Pressefreiheit: Deutschland fällt zurück

In Deutschland sind Journalisten zusehends mehr Gewalt und Anfeindungen ausgesetzt: Anhänger der Alternative für Deutschland demonstrieren in Rostock gegen die deutsche Asylpolitik, auf einem Schild steht «Lügenpresse». Foto: Bernd Wüstneck/dpa Foto: red

Journalisten und unabhängige Medien sehen sich weltweit zunehmend unter Druck. Auch in Deutschland, wo sich die Situation im Vergleich zum Vorjahr verschlechtert hat. Das geht aus der Rangliste der Pressefreiheit für 2016 hervor, die „Reporter ohne Grenzen“ veröffentlicht hat.

 
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Zu dieser Entwicklung tragen der Organisation zufolge zunehmend autokratische Tendenzen in Ländern wie Ägypten, Russland und der Türkei sowie bewaffnete Konflikte etwa in Libyen, Burundi und dem Jemen bei. Negativ wirkten sich auch Bestrebungen der polnischen und ungarischen Regierungen aus, staatliche und private Medien in ihrer Unabhängigkeit einzuschränken.

"Lügenpresse" - Die Situation in Deutschland:

Auf der Rangliste von 180 untersuchten Staaten verschlechterte sich Deutschland gegenüber dem Vorjahr um vier Ränge auf Platz 16, was vor allem der massiven Zunahme von Gewalt und Anfeindungen bis hin zu Todesdrohungen gegen Journalisten zuzuschreiben sei. Mindestens elf tätliche Angriffe verzeichnete das Leipziger Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) schon in diesem Jahr. 

Beispiel: In einem dieser Fälle traf es die sächsische Landeskorrespondentin des Nachrichtensenders MDR Info, Ine Dippmann. Als sie im Januar in Leipzig bei der Jubiläumskundgebung des örtlichen Pegida-Ablegers den Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann mit der Kamera ihres Reporterhandys ablichten wollte, wurde ihr das Telefon von hinten aus der Hand geschlagen. „Und dann kam sehr schnell ein zweiter Schlag, der mich im Gesicht getroffen hat. Mit dem Handrücken auf die Wange“, erinnert sie sich.

„Als ich mich dann umdrehte, stand mir eine ältere Frau gegenüber, die sich offenbar bemüßigt fühlte, mich daran zu hindern, diese Situation zu dokumentieren.“ Plötzlich war sie dicht umringt von anderen Demonstranten. „Es kam dann relativ schnell die Ansage: „Da musst du dich nicht wundern, ich würde mich an deiner Stelle hier überhaupt nicht mehr her trauen“.“

Die Schlusslichter und Absteiger:

Schlusslichter in der Rangliste sind Eritrea, Nordkorea und Turkmenistan.

„Viele Staatsführer reagieren gerade zu allergisch auf legitime Kritik durch unabhängige Journalisten“, sagt der Vorstandssprecher von „Reporter ohne Grenzen“, Michael Rediske: „Wenn sich selbstherrliche Präsidenten und Regierungen per Gesetz jeder Kritik entziehen, fördert das Selbstzensur und erstickt jede politische Diskussion.“

Größte Absteiger in der Rangliste sind Tadschikistan (Platz 150, minus 34 Ränge) und Brunei (155, minus 34). In Tadschikistan habe Präsident Emomali Rahmon unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung Kritiker mundtot gemacht. In Brunei nimmt laut „Reporter ohne Grenzen“ angesichts der schrittweisen Einführung der Scharia und eines Blasphemieverbots die Selbstzensur zu. Polen stürzte um 29 Ränge auf Platz 47 ab. Das sei eine Folge der Bemühungen der neuen polnischen Regierung, die Eigenständigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien einzuschränken und private Medien zu „repolonisieren“.

 

Zur interaktiven Weltkarte mit weiteren Informationen geht's hier.

Die Spitzenreiter und Aufsteiger:

Die Spitzenplätze der Rangliste nehmen Finnland, die Niederlande und Norwegen ein.

Größter Aufsteiger ist Tunesien (Platz 96), das ungeachtet aller weiterhin bestehenden Defizite die positiven Folgen der Medienreformen nach dem Umbruch von 2011 zu spüren bekomme und sich um 30 Ränge verbesserte. Die Ukraine verbesserte sich um 22 Ränge auf Platz 107 wegen der deutlich zurückgegangenen Gewalt gegen Journalisten.

Bald kein Vorbild mehr? Die Situation in Europa:

Laut „Reporter ohne Grenzen“ ist bereits seit 2014 eine Erosion der europäischen Vorreiterrolle bei der Pressefreiheit zu beobachten. Grund seien Gesetze gegen Terrorismus und Spionage, die zur Einschränkung von Freiheitsrechten missbraucht würden. Außerdem bemängelt die Organisation, dass in Frankreich (Platz 45, minus 7) die meisten privaten Medien von nationaler Bedeutung von wenigen Unternehmern kontrolliert werden, deren wirtschaftliche Interessen vor allem in anderen Branchen liegen. In Bulgarien (Platz 113, minus 7) würden Politiker und Oligarchen den Großteil der Medien kontrollieren. Zugleich nehme die Gewalt gegen Journalisten zu.

dpa

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