Gregor Gysi, der Sprachsezierer im Audimax

Von Michael Weiser
Gregor Gysi. Archivfoto: Peter Kolb Foto: red

Bei Gregor Gysi kann einem das Herz aufgehen. Man muss dazu gar kein potenzieller Wähler der Linken sein, es genügt ja schon ihm zuzuhören: Gysi sagt einfach gescheite Sätze, und das sogar noch in einem Vortrag, der nicht zu seinen großen Würfen gehört. Wie gestern im voll besetzten Audimax der Uni Bayreuth.

 
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Man hatte Gysi schon zündender, konsequenter und zielstrebiger reden hören. Aber natürlich ging man auch diesmal nicht ohne Gewinn aus dem Saal. Dass der erste Konjunktiv von „fliehen“ „flöhe“ heißt – Gysi sagte tatsächlich „flöhe ich nach Saudi Arabien…“ – dürfte vielen  Anwesenden neu gewesen sein. Richtig und doch lustig – in Deutsch steckt mehr, als man vermutet.

Über die Freiheit des Einzelnen

Aber natürlich spricht Gysi weniger über Deutsch als Sprache an sich, sondern über den Gebrauch des Deutschen, zur Information, zum Austausch; zur Zementierung von Herrschaft. Der Linken-Politiker hatte sich Karl Marx zum Thema genommen und belegte, wie man eine Sentenz von Marx in einem Fall als anspruchsvolle Norm und Grundstein für eine gerechte Gesellschaft, im andern Fall aber zur Entschuldigung für eine kollektivistische Diktatur verwenden kann.

Der berühmte Satz, dass die Freiheit des Einzelnen die Voraussetzung für die Freiheit Aller sei, sei in der DDR so in den Büchern gestanden: Die Freiheit aller sei die Voraussetzung für die Freiheit des Einzelnen. Ein fundamentaler Unterschied, in der Tat, vielleicht, so dachte man sich, lohnt es sich tatsächlich, das Hauptwerk von Karl Marx zu lesen, auch wenn bis Seite 50 noch immer keine Indianer vorgekommen sein sollten. Marx genau zu lesen, das lohnt auch beim berühmten Satz mit dem benebelten Volk: Nicht Opium fürs Volk sei die Religion bei Marx, sondern Opium des Volkes: aufgezwungenes Betäubungsmittel im einen Fall, selbstgewählte Unmündigkeit im andern.

Der alte Sack und der Saal

Es ist dieser klare Blick auf Wörter und Sätze, diese sprachliche Intelligenz, die einen Vortrag von Gysi zum Ereignis macht ebenso wie seine Klasse als Redner. Gysi ist präzise, er ist witzig, er macht als herausragender Rhetoriker beiläufig vor, was die Römer unter Captatio Benevolentiae verstanden: als die Kunst, sich das Publikum gewogen zu machen. Etwa bei der Begrüßung der Studenten, deren Jugend er in wenigen Worten als Vorzug, Recht und Pflicht umriss.

Sich im einen Augenblick quasi als alten Sack dazustellen und im nächsten Augenblick die Herrschaft über die Aufmerksamkeit im Saal zurückgewinnen – das muss man dem 69-Jährigen erst mal einer nachmachen.  Gysi sprach zur Gerechtigkeit als Teil der Freiheit und nannte Bildung als Hauptvoraussetzung für eine faire Gesellschaft, aber auch als Maßstab, den sie anlegen müsse: „Wenn ich in ein Land fliehe, habe ich die dortige Kultur zu respektieren. Ich darf sie erweitern, aber nicht einschränken.“

Widersetzt euch

Es fiel in diesem Zusammenhang das schöne Wort „flöhe“, den Beifall erhielt Gysi aber wohl zu seinem Bekenntnissen zu einer selbstbewussten Integrationspolitik. Gysi appellierte an die jungen Leute, sich öfter zu widersetzen: „Kann ja doch nicht sein, dass ich rebellischer bin als ihr alle zusammen.“ Auch dafür erhielt er donnernden Applaus. Nach der Intensität des Beifalls zu schließen, werden sich die Studenten brav an diese Aufforderung halten.

Noch ein paar Sätze auch dazu, warum Europa unbedingt notwendig ist und dazu ein Ende der Austeritätspolitik, dann war sein Auftritt in Bayreuth beendet. Man hätte gerne noch viel mehr über Marx gehört. Aber die Uni oder die Stadt können ihn ja noch mal einladen, zum 200. Geburtstag des großen Trierers im kommenden Jahr.

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