Der Erhalt der Tradition kostet Geld, das so leicht niemand lockermachen will Tanzlinde: Ringen ums Kulturerbe

Von Sophie Rohrmeier,
Veit Pöhlmann unterm Lindendach. Die Tanzlinde in Limmersdorf ist für ihn seit Jahrzehnten Herzensache. Foto: Nicolas Armer Foto: red

Früher“, sagt Veit Pöhlmann, „war das unser Spielplatz. Wir sind ohne Leiter hoch geklettert.“ Er steht vor dem mächtigen Stamm einer Linde, unter dem Tanzboden zwischen den Blättern. Heute schneidet der 60-Jährige die unteren Äste vom Boden aus. Die Tanzlinde war aber schon immer mehr als ein Spielplatz. Die Lindenkirchweih im oberfränkischen Limmersdorf gehört zum immateriellen Kulturerbe Deutschlands im Rahmen der Unesco-Konvention – wie 33 weitere Kulturformen. Doch dass sie erhalten bleiben, ist nicht garantiert.

 
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„Zehn Jahre“, sagt Pöhlmann, „dann ist sie weg, so eine Tradition.“ Dass ein Kulturerbe zu verschwinden droht, das hat er selbst schon erlebt. Deshalb gibt es seinen Verein überhaupt erst, den Verein zur Erhaltung und Förderung der Limmersdorfer Kirchweihtradition. Dass Traditionen für die Identität wichtig sind, hat einen Grund: wir sind Menschen. „Wir haben Kultur statt der Instinkte, die die Tiere haben, um unser Miteinander zu gestalten“, sagt Christoph Wulf, Anthropologe an der Freien Universität Berlin und Vizepräsident der Deutschen Unesco-Kommission (DUK). Traditionen gäben Sicherheit und Ordnung. Der Architektur-Historiker Reiner Graefe hat die Tanzlinden erforscht.

Entscheidung im nächsten Jahr

Bayern nutzt hier gerade seine Chance. Derzeit läuft die zweite bundesweite Aufnahmerunde für das Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes. Insgesamt 64 Anträge sind erlaubt, vier pro Bundesland. Von Mitte Juni an bewerten Experten der DUK die Bewerber, im Frühjahr 2017 entscheidet die Kultusministerkonferenz.

Kulturerbe soll nicht PR für den Minister sein

Wer wie die Limmersdorfer auf die Liste kommt, kann mit einem Logo werben. Manche mögen damit Touristen locken können. Aber die Genossenschaftsidee, die auch im Verzeichnis steht? Oder ein Tanzverein? Solche Kulturformen gewinnen vielleicht politisches Gewicht, aber nicht unbedingt Geldquellen. „Wir müssen nicht zugeschissen werden mit Geld, aber jetzt braucht es auch mal Butter bei die Fische“, sagt dazu Pöhlmann. „Das Kulturerbe soll nicht nur PR für den Minister sein. Wenn man sich schmückt damit, muss man auch etwas dafür tun.“

Kein Topf für Fördermittel

Doch kein Bundesland hat nach Angaben der DUK einen extra Topf, um die Träger der Kulturformen im Verzeichnis auch nach der Bewerbung zu fördern. Bayern aber zum Beispiel zeigt sich stolz auf die bisher Ausgewählten: die Lindenkirchweih und die Oberammergauer Passionsspiele. Als Kulturstaat wolle Bayern das immaterielle Kulturerbe nicht nur dokumentieren, meint Kunstminister Ludwig Spaenle (CSU), sondern auch im Bewusstsein der Menschen verankern.

Kerwa-Paare eifrig

In Limmersdorf suchen sich jedes Jahr vier Burschen vier Mädchen und organisieren die Lindenkirchweih. Immer am Sonntag um Bartholomä am 24. August, seit mindestens 1729. Im Mittelpunkt: die Tanzlinde, gepflanzt 1686, vor 330 Jahren. In ihrer Krone wird getanzt, auf dem Gerüst, das auf den Ästen liegt und auf Steinsäulen. Es gibt ein Festzelt und Fleisch, viel Fleisch. Die Organisation kostet Zeit, die Infrastruktur Geld. „Bald brauchen wir neue Säulen, Kosten: rund 80 000 Euro“, sagt Pöhlmann.

Pflicht laut Unesco-Konvention

Die DUK würde begrüßen, wenn ein Land ihr Kulturerbe finanziell fördern würde. „Die Entscheidung für so einen Topf könnte politisch natürlich getroffen werden“, sagt Benjamin Hanke von der DUK. Laut Unesco-Konvention muss sich jeder Staat bemühen, die Erhaltung des Kulturerbes sicherzustellen – unter Einsatz aller geeigneten Mittel. Dafür wären in Deutschland die Länder zuständig.

Im Kultusministerium hält man von dieser Idee nicht viel. „Gäbe es eine besondere Förderung für die Traditionen im nationalen Verzeichnis, dann wäre das auch eine Ungleichbehandlung der vielen Traditionen in Bayern“, sagt Ministeriumssprecher Henning Gießen. Es zeichne die Traditionen ja gerade aus, dass sie eigenständig seien.

Musicbox das Blasmusik

Die Tradition schliff sich ab. Musikbox auf der Tanzlinde statt Live-Kapelle, ein Schreckensszenario. Ein Verein musste her, Pöhlmann wurde Vorsitzender. „Wenigstens die Kirchweih müssen wir erhalten“, das war der Antrieb, sagt Pöhlmann. Er trägt ein rot-weiß-kariertes Hemd, am Gürtel das rot-weiße Franken-Wappen. „Es gibt kaum etwas Typischeres als die Kirchweih, das Franken beschreibt: das Dörfliche, den Konservatismus, das Kleinteilige, die Eigenbrötlerei.“ Die Kirchweih nämlich sei in jedem Dorf in Franken anders, und an einem anderen Termin. In Oberbayern dagegen feiern die meisten Orte am dritten Sonntag im Oktober. „Verglichen mit der Vielfalt der Franken ist Oberbayern etwas einfältig“, sagt Pöhlmann und grinst.

Die junge Linde wächst

Die Limmersdorfer Tanzlinde selbst braucht nicht viel Pflege. Der Baum ist gesund. Aber er kann sterben. Deshalb steht schon ein Ableger. Damit die Lindenkirchweih nicht stirbt. Dazu gibt es auch das entsprechende Museum.

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