. Sondern dem Publikum, das in Bayreuth schon wegen der baulichen Struktur des Hauses wesentlicher Bestandteil zwar nicht der Bühnenhandlung, aber der Aufführung ist. Und deshalb endet an dieser Stelle die Premierenkritik.

Zuschauen ist ja traditionell die einzige Art der Mitwirkung, die nicht zwingend jahrelange Ausbildung oder Talent erfordert, weshalb sich Kritik verbietet. Stattdessen ein paar kleine Bitten, sozusagen: unter Zuschauerkollegen. Schalten Sie Ihr Telefon aus, spätestens dann, wenn das Licht erlischt. Halten Sie das Telefon trotzdem griffbereit, damit Sie es, falls das Ausschalten nicht geklappt hat, nicht erst nach dem siebten Klingeln zum Verstummen bringen können (lassen Sie sich notfalls vorher erklären, wie das geht). Nehmen Sie Hustenbonbons mit; wenn Sie wissen, dass Sie erkältet sind, bleiben Sie zu Hause, es ist wie gesagt nicht unmöglich, auch für eine andere Vorstellung an Karten zu kommen.

Am Erfolg wird kümmerlicher Protest nichts ändern

Falls ein Telefon klingelt oder jemand husten muss, ärgern sie sich, ohne darüber zu reden.
Und, wenn Sie eine Aufführung nicht im ersten, sondern wie diese im dritten Jahr der jeweiligen Produktion ansehen: Informieren Sie sich wenigstens rudimentär, was der Regisseur Ihnen konzeptionell zumuten wird, es gibt, wie gesagt, diese Produktion als Mitschnitt, sogar auf Youtube.

Dann nämlich können Sie, wenn Sie nicht einverstanden sind, auf die strapaziöse Reise nach Bayreuth verzichten. Und dann müssen Sie nicht im allerletzten Pianissimo, an der Stelle, an der die Töne das höchstmögliche Maß an Spannung tragen, ein trauriges, lautes „Buh“ in den Saal blöken, weil Sie die Schluss-Idee der Regisseurin nicht mögen, und damit den Hass und die Verachtung der rund 2000 anderen im Saal befindlichen Menschen auf sich ziehen. Niemand, nicht einmal Opernkritiker, schauen sich freiwillig Aufführungen an, von denen sie schon wissen, dass sie sie nicht mögen werden. Sie müssen das also auch nicht tun.

Und dass die Aufführung mit Recht als Erfolg gelten können wird, daran wird ein kümmerlicher Protest auch nichts ändern.

Wie diesmal.