Prozess gegen psychisch Kranken: Gutachten erbringt Hinweise auf Amphetamin-Missbrauch Prozess: Details einer blutigen Nacht

Von Manfred Scherer
Archivfoto: Ronald Wittek Foto: red

Ein „markerschütternder“ Schmerzensschrei. Ein junger Mann, der erstaunlich sicher auf dem Dachfirst eines Hauses umherläuft. Amphetamin bis in die Haarspitzen. Der Prozess gegen den mutmaßlich schuldunfähigen Messerstecher, der im August 2015 eine Notärztin und drei Sanitäter schwer verletzt hatte, bringt weitere Details einer blutigen Nacht.

 
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Antworten, wovor der Beschuldigte Angst gehabt haben könnte, gibt es indes noch immer nicht. Der Beschuldigte will aber bald eine Erklärung abgeben, kündigte sein Verteidiger Karsten Schieseck an.

Wie berichtet, steht der 27-Jährige nicht als klassischer Angeklagter vor dem Schwurgericht: Schon während der Ermittlungen hatten sich Hinweise ergeben, dass der junge Mann psychisch krank und deshalb mutmaßlich nicht schuldfähig ist. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft beantragt, den Mann in der Psychiatrie unterzubringen. Zum Schutz der Allgemeinheit und zur Therapie seiner Erkrankung.

Das Blutbad rief Entsetzen hervor

Das Blutbad, das er anrichtete, rief jedoch weit über Bayreuth hinaus Entsetzen hervor: Das Bayerische Rote Kreuz ließ erstmals in seiner Geschichte eine Studie über die Gefährdung von Rettern anfertigen. Forderungen nach besserem Schutz von Helfern im Rettungsdienst, aber auch von Polizisten im Einsatz folgten. Eine 35-jährige Notärztin und drei Rettungsassistenten im Alter von 22, 29 und 37 Jahren erlitten schwere Verletzungen. Die Notärztin musste notoperiert werden. Sie wird nach derzeitigem Stand bleibende Schäden davontragen.

Ein innerer Kampf an mehreren Fronten

Am dritten Prozesstag am Mittwoch verdichtete sich ein Bild, das man etwa so beschreiben könnte: Der 27-jährige Messerstecher hatte an mehreren Fronten einen inneren Kampf auszutragen. Wie berichtet, soll er unter Epilepsie leiden, einem Anfallleiden, das von Krämpfen und Stürzen gekennzeichnet ist. Überdies nahm der Beschuldigte Drogen: Während er im Prozess selbst zugegeben hat, dass er gerne Haschisch oder Marihuana konsumierte, bestreitet er den Konsum von Amphetamin.

Welche Rolle spielten die Drogen?

Tatsächlich aber wurden sowohl in seinem Blut als auch in seinen Haaren Rückstände dieser Droge gefunden. Professor Peter Beetz, der Chef der Gerichtsmedizin in Erlangen, erklärte als Prozessgutachter, die Rückstände seien derart in der Haarstruktur verteilt, dass es keine andere Erklärung als „regelmäßigen“ Konsum gebe: „Er ist diese Substanz gewöhnt.“ Welche Rolle die Drogen für die Bluttat gespielt haben könnten, ob sie überhaupt eine Rolle spielten, ist unklar. In der Antragsschrift hatte Staatsanwalt Roland Köhler das Ergebnis der vorläufigen psychiatrischen Untersuchung und den wahrscheinlichen Grund für die Taten genannt: Schizophrenie. Eine Wahnerkrankung, die zur Tatzeit zu einer akuten Verwirrtheit geführt habe.

Ein Bayreuther Ehepaar, das am Abend des 10. August – es war einer der heißesten Tage des Jahres – auf den Heimweg war, nahm von dieser Wahnerkrankung Anzeichen wahr, ohne sie zunächst deuten zu können: Der Beschuldigte lag – trotz der 35 Grad, die es am Abend noch immer hatte – im Pullover und mit langer Hose auf dem Bordstein vor dem Anwesen Lessingweg 10. „Reglos“, sagt der 49-jährige Zeuge. Seine 51-jährige Ehefrau erkannte den jungen Mann bei nähren Hinsehen. Sie hatte den beschuldigten als Kursteilnehmer bei der Handwerkskammer kennen gelernt und dabei auch erfahren, dass der Beschuldigte Epileptiker ist. Deshalb gingen die zeugen nun von einem epileptischen Anfall aus und wählten den Notruf.

„Es schien, als kommt er von ganz weit her.“

Der am Boden liegende Beschuldigte habe sich mit einem mal gerührt, sei aufgestanden. „Es schien, als kommt er von ganz weit her“, berichtet der Zeuge vor Gericht. Und weiter: „Er hob ein ein Äpfelchen vom Boden auf und warf es nach mir. So, als wollte er mich vertreiben. Das war mir dann doch etwas unheimlich. Er stand auf und torkelte und kam auf mich zu und gestikulierte wild und rief: Soll ich’s dir beweisen?“ Hinzu kamen nun ein Passant mit einem kleinen Kind, der fragte „Alles in Ordnung?“ und aus dem Grundstück Lessingweg 10 der Bruder des Beschuldigten. Der reagierte auf den Hinweis, dass der Rettungsdienst unterwegs sei, mit der Erklärung, sein Bruder habe des öfteren solche Anfälle und werde „sicher nicht“ mit dem Rettungsdienst mitkommen.

Zeugen des Dramas hören Schreie

Die Szene löste sich auf: Der Beschuldigte ging ins Haus, ein erster Rettungswagen kam angefahren. Das Ehepaar fuhr ums Eck, um auf dem Balkon zu Abend zu Essen. Von dort ist es Luftlinie wenige Meter zum Haus im Lessingweg 10. Die Zeugen bekamen auf dem Balkon dies von dem folgenden Drama mit: „Wir hörten einen ersten Schrei. Dann einen zweiten Schrei. Dann hörten wir einen Sanitäter am Funkgerät um Hilfe rufen: Wir werden mit dem Messer angegriffen.“

Dann ging am haus Lessingweg 10 das Dachfenster auf. Der Beschuldigte kletterte hinaus und lief auf dem Dachfirst umher. „Wie jemand, der nach einem Ausweg sucht.“ Danach kletterte der junge Mann wieder durch das Fenster hinein.

Später fanden Beamte des Spezialeinsatzkommandos ihn ganz oben im Eck der Dachgaube hinter einem Sofa versteckt.

Am Dienstag kommender Woche könnte es endlich eine Erklärung für seine Taten geben: Dann wird Psychiater Klaus Leipziger erläutern, was er bei der Untersuchung des Beschuldigten herausfand. Und der Beschuldigte soll sich selbst zu den Taten erklären.

Die Vorgeschichte:

Die Angst des Messerstechers

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