Kurz nachdem der tödliche Schuss gefallen war, fuhr Janinas Mutter Magdalena W. ins Krankenhaus nach Schweinfurt, wo Ärzte vergeblich versucht hatten, Janinas Leben zu retten. „Seitdem hat sich alles verändert. Vorher waren wir eine glückliche Familie.“ Janina habe sich sehr auf ihren kleinen Bruder gefreut. Als sie sterben musste, war er gerade erst neun Wochen alt. „Ich bin nicht mehr die Person, die ich war. Ich kann nicht die Mutter sein, die ich war. Es ist ein Kampf. Jeden Tag weine ich bitter und frage mich, wie ich den Tag durchstehen soll.“
Seitdem ist Magdalena W. in ärztlicher Behandlung. „Alleine würde ich das nicht bestehen.“
Von Tag zu Tag schlimmer
Es werde von Tag zu Tag schlimmer. Janina fehle überall und der Mutter werde von Tag zu Tag bewusster, dass sie nicht da ist. Wenn sie Kinder auf der Straße sehe, drehe sie sich um und gehe nach Hause. Sie könne nicht richtig einkaufen gehen. „Das Leben ist einfach schwer.“ Sie könne sich auch nicht immer mit Tabletten „vollpumpen“, sie müsse für ihre Familie da sein. „Tabletten nehme ich nicht.“ Täglich gehe sie zu ihrer Tochter ans Grab. „Da weine ich, das hilft auch.“
Der Prozess helfe ihr „ein kleines Stück“, das Geschehen zu verarbeiten. Um für ihren Mann und ihr Kind da zu sein, müsse sie es verarbeiten.
Janina aber könne niemand ersetzen, „auch nicht mein Sohn“. Diese Lücke könne nicht geschlossen werden. Sie erzog ihre Tochter alleine, seitdem sie sich vor fünf Jahren von deren Vater getrennt hatte. „Das war die glücklichste Zeit meines Lebens.“
"Ich hoffe, ihm ist klar, was er uns angetan hat"
Zum Angeklagten sagte sie: „Ich hoffe, dass ihm bewusst ist, was er angerichtet hat, mit einem Schuss hat er alles kaputt gemacht. Meine Tochter war erst elf. Ich hoffe, dass ihm klar wird, was er uns allen angetan hat.“
Auch Janinas Vater ist in ärztlicher Behandlung. Und auch er richtete ein Wort an Roland E.: „Dass man so emotionslos da sitzt wie er, das kann ich nicht verstehen.“
Den Vorwurf der Kälte wird E. nicht los. Als er am 12. Januar vor der Ermittlungsrichterin stand, sagte er: „Seit meiner Trennung war Silvester immer scheiße. Meine Wut kommt vom Allgemeinen, meinen Schmerzen.“ Damit versuchte er zu erklären, was nicht zu erklären war. Dass er sich gestört fühlte von dem Lärm derer, die voller Freude Silvester feierten, die laut böllerten. Unter ihnen die elfjährige Janina aus Burgebrach, die zum ersten Mal bei einer Freundin feiern durfte. Roland E. ging in den Keller, holte seine Waffe, lud sie, ging nach oben, ging in Hausschuhen aus dem Haus, stellte sich dahin, wo ihn keiner sehen konnte und drückte bis zu fünf mal ab. Etwa 50 Meter weiter weg sackte Janina zu Boden, getroffen von einem Geschoss am Hinterkopf. Der medizinische Gutachter sagte, sie sei nicht mehr aufgewacht, habe nichts mehr mitbekommen.
Der Angeklagte möchte nichts weiter erklären
Thomas Drehsen, E.s Verteidiger fragte seinen Mandanten: „Ich frage Sie, ist es so gewesen, wie Sie bei der Polizei gesagt haben, dass Sie aus Verärgerung gehandelt haben?“ „Ja“. Möchten Sie weitere Erklärungen dazu abgeben. „Nein.“ Janinas Mutter schaute ihn dabei nur an.
Trotzdem warnte die Ermittlungsrichterin, die den Haftbefehl unterschrieb, davor, Roland E. als „Unmenschen“ zu sehen. Vielmehr sei er ihr in Erinnerung geblieben als ein Mann, der „sowieso seinen Gefühlen nicht sehr nah“ sei. Über den sie sich aber zu wundern schien: E.s Wut hatte sie nicht als „rasende Aggression“ empfunden. „Aber ich konnte es mir nicht erklären, wie man so etwas machen kann, wenn man nicht rast.“
Auch bei den vernehmenden Beamten einen Tag vorher war letztlich nicht klar geworden, warum E. geschossen hat. Eine Stunde und 22 Minuten, solange dauerte seine Vernehmung.
In der Videoaufzeichnung seiner Vernehmung ist zu sehen, dass E. noch in seiner Arbeitskleidung der JVA Ebrach, wo er als Lkw-Fahrer gearbeitet hatte, vernommen wurde. „Arbeiten, heim und Fernseh schauen“, so beschreibt er den 31. Dezember 2015. „Wie soll der Tag anders gewesen sein?“ Um 16 Uhr kam er nach Hause, hatte Besuch von seiner Familie bis etwa halb neun. Ab dann war er alleine daheim. Im Fernseher läuft „deutsche Musik“ auf MDR, E. nahm Tabletten und schlief ein. „Muss ich aufgewacht sein, muss in den Keller gegangen sein, habe den Revolver geholt.“
"Ich hab in die Luft geschossen"
„Geärgert hab ich mich freilich, über den Lärm, das ist klar.“ Aus dem Fenster geschaut habe er, habe aber nicht gewusst, wer und wie viele Menschen vor seinem Haus feierten. Er holt im Keller den Revolver. „Dann bin ich hoch, Richtung Baum zur Haustür raus.“ Dann geht er den Pflasterweg. Beim Baum „hab ich in die Luft geschossen“. Mit dem Finger zeigte er in die Luft. „Richtung Berg.“ Woanders sei es nicht gewesen. „Da sieht mich ja jeder, dass ich mit dem Revolver schieße.“ Und da habe er „schon Muffe gehabt, weil da immer Kinder und Leute laufen“. Trotzdem schießt er „drei, vier Mal“. „Bumm, bumm“. Damit, dass „das der Schuss war“, habe er nie gerechnet.
„Das schlechte Gewissen kommt nicht gleich am gleichen Tag, das kommt er später. Und immer schlimmer wird das.“ Erst Tage später machte er sich Gedanken, „ob das nicht mein Schuss war“. Und das sei immer schlimmer geworden. Abgedrückt hatte er nur, „weil man sich geärgert hat“. „Weil man aufgewacht ist.“
Er trug schwer daran, dass er von seinem Sohn getrennt leben musste. Es sind die einzigen Momente, in denen Roland E. in Tränen ausbricht in seiner Vernehmung, wenn es um seinen damals 14-jährigen Sohn geht. Diese schönen Zeiten hatte ich auch mal, die sind vorbei. Solche Gedanken hatte er „auf jeden Fall.“ Wütend war er „auf der Partnerin, dass alles kaputt ist“ und „auf mir selber“. Dummheit, Blödheit, Ärger.
Den Aufruf der Mutter im Fernsehen hat er mitbekommen. „Da reicht’s mir. Jetzt haben wir die Scheiße“, sei ihm durch den Kopf geschossen. Ein Mensch ist seinetwegen gestorben. Nur weil er „komplett durchgedreht“ gewesen sei. Danach habe er sich wie nach einem Traum gefühlt. „Immer wieder hofft man, du warst es doch nicht, du warst es doch nicht.“
Das Urteil könnte am Donnerstag fallen.
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