Team Hübner: Papa, weiter!

Von Anne Müller

Papa, Sauerbraten!“ Nico klang energisch. Keine Widerrede, ein Sauerbraten musste her. Beim Weltkulturerbelauf war das, vergangenes Jahr in Bamberg. Es war Sonntagmittag, Essensdüfte wehten über die Laufstrecke. Also, Nico schob Kohldampf, sein Vater hingegen den Rollstuhl, in dem Nico saß. Und das im Laufschritt.

 
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Michaels Antwort fiel entsprechend atemlos aus: „Klar. Essen. Wir. Nachher. Einen. Sauerbraten.“ Das Problem: Im Zielbereich des Laufes gab es Obst, aber weit und breit keinen Sauerbraten. Der guten Laune tat das aber keinen Abbruch: „Sämtliche Läufer, die Nicos Sauerbraten-Rufe mitbekommen haben, flachsten mit uns im Ziel herum, so nach dem Motto: Was hast du denn für einen Papa, der dir Sauerbraten verspricht und dir dann Bananen vorsetzt!“ Noch heute lacht Michael Hübner herzlich über diese Episode. „Aus unserer Vater-Sohn-Beziehung ist ein Sport-Team geworden, und Nico wird immer mehr als Sportler wahrgenommen und nicht nur als Mensch mit Behinderungen. Das finde ich grandios.“

"Beim Sport lernt man viel über sich selbst"

Michael Hübner kam 1972 in Bayreuth zur Welt und blieb seiner Heimatstadt treu. Er absolvierte die Schulzeit bis zur Berufsschule in Bayreuth und machte dort auch seine Ausbildung bei der Deutschen Post. Auch wenn er als Postbeamter viel unterwegs ist, ist er doch erst beim Sport richtig zufrieden. Wenn er sich bewege, fühle er sich wohl, erzählt der durchtrainierte Mann. „Beim Fußball früher und auch jetzt beim Laufen oder Radfahren lernt man unheimlich viel über sich selbst. Und das Wichtigste dabei ist, sich nicht so wichtig zu nehmen. Dann kann man nämlich Siege und auch Niederlagen als Team nehmen.“

Schaut man sich im Haus der Familie Hübner um, fallen als allererstes die vielen Holzmöbel auf. Mit handwerklichem Geschick baute Michael Hübner sämtliche Möbel fürs Kinderzimmer seiner Tochter Lena, und auch die Einrichtung von Nicos Zimmer und seinem Trainingsraum gestaltete er selbst. „Als Lena zur Welt kam, war ich sportlich gerade durch eine Verletzung außer Gefecht gesetzt. Seit damals lebe ich meine Leidenschaft für Holzarbeiten aus.“

Startschuss Weihnachten 2000

Team Hübner, wie er das Gespann mit seinem Sohn nennt, geht auf Weihnachten 2000 zurück. Nicht freiwillig, die Angelegenheit ging mit viel Unsicherheit und viel Angst einher. Nico kam noch vor der 30. Schwangerschaftswoche zur Welt und musste sehr früh unzählige Operationen und Behandlungen durchstehen. Seinem Papa bescherte er nach einem Tiefpunkt viel Anlass zur Zuversicht. Weil Michael Hübner es schaffte, sich darauf einzustellen. „Es riss mir fast das Herz heraus, als wir erfuhren, dass Nico sich nie frei bewegen würde und immer auf Hilfe angewiesen sein wird“, sagte er. Doch dann erwachte sein Ehrgeiz. Er richtete sein Leben auf Nicos Bedürfnisse aus und steckte viel Energie in dieses Familienprojekt.

An diesem Punkt im Gespräch schaltet sich auch Nicos große Schwester Lena ein. Die 20-jährige Sonderpädagogik-Studentin hätte sich durch die viele Aufmerksamkeit, die ihr Papa dem Bruder schenkte, leicht zurückgesetzt fühlen können. Doch genau das Gegenteil war der Fall: „Ich finde es klasse, was die beiden sportlich auf die Beine stellen. Zum Nico habe ich das beste Verhältnis, das man sich vorstellen kann.“

Was tun? Selber bauen!

Das Team Hübner begann in einer klassischen Rollstuhl-Sportgruppe, doch schon bald merkten die beiden Hübners, dass sie andere Wege beschreiten müssten. Michael Hübner legt ein quadratmetergroßes Album auf den Esstisch. Hier sind alle sportlichen Veranstaltungen verewigt, die das Team Hübner in den vergangenen Jahren mitgemacht hat. Ziemlich schnell, erzählt Hübner, war klar, dass ein klassischer Rollstuhl für Jogging-Strecken nicht geeignet war. Ein Sportgerät, wie die zwei es benötigten, war auf dem Markt nicht zu haben. Was also tun? Selber bauen. „Ich wollte meinen Jungen beim Sport dabei haben, weil er so einen Riesenspaß dran hat und wir beide daraus viel Kraft ziehen können.“

Also setzte er sich mit der Technik eines solchen Sportgeräts auseinander und schickte die Skizze, die ebenfalls im Album verewigt ist, an einen Rollstuhlhersteller. Die Ergebnisse dieser ausdauernden Tüfteleien stehen in der Hübnerschen Garage: ein Kettcar, ein Tandem, mit dem die zwei schon dreimal bei der BR-Radltour mitgefahren sind, und ein Rennrollstuhl, alles umgebaut. Nico sitzt aufrecht in diesem Gefährt, hat den Rundumblick und kriegt alles mit, was um ihn herum passiert. Schon vor und während der Trainingsrunden zu einem Lauf erklärt Michael Hübner seinem Sohnemann, an welchen markanten Punkten sie vorbeilaufen. Mit gut 60 Kilogramm, die er dabei vor sich herschiebt, kommt auch der sportliche Herr Papa manchmal hart an seine Grenzen. Denn ob es nun bergab oder bergauf geht – Nico kennt da nix. „Er fragt, zwar nur in Stichworten, er kriegt dann natürlich auch eine Antwort von mir. Und wenn ich gar so keuchend und kurzatmig klinge, setzt er noch eins drauf: Papa platt.“

Urkunden wohin das Auge schaut

Wie wichtig Sport für die ganze Familie mittlerweile geworden ist, sieht man an den vielen Urkunden und Fotos im Treppenhaus und im Fotoalbum. Auf jeder Seite kleben Fotos von Nico in seinem Rennrollstuhl, strahlend vor Freude.

Auf vielen Bilder gruppieren sich Sportler um ihn herum oder klatschen ihn ab, und die schönsten Aufnahmen zeigen das Vater-Sohn-Gespann verschwitzt und überglücklich im Zielbereich. Michael Hübner ist dankbar, dass er durch seine Hartnäckigkeit und sein technisches Verständnis seinem Sohnemann eine Auszeit von all seinen Behandlungen und Therapien ermöglicht. „Wir haben unfassbar viele Unterstützer in unserem Umfeld, meine Frau Monique, die Lena, meine Eltern und alle unsere Sportsfreunde.“ Wie sehr Nico es genießt, mit seinem Papa durch die Gegend zu sausen, kriegt man in einem kurzen Wortwechsel mit: „Nico, was machen wir denn heute?“, fragt Michael Hübner. Nico ist gnadenlos: „Papa, weiter!“ Widerrede zwecklos.

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