Ein Verdächtiger meldet sich zu Wort Fall Peggy: Die vier Verdächtigen

 Foto: red

Die üblichen Verdächtigen. Seit Jahren werden sie immer wieder verhört. Aber weder bei Holger E. (29), noch bei Robert E. (59), noch bei Jens B. (41) reichen die Indizien, um zu beweisen, dass sie etwas mit dem Verschwinden der damals neunjährigen Peggy in Lichtenberg zu tun hatten. Das zeigt auch die erneute Vernehmung von Jens B. Der aber wehrt sich jetzt.

 
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„Wie im amerikanischen Krimi“ sei die Vernehmung gewesen, sagt Jens B. Ausgerechnet nachdem er seinen Halbbruder Holger E. wegen Missbrauchs an seiner Tochter angezeigt hat, sogar darauf hingewiesen hat, dass dieser etwas mit dem Verschwinden von Peggy zu tun haben könnte, geriet er nach zwölf Jahren erneut unter Verdacht. Im Oktober war er zur Zeugenaussage geladen – gegen seinen eigenen Halbbruder. Daraus wurden 30 Stunden Vernehmung und eine Nacht im Gefängnis. Jetzt erhebt Jens B. schwere Vorwürfe wegen der Verhörmethoden der Staatsanwaltschaft Bayreuth.

Das Vorgehen gegen Jens B. zeige vor allem eins: Wie dünnhäutig die Ermittler seien, sagen Anwälte, die mit dem Fall beschäftigt sind. „Der öffentliche Druck ist enorm“, sagt Eyck Zimmermann. Sagt auch Michael Euler, der Anwalt von Ulvi Kulac (36). Jens B. und seine Frau Anke (40) wurden im Oktober getrennt voneinander in verschiedenen Städten vernommen. Er in Nürnberg, sie in Ansbach. Nach wenigen Stunden habe man ihm gesagt, er sei ab jetzt kein Zeuge mehr, sondern ein „Beschuldigter“. Daraufhin bat er um einen Anwalt. Staatsanwalt Ernst Schmalz entgegnete: „Der kann Ihnen auch nicht sagen, was Sie am 7. Mai 2001 gemacht haben.“

Jens B. hat diese Antwort so empfunden, als ob ihm der Anwalt verwehrt worden wäre. „Das stimmt nicht“, sagt Herbert Potzel, Leitender Oberstaatsanwalt in Bayreuth. Ein Polizist habe Jens B. ein Telefonbuch hingehalten. Der aber habe sich weiter unterhalten. „Wenn er gewollt hätte, hätte er keine Frage mehr beantworten müssen.“ Er habe aber „nicht nichts gesagt“.

Jens B. bleibt dabei: Der Druck bei der Vernehmung sei enorm gewesen. „Wenn du nicht gestehst, geht deine Frau“, hieß es. Er solle „Eier in der Hose haben“, sonst verlasse ihn seine Frau. Und er erfahre nicht, wohin sie gehe. Sie werde einfach „nicht mehr zuhause sein“. Auch seiner Frau hätten die Vermittler versucht, über Stunden einzureden, dass Jens B. schuldig sei. Dass sie doch ihre Kinder unterstützen müsse. Nur er könne der Täter gewesen sein.

Auf noch einer anderen Schiene hätten es die Ermittler versucht, sagt Jens B. „Die Staatsanwaltschaft wollte ein Geständnis erpressen und ich sollte den Ulvi belasten“, sagt er. Er solle Ulvi am Tag von Peggys Verschwinden im Hausflur gesehen haben. „Hab’ ich aber nicht“, sagt er. Warum hätte er in den Flur gehen sollen, fragt er. Nein, ein Unfall sei es auch nicht gewesen. Und nein, es sei auch kein Blackout oder „Hirnabschalten“ gewesen, weil er etwas Schlimmes gesehen hätte. Auch das hätten die Ermittler ihm „angeboten“.

Jens B. gewann den Eindruck: „Man versucht einen Täter zusammenzubasteln – wie beim Ulvi.“ Nach fast 36 Stunden durfte er gehen – der Anfangsverdacht hatte sich nicht erhärtet. Seine Frau war da schon länger entlassen, allerdings hatte die Vernehmung bei ihr so lange gedauert, dass sie den sechsjährigen Sohn nicht mehr vom Kindergarten abholen konnte. „Das haben ihr die Beamten einfach an den Kopf geknallt.“

Ins Visier der Ermittler geraten war Jens B. wegen eines alten Verdachts. Schon kurz nach Peggys Verschwinden hatte ein Reporter Jens B. angezeigt. Angeblich habe sich Jens B. ein Alibi verschaffen wollen. „Das stimmt nicht“, sagt Jens B. Denn er habe darauf hingewiesen, dass er nicht nachweisen könne, den ganzen Nachmittag am Computer gesessen zu haben.

Tatsächlich können die Ermittler nachweisen, dass er seinen Computer an jenem trüben und kalten Montag um 13.11 Uhr hochgefahren hat. Schon um 13.18 Uhr enden seine Tätigkeiten. Genau zu dem Zeitpunkt, als Peggy den Ermittlungen zufolge hätte heimkommen müssen. Erst um 14.06 Uhr können die sogenannten IT-Forensiker wieder einen Tastendruck feststellen. 48 lange Minuten ohne ein nachweisbares Alibi. Ab 14.57 Uhr drückt Jens B. wieder Tasten an seinem Computer, aber nur bis 15.12 Uhr. Danach will er bis 18.30 Uhr Musikdateien heruntergeladen haben. „Damals waren die Computer nicht so schnell.“

„Durch das Öffnen von Ordnern verändert man Zeitstempel“, sagt der IT-Forensiker Andreas Bauer aus Bindlach. Allein beim Hochfahren des Computers ändern sich 1000 Zeitstempel. „Alles wird im Hintergrund protokolliert.“ Allerdings verändere das Arbeiten mit der Maus keine Zeitstempel, was für Jens B. spricht. Der gibt an, dass er nur Musik gehört und heruntergeladen hat. Schon immer verbringe er viel Zeit vor seinem PC – auch mit Nichtstun. „Das ist ganz typisch für mich.“

Er wird weiter unter den Verdächtigen bleiben. Wie Holger E. Wie Robert E., ein wegen Kindesmissbrauchs Verurteilter aus Lichtenberg, dessen Haus und Garten die Polizei im vergangenen Jahr eine Woche lang durchsucht hat. Gefunden hat sie nur Knochen, die 100 Jahre und älter waren. Und wie Ulvi Kulac, dessen Prozess im April neu aufgerollt wird. Er dürfte bei den Ermittlern der Hauptverdächtige bleiben. Denn auf ihm lastet als einzigem ein Geständnis aus dem Juli 2002. Auch wenn er es sechs Monate danach widerrufen hat. Bis heute bestreitet er, Peggy ermordert zu haben. Die Ermittler rätseln weiter über den Fall.

Bis heute steht auch nicht fest, wann genau Peggy verschwunden ist. Die Richter gehen von der Zeit aus, in der sie mit Schulranzen in Richtung ihres Hauses ging. Das war gegen 13.15 Uhr. Danach gehen die Zeugenaussagen auseinander. Vor allem Kinder wollen sie zwischen 14.15 und 16 Uhr in oder vor dem Bäckerladen im Ort gesehen haben; andere, wie sie in ein rotes Auto einstieg. Ein älteres Ehepaar will sie gegen 16 Uhr gesehen haben, wie sie einen einsamen Weg entlang lief. Ein Jugendlicher hat sie angeblich gegen 15 Uhr am Rathaus gesehen. Ein anderer um 19 Uhr. Mit einer Puppe im Arm. Ulvi Kulacs Anwalt Euler will diese und andere Zeugen im Wiederaufnahmeverfahren im April nochmals befragen.

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