"Ich hatte nie daran gedacht, wegzugehen"

Von Katharina Wojczenko
Von Nigeria nach Bayreuth: Gloria Okatie und Abraham Oseremen (beide 27) und Baby Desmond (neun Monate). Tochter Obehi (drei Jahre) war beim Fototermin im Kindergarten. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Sie mussten ihr Land verlassen und leben mit ihren beiden kleinen Kindern heute in Bayreuth. Für das heutige Bibelzitat, das Pfarrer Otto Guggemos ausgesucht hat, haben wir mit den Asylbewerbern Gloria Okatie (27) und Abraham Oseremen (27) gesprochen. Das Paar stammt aus Nigeria, er aus dem Norden, sie aus dem Süden. Ihre Tochter Obehi (3) kam in Italien auf die Welt, wo sich die beiden kennenlernten. Sohn Desmond (neun Monate) ist ein geborener Bayreuther.

 
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Bis Weihnachten sprechen wir jeden Tag mit einem anderen Menschen über ein weihnachtliches Zitat aus der Bibel, das Pfarrer Otto Guggemos ausgewählt hat. Die heutige Bibelstelle:

"Als sie aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir's sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen."

Matthäus 2,13

 

Dem Josef aus der Bibel erschien ein Engel im Traum und riet ihm, mit seiner Familie nach Ägypten zu fliehen. Was war für Sie der Moment, in dem Sie entschieden: Wir müssen weg?

Gloria Okatie: Als meine Familie mich beschneiden lassen wollten, weil ich heiraten sollte. Das ist in meinem Dorf Teil unserer Kultur. Normalerweise passiert das, wenn die Frauen noch Kinder sind. Ich war aber schon 18. Ich wollte das nicht. Vorher habe ich nie daran gedacht, wegzugehen. Eine Freundin hat mich darauf gebracht.

Abraham Oseremen: Mein Vater war Anführer einer Voodoo-Religion. Diese Religion hat früher Menschen geopfert, heute Tiere. Als er starb, sollte ich sein Nachfolger werden, weil das Amt in der Familie übertragen wird. Aber ich bin Christ und war seit Jahren schon heimlich in die Kirche gegangen. Zwischen Muslimen und Christen gibt es in meiner Heimat viele ethnische Probleme, auch mit Boko Haram. Weil ich meinem Vater nicht nachfolgen wollte, war ich in Lebensgefahr. Ich habe mich auf einem Frachtschiff nach Italien versteckt.

Wen oder was mussten Sie zurücklassen?

Okatie: Meinen Vater. Ich mag ihn. Ich habe keine Geschwister. Und ich hatte gerade meinen Abschluss und wollte mit dem Studium an der Ambrose Alli University in Ekpoma anfangen, um später in einer Bank oder in der Verwaltung zu arbeiten.

Oseremen: Meine Mutter ist mittlerweile gestorben, meine jüngere Schwester und Bruder leben noch in Nigeria. Ich wollte Ingenieurwissenschaften studieren. Aber dazu kam es nicht mehr. Wir hatten nichts, als wir nach Bayreuth kamen.

Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?

(beide lächeln)

Okatie: Über Facebook. Das war 2011.

Oseremen: Ich habe in Ferrara gelebt, sie in Parma. Aber das wusste ich nicht. Ich habe auf Facebook Kontakt zu Leuten aus Nigeria gesucht. Wir haben uns Nachrichten und Fotos geschickt. Dann bin ich nach Parma gezogen. Eines Tages war ich im Supermarkt und dachte: Die kenne ich doch. Ich habe sie angesprochen. 

Warum sind Sie zusammen nach Deutschland gegangen?

Oseremen: Wenn ich in Italien Arbeit gefunden hätte, wäre ich dort geblieben. Aber dort hatten wir keine Chance. Ich hoffe, dass meine Familie es hier besser hat.

Was sind in Bayreuth Ihre größten Schwierigkeiten?

Oseremen: Wir leben zu viert in einer Einzimmerwohnung. Außerdem will ich arbeiten.

Okatie: Es gibt für etwa zehn Familien nur eine Waschmaschine. Hier in der Wohnung ist kein Platz, um Wäsche aufzuhängen. Die Gasöfen sind gefährlich. Desmond will jetzt krabbeln, aber das darf er nicht. Seine Schwester hat sich schon am Ofen verbrannt. Und ich würde gerne eine Ausbildung zur Näherin machen.

Nach den Anschlägen in Paris ist Sicherheit ein großes Thema in Deutschland, sogar auf den Weihnachtsmärkten. Fühlen Sie sich sicher hier?

Okatie: Auf jeden Fall. Ich bin noch nie angegriffen worden, die Leute lächeln mich an.

Oseremen: Unsere Nachbarn sind aus dem Kosovo, aus Syrien, Russland. Rassismus habe ich noch nie erlebt hier. Die Menschen sind viel freundlicher als in Italien, fragen, wie es mir geht. Ich habe auch viel Kontakt mit Studenten, weil ich Fußball spiele. Aber man kann niemandem in den Kopf schauen.

Maria und Josef sollten mit ihrem Kind so lange in Ägypten bleiben, bis die Gefahr vorbei war. Was müsste passieren, damit Sie wieder in Ihre Heimat zurückkehren?

Okatie: Das wird nicht passieren. In Nigeria gibt es keine richtigen Straßen, keinen Strom, wenig Essen.

Oseremen: Schauen Sie (er zeigt Fotos auf seinem Telefon), gestern haben Polizisten wieder Menschen erschossen. Diese Frau war bei einer Demonstration. Die Gewalt gegenüber Menschen, die anders denken, muss aufhören.

Das Gespräch führte Katharina Wojczenko

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