Tournee-Chef Thomas Schütte über die Zukunft des Zirkus Interview: "Zirkus geht auch ohne Tiere"

Von Katharina Wojczenko

Am Artistennachwuchs mangelt es nicht. Ohne Tiere geht es auch. Thomas Schütte (57) ist trotzdem überzeugt: In wenigen Jahren wird es keinen Zirkus mehr geben. Der Geschäftsführer der Roncalli-Tournee „Salto Vitale“ spricht im Kurier über Tierrechtler und das Geschäft mit Emotionen.

 
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Wenn der Zirkus nach Bayreuth kommt, demonstrieren die Tierrechtler. Können Sie die Kritiker verstehen?
Thomas Schütte:
Nein, weil sie nur polarisieren. Die Speerspitze ist die Organisation Peta mit ihrem Spruch: Zirkus ist Tierquälerei. Das ist eine Pauschalisierung und verunglimpft einen ganzen Berufsstand. Das ist, als würde man sagen: Alle Journalisten lügen und alle Moslems sind Terroristen. Es gibt aber auch Zirkusse wie den Zirkus Krone und den Zirkus Knie, die gut mit ihren Tieren umgehen. Man kann Zirkus unserer Auffassung nach ohne Tiere machen. Wir haben nur Haustiere – Hunde und Pferde. Die Pferde haben Stallungen, die den Vorschriften entsprechen, werden täglich trainiert. Das Netz der Kontrollen und Regeln für Zirkustiere ist in Deutschland engmaschig. Es gibt Menschen, die sagen: Wir wollen gar keine Tiere in menschlicher Obhut. Dann müsste man aber auch Pferderennen, Reitstunden und den kleinen Hund verbieten, den eine 70-jährige Seniorin in ihrer 50-Quadratmeter-Wohnung hält.

Thomas Schütte

Warum haben Sie dann die Raubtiere abgeschafft?
Schütte:
Das war kein Statement gegen Tiere im Zirkus. Wir wollten einfach unser Programm ändern. Roncalli war immer ein tierarmer Zirkus. Wir hatten nie eine Tierschau, aber in den Anfangsjahren, von den 80ern bis 1991, eine Raubtiernummer. Dann empfanden wir das nicht mehr als zeitgemäß. Wir haben uns darauf konzentriert, Artisten zu zeigen, Theaterelemente. Wir wollen nicht den Kronzeugen gegen Tierschützer abgeben. Der Zirkus hat sich im 18. Jahrhundert aus einem reinen Pferdetheater entwickelt. Die Manege ist rund, weil die Pferde vorgeführt werden und dabei nicht weglaufen sollten. Und hat einen Radius von 5,5 Metern, weil das genau die Länge ist, die der Dresseur in der Mitte für Armlänge und Peitsche braucht. Erst später kamen Clowns, Jongleure, Gaukler, Artisten hinzu, dann andere Tiere und Menagerien.

Manche Zirkusse gehen in kleine Städte, zahlen die Stellplatzmiete nicht und betteln um Obdach. Vor ein paar Wochen stand hier in Bayreuth wieder jemand im bunten Kostüm vor einem Supermarkt und sammelte für Zirkustiere. Schadet diese Mitleidsnummer der Branche?
Schütte:
Ja. Die Leute vor dem Supermarkt oder in der Fußgängerzone sind großteils keine Zirkusunternehmen, sondern Menschen, die sich fünf Ponys kaufen und morgens dort abladen, um zu betteln. Der Zirkus Krone wird das nicht sein. Ein Clownskostüm kann man überall kaufen. Sie schreiben auf ein Schild „Zirkus in Not“ oder „Wer Tiere liebt, der gibt“ – und nicht: Wir sind dieser Zirkus und spielen dann und dort. Ein Bäcker in Not würde nie auf die Idee kommen zu schreiben: Wer Brot liebt, der gibt. Ich frage die Leute dann, von welchem Zirkus sie sind. Dann stammeln sie herum und sagen mit Glück einen Fantasienamen. Das schadet unserer Branche, weil die Menschen denken: Der arme Zirkus. Bernhard Paul (der Inhaber von Roncalli, Anmerkung der Redaktion) sagt immer: Der größte Feind des Zirkus ist der Zirkus selbst – nämlich der schlechte.

Ist die Zeit der Zirkusse vorbei?
Schütte:
Das würde ich nicht sagen. Aber es ist sehr schwer geworden. In Zukunft kann nur der überleben, der den Menschen etwas ganz Spezielles vermittelt. Bestimmte Emotionen, Atmosphäre. Vor 100 Jahren war ein leibhaftiger Elefant etwas Tolles. Heute können Sie ihn nicht nur in Magazinen, Fernsehen, Internet sehen, sondern auch günstig nach Afrika reisen. Als ich vor 30 Jahren hier anfing, gab es in Deutschland acht große Zirkusse. Von denen ist heute nur der Zirkus Krone übrig. Zirkus, wie wir ihn heute kennen, wird es schon in zehn bis 20 Jahren nicht mehr geben.

Woran liegt das?
Schütte:
Dafür gibt es viele Gründe. Der Publikumsgeschmack verändert sich. Der Zirkus steht in Konkurrenz zu anderen Freizeitangeboten, die Geld kosten – von Fitnessstudio bis Pay-TV. Der Zirkus leidet an einem schlechten Image, das er teils selbst verursacht hat. Außerdem verschlechtern sich die Rahmenbedingungen in Deutschland. Immer mehr freie Plätze für Volksfeste und Zirkusse werden zugebaut. Derzeit auch mit Flüchtlingsunterkünften. Alle zwei Jahre verschärfen sich die technischen Vorschriften, zum Beispiel für Zelte. Dann muss man für teures Geld anpassen oder ein neues Zelt kaufen. Ein Riesenthema ist der Mindestlohn. Wir haben als Risikobranche umfangreiche Dokumentationspflichten. Aber bei uns ist kein Tag wie der andere. Es gibt tausend solche Gründe. Dem Zirkus wird das Leben so schwer gemacht, dass man das irgendwann nicht mehr stemmt. Dabei war Zirkus immer etwas Freies. Der Reiz des Gauklertums war gerade, dass es sich dem bürgerlichen Leben verweigerte.

Was ist am teuersten an so einem Zirkus?
Schütte:
Wir machen im Jahr etwa 15 Millionen Euro Umsatz, sind aber breit aufgestellt: Wir haben zwei Tourneen, ein Varieté, den Weihnachtsmarkt in Hamburg – und Galas und Sonderveranstaltungen, mit denen wir den Zirkus quersubventionieren. Am teuersten ist das Drumherum. Von der Platzmiete über Werbung und Steuern. Zirkus ist in Deutschland nicht als Kultur anerkannt, sondern gilt als Gewerbe. Das ist in Frankreich, Italien, den östlichen Ländern oder Kanada anders. Wir müssen jede Trittleiter im Zirkus einmal im Jahr zum TÜV bringen, jeden Anhänger zwei Mal. Es gibt eine Vielzahl von solchen Kosten, die keiner sieht, die aber unglaublich hoch sind.

Wollen heute Menschen noch Artisten werden?
Schütte:
Der Nachwuchs ist kein Problem. In Deutschland gibt es praktisch keine Ausbildung und nur eine Artistenschule. Zirkus ist aber schon immer international. In anderen Ländern ist die Ausbildung wesentlich besser, zum Beispiel in Russland, China, Frankreich, Belgien oder Kanada. Gerade auf junge Menschen, die nicht aus Zirkusfamilien stammen, übt der Zirkus große Anziehungskraft aus. Weltweit gibt es viele Arbeitsplätze. Artisten können auch im Varieté arbeiten. Wenn man gut ist, findet man auch Arbeit.

Sie setzen auf Nostalgie statt Hightech?
Schütte:
Nicht nur, das bezieht sich auf das Ambiente. So wie Roncalli ist, war Zirkus nie. Das ist ein idealisiertes Bild von einem romantischen Zirkus. Das Moderne sind die Lichtanlage und das Programm, die Inszenierung. Das ist ähnlich wie im Theater. Da gibt es auch kein Hightech, aber trotzdem kann eine Inszenierung modern sein. Als andere noch Baustrahler im Zelt hatten, hatte Roncalli bereits den Lichtdesigner der Royal Shakespeare Company angeheuert.

Wie sieht der Zirkus der Zukunft aus?
Schütte:
Der Zirkus hat sich immer gewandelt – und wird sich weiter wandeln. Zukunft hat er nur, wenn er sich spezialisiert. Es geht nicht um Leistung, den fünffachen Salto zu zeigen, sondern um Atmosphäre und Gefühl. Zirkus kann etwas, was nur wenige Angebote können: Er spricht Menschen aller Altersgruppen und Ausbildungsgrade an – Kind, Opa, Arbeiter, Intellektuelle. Der große Tierzirkus wird aussterben. Bestimmte Formen wird es aber immer geben. Zum Beispiel Roncalli, das ist wie ein Museum. Ich habe in England einen Zirkus gesehen. Die Artisten haben mich nicht umgehauen, aber es war so romantisch. Ein Park mit alten Bäumen mit Lichterketten, kleines Zelt und davor ein kleiner Wagen, wo man etwas Leckeres essen konnte. Das brauchen wir in dieser kalten, herzlosen Welt. Und es gibt tausende Menschen, die kreativ sind. Die werden sich etwas einfallen lassen.

Info: Von Donnerstag, 3. Dezember, bis Sonntag, 13. Dezember, gastiert der Zirkus Roncalli mit seiner „Salto Vitale“-Tour am Bayreuther Volksfestplatz. Karten kosten zwischen 16 und 48 Euro.

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