Buh-Rufe für Katharina Wagner

Von Florian Zinnecker
 Foto: red

Die Premierenwoche der Bayreuther Festspiele endet mit „Tristan und Isolde“ – der musikalisch wie szenisch mit Abstand souveränsten Produktion dieser Saison. Dennoch musste sich Regisseurin Katharina Wagner ein Buh-Konzert anhören.

 
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Das Leben ist ungerecht, so lautet, übertrieben stark verknappt, die Kernaussage von Katharina Wagners „Tristan“-Inszenierung. Und wie recht sie damit hat, musste sie nach dem Schlussakkord der Wiederaufnahmepremiere am eigenen Leib erfahren: als sie und ihr Regieteam sich auf der Bühne in einem kurzen, aber einhelligen Buh-Gewitter wiederfanden.

Nun ist die Aussagekraft von Buhs ja generell zweifelhaft; was sagt es schon über die Qualität einer Vorstellung, einer Inszenierung geschweige denn über die Publikumsmeinung, wenn am Ende ein paar Zuschauer buhen, außer: dass es eben nicht restlos allen gefallen hat. In diesem Fall aber sagen die Buhs doch etwas aus, sie entlarven nämlich eine kleine, geschickt konstruierte Schwindelei aus dem Sommer 2015, die am Ende ihre Urheber nur allzu gern selbst glaubten.

Im vergangenen Jahr war keine Zeit für Buh-Rufe

Dass das Regieteam vergangenes Jahr unausgebuht blieb, lag zumindest wohl nicht ausschließlich an der großen, neuentdeckten Liebe des Publikums für Katharina Wagners Regie. Sondern eher an der - ob absichtlich oder zufällig - eng getakteten Applausordnung. Wagner und Kollegen waren ungefähr fünf Sekunden lang auf der Bühne zu sehen, inmitten des kompletten Ensembles, und ehe das Publikum registrieren konnte, dass da ein paar schwarzgekleidete Damen und Herren mehr im Bild standen als vorher, war der Vorhang schon wieder zu. Dieses Jahr standen sie deutlich länger da. Und dann passierte es eben. Was nun doppelt ungerecht ist: erstens ein Jahr zu spät, und zweitens für eine Arbeit, die in dieser Saison deutlich besser aussieht als in der vergangenen. Und die, das steht außer Frage, herausragend gut klingt.

 

Eine Szene aus dem 3. Aufzug: Isolde und König Marke. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele



Tristan und Isolde“ darf, nein, muss im Festspielsommer 2016, allen Buhs zum Trotz, als beste Produktion der Saison gelten. Das liegt zum einen an den übrigen Produktionen im Spielplan, von denen an dieser Stelle schon die Rede war - und diesen Spielplan verantwortet Katharina Wagner wiederum auch, aber das ist ein anderes Thema. Zum anderen liegt es aber natürlich an der Produktion selbst: an Musik, Besetzung und Konzept, die einander ergänzen oder wenigstens - und auch das ist dieses Jahr schon eine Qualität für sich - nicht behindern. 

Gesang  und Orchester auf hohem Niveau

Die Sänger haben, mit einem Wort, ein fantastisches Niveau. Stephen Gould ist ein Tristan, der schon im ersten Aufzug voll aussingt, sich auch im zweiten nicht schont (und zu sehr forderndem Pianissimo in der Lage ist) und dann im dritten, der als mörderisch gilt, noch einmal zulegt, noch nicht einmal besonders angestrengt wirkend, nur beim allerletzten Schmachten versagt ihm dann die Stimme. Die neue Bayreuther Isolde Petra Lang polarisiert, sie nähert sich den Tönen - auch den makellosen Spitzentönen - von unten, je später der Abend, desto dunkler wird die Farbe, im Liebestod am Ende verdunkelt sich dann auch die Artikulation ein wenig. Iain Paterson ist ein starker Kurwenal, Claudia Mahnke sprang für Christa Mayer als Brangäne ein, wie sie wurde auch Georg Zeppenfeld als Marke vollkommen zurecht frenetisch gefeiert.

Zu verdanken hat die Produktion ihre Souveränität vor allem dem Orchester unter Christian Thielemann. Ihm gelingt es, die Musiker wie auf Abruf zu einem Orchesterklang zu formen, der an Intensität und Dichte beinahe atemberaubend wird - und zwar: durch allmähliche, immer stärkere Beschleunigung, und trotzdem ungeheurem Volumen, so weit, bis es fast nicht mehr geht. Und die dann wieder zurück ins Pianissimo zurückfällt. Und wieder aufsteigt. Und wieder zurückfällt.

Mehr Spannung als 2015

Die Inszenierung belässt es dabei, auf dieses wirklich herausragend aufgeführte Musikdrama einigermaßen sinnfällige Bilder zu bauen und ein paar große Fragen anzureißen, ohne sie mit Gewalt zu Ende erklären zu wollen. Katharina Wagners Deutung des Stoffs ist, verglichen mit vergangenem Jahr,  ruhiger geworden und dadurch mit mehr Spannung aufgeladen, das tut dem Stück sichtlich gut.

 

Eine Szene aus dem 3. Aufzug: Kurwenal und Melot im Kampf. Foto: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

 

Die Inszenierung handelt von Selbst- und Fremdbestimmtheit, von der Ausweglosigkeit der Liebe in Zeiten des Terrors. Die Bilder sind schon vertraut: Der erste Aufzug spielt in einem beeindruckenden Treppenhaus, in dem sich die Wege ständig verwandeln. Der Burggarten des zweiten Aufzugs ist hier ein Kerker, in dem Zweisamkeit kaum möglich ist, außer: im Wegträumen. Der dritte Aufzug schließlich spielt im Kopf des fiebrig irrlichternden Tristan. 

Musik muss logische Brüche kitten

Die Idee, aus König Marke einen kalten Despoten zu machen, drängt sich nicht unbedingt auf, und die Versuchsanordnung bricht nur mit sehr viel gutem Willen am Ende nicht in sich zusammen - dieser Marke, der am Ende mit Gewalt die trauernde Isolde von ihrem toten Geliebten wegzieht, soll tatsächlich den Vorsatz gehabt haben, angesichts des Liebeszaubers, ob nun mit Trank oder ohne, auf sie zu verzichten? So, wie es im Textbuch steht? Und der Liebestrank, der ja auch im Werk selbst eher die Wirkung eines Brandbeschleunigers hat, wird ungetrunken ausgegossen, muss aber, so will es das Libretto, trotzdem im dritten Aufzug ausgiebig von Tristan verflucht werden. Beides nimmt die Regie einfach hin und lässt es stehen, ungelöst und unkommentiert, dass die Musik alle bestehenden Zweifel und Fragen einfach wegschwemmen möge.

Das macht sie dann auch. Und das ist diesmal, ausnahmsweise, mehr als genug.

 

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