Drogensucht: Elend, Verzweiflung und Dreck

Von Moritz Kircher
Medaillen wie diese in unterschiedlichen Farben gibt es bei den Narcotics Anonymous für Zeiträume in unterschiedlicher Länge, die der Besitzer ohne Rückfall in Drogen überstanden hat. Foto: red Foto: red

Walter ist seit sechs Jahren clean. Seinen Nachnamen behält er lieber für sich. Aber alles andere erzählt er. Und das sind die Details über seine schlimme Drogenkarriere. Mit seiner Geschichte will Walter Schüler davon abhalten, die gleichen Fehler zu machen wie er. Und ein wenig hält er sich damit auch selbst in der Spur, wie er im Kurier-Interview erzählt.

 
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Was erzählen Sie den Schülern im Unterricht?

Walter: Ich erzähle meine Suchtgeschichte. Die Schüler merken, dass ich ehrlich bin. Ich erzähle ab dem ersten Kontakt mit Alkohol und Nikotin. Das geht nicht mit irgendwelchen Horrorgeschichten los. Das hat sich entwickelt. Die erste illegale Droge war Haschisch. Bevor die nächste Droge dazu gekommen ist, ist erst einmal drei, vier Jahre nichts passiert. Aber da habe ich gelernt, meine Gefühle zu manipulieren. Dann kamen die anderen Drogen dazu. Und das ganze Elend, mit Überdosen, Krankenhaus, mit fast sterben. Und wenn ich fertig bin, sind die Schüler erstmal still. Die sind danach so emotionalisiert, weil die Sucht ein Gesicht bekommt.

Erreichen Sie die Schüler mit dem, was Sie erzählen?

Walter: Voll. Ich habe mich auch total gefreut, dass mir hier einige zugewunken haben und sich an mich erinnern.

Warum offenbaren Sie sich Fremden und erzählen Ihre Geschichte?

Walter: Ich habe selbst Kinder. Und auch ich habe Präventionsangebote erlebt, die aber nicht ausreichend waren. Als ich clean wurde, habe ich mir überlegt, welche Form der Prävention mir geholfen hätte. Wer hätte mich ansprechen können? Wenn, dann jemand, der mir erzählt, was er erlebt hat. Dann hätte ich vielleicht eher akzeptiert, wie riskant das alles ist. Ich habe die Selbshilfegruppe "Narcotics Anonymus" in Bayreuth gegründet. Und ich will meine Erfahrungen den Kindern weitergeben. Ich mache es aber auch wegen mir. Sucht ist eine Krankheit des Vergessens. Ich sehe immer wieder, die Leute vergessen dieses Elend, diese Verzweiflung, diese Hoffnungslosigkeit, diesen Dreck. Und sie denken nur noch: Boah, war das geil. Aber ich werde nie vergessen, was ich damals erlebt habe. Und heute geht es mir eine Million Mal besser. Und damit ich das nicht vergesse, gehe ich hierher und erzähle mein Leben.

Wie schwer war für Sie der Weg raus aus der Sucht?

Walter: Sehr schwer und sehr lang. Ich bin jetzt über 30 Jahre suchtkrank. Nach meinem ersten Entzug, da war ich nicht mal 30, habe ich immer wieder versucht loszukommen. Ich habe gemerkt, ich schaffe es allein nicht. Ich war immer wieder in der Klinik. Den Kindern sage ich immer: Da war ein kleiner Mann in meinem Kopf, der gesagt hat, nur noch einmal. Aber wenn ich es einmal gemacht habe, konnte ich danach nie aufhören. Es ging weiter, bis ich nicht mehr konnte. Und nur wenn die Angst vorm Sterben größer war als vor dem Entzug, dann bin ich in die nächste Klinik. Mein Problem war, ich wusste immer alles besser. Und wenn mich in der Klinik ein Therapeut mal fast gepackt hatte, wollte ich einen anderen. Ich bin immer ausgewichen. In meiner vorletzten Klinik habe ich Kontakt zur Selbshilfegruppe "Narcotics Anonymus" bekommen und bin nach Fürth ins erste Meeting. Die Leute dort haben mich total überzeugt. Dass ich die Gruppe in Bayreuth gegründet habe, war ganz wichtig für mich. Denn ich wusste, wenn ich jetzt wieder was nehme, bricht die ganze Gruppe zusammen.

Sie sagen von sich selbst, Sie sind clean. Aber Sie sprechen von sich als Suchtkrankem. Warum?

Walter: Ich bin den Rest meines Lebens drogenabhängig. In dem Moment, in dem ich Kontakt mit Drogen hätte, ginge das von vorne los. Ich rauche nicht, ich trinke nicht, ich nehme keine gefährlichen Medikamente, keine illegalen Drogen. Ich esse nicht mal Mohnbrötchen oder Pralinen oder Schwarzwälder Kirschtorte. Null. Nichts. Komischweise vermisse ich nichts.

Jeder Mensch schlägt doch mal über die Stränge. Sie nicht?

Walter: Ich fahre Motorrad, gehe Drachenfliegen, mache Sport, Musik, lese. Jetzt kann ich mich um sowas kümmern. Dadurch, dass ich keine Drogen mehr nehme, habe ich eine riesige Portion Freiheit bekommen. Eigentlich hatte ich das so gar nicht erwartet. Ich habe nur aufgehört, weil ich Angst hatte und mir gewiss war, dass ich sterben muss, wenn ich so weiter mache. Und dann kamen tolle Dinge. Ich habe in den Drogen immer die Freiheit gesucht. Beim Kiffen bin ich auf hohe Berge gefahren, damit ich weit sehen konnte. Aber die Freiheit habe ich dort nie gefunden - nur Sklaverei und Elend. Jetzt bin ich frei.

Mehr dazu lesen Sie hier: Drogen-Prävention auf der Bühne

 

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