Wie ein DDR-Flüchtling V-Mann des Landeskriminalamtes wurde Mario F. – Der V-Mann aus der DDR

Von Manfred Scherer
Ex-V-Mann Mario F. am Fenster einer Bezirksklinik in Bayern (29.10.2015). In seinem Fall wird nun gegen Beamte des Landeskriminalamtes wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ermittelt. Foto: Manfred Scherer Foto: red

Wie der DDR-Republikflüchtling zum V-Mann des Landeskriminalamtes im Rockermilieu wurde - und warum er dem LKA heute schwere Vorwürfe macht.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Mario F., ehemaliger V-Mann des Landeskriminalamtes bei der Rockerbande „Bandidos“, hat Angst um sein Leben. Er fürchtet die Rache der Rocker. Doch das Amt, das ihm Zeugenschutz geben könnte, hat ihn fallen lassen – mutmaßlich, um eigene Straftaten zu verschleiern. Mario F. sagt: „Dem LKA könnte nichts besseres passieren, als wenn die Rocker mich beseitigen.“

Sein erster Konflikt mit dem Gesetz: "Republikflucht"

Mario F., am 15. April 1967 in Sachsen-Anhalt geboren, wuchs in der DDR auf. 1989 kam er zum ersten Mal mit dem Gesetz in Konflikt: Wegen „Republikflucht“. Die Wende, die Deutsche Einheit beendet seine Haft. Im neuen Deutschland kam er wieder mit dem Gesetz in Konflikt, mehrfach.

So jemand glaubt man nicht, oder?

Ein Gewohnheitskrimineller also? So jemandem glaubt man nicht, oder? Aber so jemanden kann man brauchen. 2006 bekommt Mario F. im Knast in Memmingen Besuch von einem LKA-Beamten, der sagte: „Wenn du rauskommst, meld’ dich mal.“ Mario F. meldete sich. Sein erster Auftrag war ein Mitgefangener, mit dem er sich im Gefängnis in Bayreuth angefreundet hatte. Der Mitgefangene arbeitet für einen mutmaßlich großen Drogenhändler im Ausland. So wird Mario F. V-Mann oder Vertrauensperson (VP), wie der begriff im Polizeideutsch heißt. Mario F. lernt im Januar 2009 einen Beamten des Landeskriminalamtes kennen, der sein V-Mann-Führer wird. Der Mann arbeitet beim Sachgebiet 614, das zuständig ist für die Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität in Nordbayern. Der Beamte ist fast genau zwei Jahre und einen Monat älter ist als Mario F.

Der V-Mann macht einen 
verhängnisvollen Fehler

Mario F. sagt: Von seinem Auslandseinsatz sei er wieder abgezogen worden, weil die Sache „zu heiß“ wurde. „Dann habe ich ein paar kleinere Aufträge gehabt. Die Bezahlung war gut. Ich hatte einen easy ruhigen Job als V-Mann. Aber dann habe ich einen Fehler gemacht.“

Der "fette Mexikaner" ist das Kennzeichen der Rocker

In Deggendorf lernt Mario F. einen Mann kennen, der Mitglied bei dem Regensburger Ableger des Motorradclubs „Bandidos“ (BMC) ist. Die „Bandidos“ sind eine mutmaßlich kriminelle Rockergruppierung. Ihr Abzeichen: Ein dicker Mexikaner mit Sombrerohut, bewaffnet mit Machete und Pistole – der sogenannte „Fat Mexican“, der fette Mexikaner. Die „Bandidos“ stehen in Verdacht schwerer Straftaten: Frauenhandel, Drogenhandel, Waffenhandel. Sie haben Rituale. Sie halten zusammen. Eisern. Verräter werden bestraft. Konkurrenten, wie die „Hell Angels“, werden bis aufs Blut bekämpft. Eine in sich abgeschottete Szene, in die Ermittlungsbehörden kaum hineinkommen.

Das LKA sagt: Unbedingt dranbleiben

Mario F. wird ins Klubhaus der Regensburger „Bandidos“ am Keilberg eingeladen, Party machen: „Mein V-Mann-Führer hat sich bei seinen Vorgesetzten erkundigt, was ich jetzt machen soll und aus München kam: Unbedingt dranbleiben. Und von da an hab’ ich nichts anderes gemacht, als mich um diese Vögel zu kümmern.“

"Ich konnte anfangs nur liefern, wer wie viel trinkt und wer wie viel kokst"

Anfangs hat sein V-Mann-Führer noch gesagt: „Keine Straftaten, keine Historie, dass ich Drogenhändler bin.“ Deshalb kommt Mario F. zunächst nicht an Informationen: „Ich konnte nur liefern, wer wie viel trinkt und wer wie viel kokst. Ich war bei Mitgliederbesprechungen nicht dabei.“ Mario F. sagt: Es gibt auch „normale Bandidos“, welche, die nicht kriminell sind. Aber die erfahren nichts von dem, was die kriminellen „Bandidos“ machen.

Der V-Mann-Führer sagt: „Das ist Heroin, du Depp!“

Die Entscheidung steht an: Wie kann Mario F. sich „interessant“ machen? Vor allem beim damaligen Präsidenten der Regensburger Bandidos Ralf K.? Mario F. sagt: „Der einzige, der in so einem Club alles wissen muss, ist der Präsident. Auf den war ich angesetzt. Ich hab meinen V-Mann-Führer gefragt: Was soll ich machen? Drogen, Nutten? Waffen?“ Mario F., der damals in Tschechien lebte, soll erst mal Frauen besorgen, in Tschechien. Inserate für Mädchen, Sprit, Auto, alles zahlt das LKA, sagt er. Er schafft die Prostituierten in ein Bordell nach Oberhausen, das von den dortigen „Bandidos“ betrieben wird. Doch eines seiner „Mädels“ verschwindet. Mario F. sagt zu seinem V-Mann-Führer: „Du kannst jetzt diesen Puff sperren, ich will das Mädel wieder haben. Mein V-Mann-Führer hat nichts unternommen, nach dem Mädel zu suchen, gar nichts.“ Kontakte von Mario F. zur Familie des Mädchens ergaben: sie war spurlos verschwunden. Bei den Regensburger „Bandidos“ tut der V-Mann kund, dass er „stinksauer“ sei. In Wahrheit hatte er Angst um das Leben des Mädchens, noch heute plagt ihn das, sagt er. Die Frauenlieferungen nach Oberhausen werden eingestellt.

Angeblich sagt der V-Mann-Führer: "Scheiß auf das Heroin"

Mario F. baut auf Anweisung seines V-Mann-Führers eine Legende als Drogendealer auf. Crystal-Speed ist in Tschechien leicht zu bekommen. Doch der V-Mann kennt sich noch nicht so gut aus. Als ein „Bandido“ aus Nürnberg ihm anbietet, „200 Gramm Braunes“ weiterzuverkaufen, muss er erst seinen V-Mann-Führer fragen: „Der sagt zu mir: Braunes, das ist Heroin, du Depp! Ich habe ihm gesagt: Verhaften sie ihn doch.“ Doch der V-Mann-Führer soll geantwortet haben: „Scheiß auf die 200 Gramm Heroin.“

Bislang keine „vergleichbare Infiltrationsmöglichkeit“

Mario F. beschafft weiter Informationen über die Bandidos, berichtet über Drogendeals, über Waffengeschäfte, Straftaten im Ausland, sogar über einen Anwalt, den die Bandidos möglicherweise umgebracht haben und fragt sich immer öfter: Warum tut das LKA nichts? „Ich habe meinem V-Mann-Führer vorgehalten: Was willst du noch von mir? Ich hab dir soviel Informationen beschafft.“

Das LKA klingt begeistert

Sein V-Mann-Führer schreibt am 14. April 2011 über Mario F., der LKA-intern als Vertrauensperson 614-113 geführt wurde: „...wird durch den BMC-Präsidenten K. aus Regensburg und den BMC-Präsidenten P. aus Oberhausen protegiert. Eine vergleichbare Infiltrationsmöglichkeit war bisher bei bayerischen Polizeidienststellen nicht vorhanden.“ Mario F. ist drin in der kriminellen Rockerszene.

Der Diebstahl von Baggern hebelt die Verschlusssache auf

Am 24. September 2011 fährt Mario F. von Regensburg aus mit einem gemieteten Tieflader nach Dänemark. Dort stehlen dänische „Bandidos“ vier Minibagger, laden drei auf den Laster des V-Mann, der kurz nach der dänischen Grenze auf einen Parkplatz fährt. Ein „Bandido“ soll die eingebauten Sender aus den Baggern entfernen: „Der „Spezialist“ hat die Sender nicht gefunden und hat behauptet: Er ist Profi, da sind keine drin.“ Mario F. fährt nach Süden, an Hof vorbei, dann beim Dreieck Hochfranken auf die A 93.

Die Polizei sucht "wie verrückt" nach einem Tieflader

„In jeder Ausfahrt standen zwei, drei Polizeiautos, ich habe deutlich gesehen: Die haben wie verrückt nach jedem Lkw geschaut. Die haben natürlich gewusst, dass der Sender da ist im Umkreis von 20 Minuten. Die Sender haben alle 20 Minuten einmal gesendet, aber die haben auf einen Tieflader gewartet, wo sie die Bagger sehen. Ich habe aber einen speziellen Auflieger gemietet, wo sie die Bagger unter der Plane nicht sehen konnten. So bin ich bis nach Wernberg-Köblitz gekommen.“

Der V-Mann-Führer sagt: Stell Dich

Schon während der Fahrt, sagt der Ex-V-Mann, habe er seinen V-Mann-Führer angerufen: „Hör zu, ich hab hunderprozentig Sender drauf. Soll ich mich verpissen? Die kriegen mich nicht.“ Der Kriminalbeamte sagt laut Mario F.: „Bleib ruhig, ich hör mich um.“ Mario F. fährt auf den Autohof Wernberg-Köblitz, setzt sich auf die Terrasse und bestellt Spaghetti Bolognese. „Nach 17 Minuten kamen aus allen Himmelsrichtungen Polizisten. Die haben gewusst: Der Laster mit den Sendern steht auf dem Parkplatz.“

"Jungs, ihr sucht Bagger. Das sind meine."

Mario F. ruft erneut seinen V-Mann-Führer an: „Die Kiste glüht, ich sitze hier mit meiner Reisetasche. Kannst du mich abholen, die kriegen mich nicht. Da sagt der zu mir: Das können wir nicht machen, geh hin und offenbare dich. Die sollen mich anrufen. Ich bin also raus und sage: Jungs, ihr sucht Bagger, das sind meine.“ Mario F. wird festgenommen, und offenbart sich als V-Mann des LKA.

Das Baggerverfahren wird erst einmal "eingeschläfert"

Sein Verteidiger Alexander Schmidtgall sagt, aus den Ermittlungen gegen das LKA sei nun klar: Der V-Mann-Führer wusste, dass Mario F. nach Dänemark fährt zum Baggerdiebstahl. Der V-Mann-Führer sorgt dafür, dass Mario F. wieder freigelassen wird, dass das Verfahren eingestellt wird. Anwalt Schmidtgall: „Obwohl der Beamte von meinem Mandanten informiert war, dass da eine Straftat läuft.“ Und der LKA-Mann soll seinen V-Mann sogar angewiesen haben, dass er die „Bandidos“ in Regensburg kontaktieren soll. Dort ist zeitgleich der vierte Bagger unterwegs, der nicht mehr auf den Tieflader gepasst hatte. Die „Bandidos“ lassen den Bagger im Industriegebiet zurück und verschwinden. In der Ermittlungsakte der Nürnberger Kripo heißt es unter anderem zu dem Fall: Das Verfahren sei „eingeschläfert“ worden, das LKA habe zudem die „Tatverbindung zu dem in Regensburg herrenlos aufgefundenen Minibagger“ gekannt und dies „zu keinem Zeitpunkt aufgedeckt“.

Das LKA paukt seinen V-Mann immer wieder heraus

Der Baggerfall wird später für die Kripo in Nürnberg der Ansatzpunkt sein, gegen das LKA vorzugehen, Durchsuchungsbeschlüsse zu erwirken und zu beweisen, dass man Mario F. vielleicht doch glauben kann. Die Verschlusssache Mario F. wird aufgehebelt. Im Ermittlungsbericht vom 10. Dezember 2014, den Mario F.’s Verteidiger dem Kurier vorlegt, steht: „Basierend auf den durchgeführten Ermittlungen steht nachweislich fest, dass die VP-Akte F. nachträglich mehrfach verändert wurde, um tatsächliche Erkenntnisse und Abläufe zu verschleiern. Spätestens, nachdem sich F. bei der Gerichtsverhandlung in Würzburg als VP des BLKA offenbarte und den Minibaggerdiebstahl erwähnte, hätte von den involvierten Beamten des BLKA eine offizielle Mitteilung an die sachbearbeitenden Dienststellen in Amberg und Regensburg... und die Polizeibehörde in Dänemark erfolgen müssen, um die namentlich bekannten Mittäter einer Strafverfolgung zuzuführen.“

„Dann wäre ich noch nie 
im Knast gewesen“

Der Minibaggerfall ist nicht der einzige Fall, in dem das LKA Mario F. bei der „normalen“ Polizei rauspaukt. Mario F. sagt: Fünf Wochen nach Wernberg-Köblitz kam ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Amberg: Verfahren eingestellt, keine Tatbeteiligung nachweisbar. „Also, ich meine: die haben mich angehalten mit einem Laster, wo hinten drei geklaute Bagger stehen und die behaupten: Kein Tatnachweis. Wenn das mal in meinen anderen Verfahren so gewesen wäre, dann wäre ich noch nie im Knast gewesen.“

Ein "Bandido" verplappert sich am Weihnachtsmarkt

Am 23.11 November 2011 soll Mario F. für ein Übertrittstreffen zwischen den "Bandidos" und der konkurrierenden Rockergang "Hells Angels" zehn Gramm Crystal besorgen – „die keinste Menge, die ich je dabei hatte“. Der sechs Monate gültige Eintrag im Polizeicomputer, nachdem das Kennzeichen am Auto des V-Manns ein LKA-Kennzeichen und demzufolge nicht zu kontrollieren ist, ist laut Verteidiger Schmidtgall gerade um einen Monat abgelaufen. Mario F. wird an der Grenze festgenommen, mit 9,7 Gramm Crystal im Gepäck. Wieder holt der V-Mann-Führer ihn raus. Denn: Das LKA will unbedingt das Übertrittstreffen am 24. November observieren.

Mario F. macht seinem V-Mann-Führer Vorhaltungen: „Ich bin nie in U-Haft gekommen, ich habe jetzt Angst. Bringt mich ins Zeugenschutzprogramm.“ Die Bitte ihres V-Manns erhört das LKA nicht. Drei Wochen später hat Mario F. „großes Glück“, wie er selbst sagt: Ein Bandido „verplappert“ sich am Weihnachtsmarkt in Regensburg: „Du wirst laufend verhaftet, kommst aber nie in den Knast. Mit dir stimmt was nicht, komm' heute abend ins Klubhaus, dann werden wir das besprechen.“

Der V-Mann will Gehalt für ein halbes Jahr U-Haft

Diese Warnung verstand dann auch das LKA, einen Tag später ein Treffen mit seinem V-Mann-Führer: „Ich musste mein LKA-Handy abgeben.“ Zwei Stunden später nimmt die Kripo Würzburg Mario F. fest, auch, weil er an seine eigene Tochter Drogen weiter verkauft hat. Er kommt in Untersuchungshaft. In der Haft bekommt er Besuch vom LKA, man habe ihm angeboten, sich erst einmal „ein halbes Jahr in U-Haft zu setzen“, sagt Mario F., „dann würde man mich rausholen wie immer.“ Mario F. erklärt sich unter einer Bedingung einverstanden: „Wenn ihr mir das bezahlt“. Doch das LKA will nicht zahlen.

Das Amt schützt seinen Top-V-Mann nun nicht mehr

Was war der Grund für diese Absage? Mario F.’s Verteidiger Alexander Schmidtgall meint: „Darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht war der Top-V-Mann nach seiner Einladung ins Klubhaus verbrannt und wertlos geworden. Vielleicht sträubte sich die Kripo in Würzburg zu sehr, die Manipulationen des LKA mitzumachen.“ Schon Wochen vor der Festnahme habe das LKA seinen V-Mann vor der laufenden Telefonüberwachung „gewarnt“. Mario F. sind die Worte des ihn festnehmenden Kriminalbeamten noch heute im Ohr: „Du kommst jetzt weg, die schützende Hand des LKA liegt ab sofort nicht mehr über dir.“

Der Prozess wird bald nochmal verhandelt

Seither kämpft Mario F. darum, dass ihm jemand glaubt. Sein Verteidiger sagt: „Es ist ein fast aussichtsloser Kampf gegen LKA-Beamte, die Akten gefälscht haben und die im ersten Prozess gegen meinen Mandanten falsch ausgesagt haben.“

Am 16. November soll vor dem Landgericht in Würzburg die zweite Auflage des Prozesses beginnen. Diesmal sind der Ex-V-Mann und sein Verteidiger etwas zuversichtlicher. Schmidtgall: „Durch die Ermittlungen der Nürnberger Kripo hat sich das Blatt für meinen Mandanten entscheidend gewendet. Das LKA hat durch Aktenfälschungen und Falschaussagen versucht, das Schicksal meines Mandanten zu besiegeln. Aus meiner Sicht ist bewiesen, dass mein Mandant die ihm vorgeworfenen Straftaten im Auftrag des LKA begangen hat. Dafür kann er nicht verurteilt werden."

Lesen Sie auch: Staatssekretär zur V-Mann-Affäre
Video: Das sagt der V-Mann

Bilder