Serie: Leben im Nirgendwo

Von Heike Hampl

In der Einöde leben, das mag schon gehen. Schließlich kommt man mindestens zum Arbeiten raus. Die Schuhmanns nicht. Die ganze Familie arbeitet im Sägewerk mit, das neben dem Wohnhaus steht. Einsam fühlten sie sich in Grünthanmühle trotzdem nie.

 
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Wie lebt es sich, abgeschottet von der Außenwelt? Georg Schuhmann lacht. Über die Frage. Vielleicht auch, weil er sich Städter genau so vorstellt wie die Reporterin, die jetzt vor ihm steht. Zu feine Schuhe für den staubigen Boden im Sägewerk und naive Fragen. „Gute Frau“, sagt er. „Wir haben hier seit 1935 ein Telefon. Damals war das Problem nur: Kein anderer hatte eins. Wir konnten also trotzdem niemanden anrufen.“

Dann lacht Georg Schuhmann. Es ist ein ansteckendes Lachen, in das er hineinmurmelt: „Wir hatten die Telefonnummer 19.“ Weil Grünthanmühle das 19. Haus war, das ein Telefon bekommen hat. Grünthanmühle ist kein Dorf im Nirgendwo. Das Handy zeigt LTE an, also schnelles Internet. Das Navigationssystem leitet einen immerhin bis zur letzten Abzweigung vor dem Haus der Schuhmanns. Und ruhig ist es auch nicht. „Wegen des Betriebs ist hier viel los“, sagt Norbert Schuhmann. Kunden kommen, um Bretter abzuholen. Aus heimischem Holz, meistens Fichte. „Bei uns ist es nicht wie im Baumarkt“, sagt Georg Schuhmann. Wenn am Samstag um 16 Uhr ein verzweifelter Kunde kommt und dringend Holz braucht, dann kriegt er es. „Wir haben keinen Ladenschluss.“ Das sind die Momente, in denen es sich auszahlt, keine Nachbarn zu haben. „Wenn man abends noch mal die Säge anschmeißen muss, beschwert sich schon niemand“, sagt Norbert Schuhmann.

Der 44-Jährige hat den Betrieb seines Vaters übernommen. Georg Schuhmann (73) hat ihn zum Holzbearbeitungsmechaniker ausgebildet. Aber der Senior schafft freilich noch mit. „Anders geht es auch gar nicht“, sagt Norbert Schuhmann. Zwar sind die Wochen jetzt etwas ruhiger, aber spätestens im März läuft der Betrieb wieder richtig an.

Die Arbeit mit dem Holz gefällt dem Senior immer noch. Er will nicht aufhören, für einen Schuhmann ist das keine Option. Schon sein Vater hat in diesem Sägewerk gearbeitet. Bis zum Schluss. 91 Jahre ist er alt geworden. „Und ihm hat nicht mal der Rücken gezwickt“. Als die Familie 1983 die große Sägemaschine angeschafft hat, war Georgs Vater mit dabei. „Einmal, als die neue Maschine nicht so wollte, wie er, ist er zornig zum Haus hoch gerannt.“ Auf dem Absatz aber machte der alte Mann kehrt, er war schon 75 Jahre alt. Er stapfte zurück zur Säge und fing von vorn an. „Er hat erkannt: Die Maschine nimmt ihm Arbeit ab. Da hat er dann auch gewollt, dass er sie bedienen kann.“

Durchhaltevermögen scheint eine Eigenschaft zu sein, die in allen Schuhmanns steckt.

Norbert Schuhmann hat in seinem Leben kein einziges Mal gezögert. Ja, ich übernehme das Sägewerk, das war ihm immer klar. Obwohl er weiß, die Holzpreise schwanken. Obwohl er weiß, die Großen fressen die Kleinen, gerade im Handwerk. Obwohl er weiß, dass ein Job irgendwo im Büro bequemer wäre. „Ich hänge an dem Sägewerk“, sagt Norbert Zimmermann. Er, die fünfte Generation. An ihm hängt auch eine Verantwortung, eine Erwartung. Seit 1839 lebten seine Vorfahren nachweislich an diesem Ort. Grünthanmühle – der Name rührt daher, dass das Sägewerk früher vom Thumbach angetrieben wurde, eine Mühle also. Der Thumbach plätschert bis heute friedlich unterhalb des Wohnhauses. Zum ersten Mal findet der Ort im Jahr 1335 Erwähnung.

So einen Platz verlässt man nicht. Nicht, wenn man Schuhmann’sches Durchhaltevermögen im Blut hat.

Ihre Frauen haben die beiden Männer richtig ausgesucht. Anni (67) und Anita (38) packen an. Sie fahren Gabelstapler, besäumen Bretter an der Maschine. Frauen, die bei der Arbeit mit dem Holz Angst um ihre Fingernägel hätten, wären fehl am Platz. Eine Schuhmann muss robust sein.

Wenn’s dämmert kehrt doch Ruhe ein in Grünthanmühle. Dann tickt die hölzerne Uhr, die Norbert Schuhmann schon in der Schule gebaut hat, drüben im Sägewerk ungehört vor sich hin. Dann brennt das Licht im Haus, durchs Fenster sieht man die hölzerne Wendeltreppe. „Wissen Sie, dann ist wirklich Ruhe. Und das möchte ich nicht missen“, sagt Anni Schuhmann.

Ob die Töchter mal das Sägewerk übernehmen? „Diese Entscheidung müssen sie selbst treffen“, sind sich Großeltern und Eltern einig.

Wenn die beiden dieses Durchhaltevermögen geerbt haben, dürfte die Antwort schon feststehen.

Info: Im nächsten Teil unserer Serien „Einöden“ geht es um die Mittelmühle, die im idyllischen Klumpertal liegt. Dort hat das Schicksal zwei Menschen hin- und zusammengeführt.

Zuletzt waren wir für unsere Serie in Haaghaus bei Creußen zu Besuch.

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