Was Forscher von einem Sensationsfund in der Fränkischen Schweiz erwarten – Demnächst Grabung bei Aufseß Das Geheimnis der Kirschbaumhöhle

Von Michael Weiser
So genau untersucht wie keine Höhle zuvor: Mit aller Sorgfalt bargen die Forscher die Skelettteile aus der Kirschbaumhöhle. Foto: Uni Bamberg Foto: red

Sensation auf Eis: In der Kirschbaumhöhle in der Fränkischen Schweiz stieß Timo Seregély von der Uni Bamberg auf die Überreste von sieben Menschen, die ältesten fast fünftausend Jahre alt. Die Knochen sind so gut erhalten, dass die Archäologen tief in Oberfrankens graue Vorzeit eintauchen und die Archäologie insgesamt voranbringen könnten – wenn nur Geld für weitere Forschungen da wäre.

 
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„Das ist ein gruseliges Loch“, sagt Timo Seregély. „Freiwillig geht man da normalerweise nicht rein.“ Aber was heißt schon normal? Seregély gibt die Antwort: „Leider gibt es in der Szene auch Idioten, die trotzdem da drin rumwühlen würden.“ Darum hält er die Höhle geheim, in der er und seine Kollegen vor einiger Zeit einen Sensationsfund gemacht haben: Menschliche Schädel, Unterkiefer und andere Knochen, teilweise 4700 Jahre alt – Zeugen der so genannten Jungsteinzeit. Die jüngsten Knochen stammen aus einer Zeit, da die Griechen die Demokratie erfanden und die Perser abwehrten: Aus der Eisenzeit, zwischen 700 und 400 vor Christus. Auch von Tieren fanden sich Skelettteile.

Der Haufen Knochen allein würde die Archäologen kaum in gehobene Stimmung versetzen. Das besondere an der Kirschbaumhöhle: Sie war über Jahrhunderte abgeschlossen und ist damit so etwas wie eine Zeitkapsel. „Da hat niemand etwas angefasst“, sagt Seregély und strahlt. „Der absolute Glücksfall: Kein Fuchs war da später mehr drin, kein Dachs, kein Mensch.“ Entdeckt worden war die Höhle von zwei Mitgliedern der Forschungsgruppe Fränkischer Karst. Und die hatten ihren Fund sogleich dem Landesamt für Denkmalpflege gemeldet. Dann wurde die Höhle verschlossen.

Eigentlich wäre die Fränkische Alb das ideale Gebiet für moderne Jäger und Sammler wie die Forscher der Uni Bamberg. Doch die bekannten Höhlen wurden bereits früher erforscht. Und da fehlten den Spatenforschern Wissen und Erfahrung heutiger Wissenschaftler. Unter anderem hatten sie nicht die Möglichkeit, ihre Funde auf DNA zu untersuchen.

Tatort aus der Steinzeit?

Anders als die Gräber in der Kirschbaumhöhle. Um ihre einzigartige Chance zu wahren, stiegen sie sogar in forensischen Anzügen in die Höhle, wie man sie aus Krimis kennt. Ergebnis: Die DNA ist gemessen am Alter der Knochen ungewöhnlich gut erhalten. Jeder Knochen wurde in ein Diagramm eingezeichnet, ein Fachmann fertigte sogar einen 3-D-Scan an.

Vermutlich war noch nie zuvor eine Höhle so genau untersucht worden. Und nun könnte die Uni Bamberg Wissenschaftsgeschichte schreiben. Zum Beispiel, indem sie Lücken im Wissen um die Kultur der Bandkeramiker füllt. Noch immer ist umstritten, wo diese Menschen der späten Jungsteinzeit herkamen, die ihre Gefäße verzierten, indem sie vor dem Brennen Schnüre in die Keramik eindrückten. „Wir können rausfinden, wo die Menschen herkamen“, sagt Seregély. „Es sieht so aus, als ob das ein Migrationsevent gewesen sei.“ Wie sich diese Menschen ernährten, wo sie herkamen und wie ihre Siedlungen genau aussahen: Darüber gibt es Diskussionen. Seregélys Funde könnten Fragen klären. Könnten, denn derzeit fehlt schlicht das Geld. Für eine richtige Forschungsgrabung ebenso wie für eine weitere Untersuchung der Funde.

Was die Zähne verraten

Da gibt es zum Beispiel Isotopen, Arten von Atomen, die sich je nach Lebensumständen in Knochen und Zahnschmelz ablagern. Bekannt ist die C-14-Methode, mit der Archäologen das Alter feststellen können. Im besten Falle können die Archäologen anhand der Isotopen nicht nur den Zeitpunkt des Todes, sondern die Umstände eines Lebens rekonstruieren, das vor Jahrhunderten endete. Doch diese Methoden kosten viel Geld. Geld, was er erst wieder einwerben muss. Seregély geht’s wie den Zuschauern in Peter Jacksons Hobbit-Filmen: Gerade, wenn’s spannend wird, muss man sich vertrösten lassen und wieder ein Jahr warten. Der Sensationsfund liegt auf Eis.

Warum zu verschiedenen Epochen Leichen in einen Spalt in der Erde geworfen und nicht bestattet wurden, darüber will Seregély nicht spekulieren. Ob sie geopfert wurden, an Krankheiten starben oder schlicht zu arm oder unwichtig waren, um angemessen bestattet zu werden: Seregély zuckt mit den Schultern. „Ich bin Wissenschaftler, ich brauche Fakten.“

Während die Kirschbaumhöhle ruht, plant Seregély seine nächsten Unternehmungen. Er forscht nach Bandkeramikern auf der Frankenalb. „Auf der Alb hat noch nie jemand ein Haus aus dieser Zeit nachgewiesen“, sagt er. Ab Mitte August gräbt er in der Nähe von Aufseß, wiederum auf der Suche nach Überbleibseln aus der Jungsteinzeit. Und hofft auf wichtige Erkenntnisse über die frühe Geschichte der Region. Er ist zuversichtlich, im September will er Interessierte zu dieser Grabung führen. „Da wird man schon was sehen.“

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