„Papa, hast du das gemacht?“ Als der 15-jährige Junge am Nachmittag des Neujahrstages zu seinem Vater ging, wussten es schon alle im Dorf: Auf der Wiese neben dem Haus von Roland E. war Janina zusammengebrochen. Als der 15-Jährige seinen Vater besuchte, war sie bereits tot und ihre Obduktion im Gange. In ihrem Gehirn steckten die Reste eines Geschosses, Kaliber 22, Durchmesser 5,6 Millimeter. „Papa, hast du das gemacht?“

Gabi K. (51), eine schlanke Frau, wirkt fast drahtig. Das Gesicht leicht zerfurcht, die Augen etwas aufgequollen vom Weinen. Der Blick direkt, die Sprache klar, fast hart. Es schneit und es ist kalt, aber es ist ihr wichtig. Sie muss diese Sache richtigstellen. Er sei nie gewalttätig gewesen, auch wenn das Gerücht im Dorf herumgeht. Ihr ehemaliger Partner Roland E. sei ein ganz normaler Mensch gewesen. „Er ist kein Monster, schreiben Sie das. Schreiben Sie, wie es wirklich war.“

Tatsächlich findet sich im Dorf kaum einer, der schlecht über E. spricht. „Weil er nicht schlecht war“, sagt einer. Er ist einer von ihnen, ist hier aufgewachsen. „Wir hatten eine tolle Jugend“, sagt eine Freundin. Sie spielten auf der Straße, waren in der Natur, bauten ein Baumhaus am Waldrand.

Später sei er „ein mittelmäßiger Schüler“ gewesen, „ganz normal“, sagt auch eine Schulfreundin. Nur eine Sache fällt in Gesprächen: Die anderen Kinder durften nie ins Haus von Roland E. Sein Vater galt als sehr reinlich. Und sehr streng. Viele sagen: „Er ist immer mehr wie sein Vater geworden.“ Nach der Hauptschule geht Roland nach Knetzgau in die Maurerlehre. Er schloss mit „sehr gut“ ab, sagt seine Ex. Sein Chef habe ihn sehr geschätzt.

1980er Jahre, die Jugend von Roland E. Damals hatte er die 14-jährige Gabi nicht wahrgenommen, erst 20 Jahre später wurden sie ein Paar. Er war einer der Jungs aus dem Dorf, die sich in ihrer freien Zeit am Platz vor der ausrangierten Viehwaage treffen. Sie fuhren mit ihren Mopeds auf und ab und „alle halbe Stunde kam der John-Travolta-Kamm raus“, sagt eine andere Freundin. „Bloß mit den Mädchen hatte er es nicht so“. Dabei war er „eigentlich eine tolle Partie für die Mädels“, sagt sie. Die Beziehungen hielten zwei oder drei Jahre, dann machten die Frauen Schluss. Weil er ein „herkömmliches Rollenbild gepflegt“ habe. „Wie der Vater.“

Roland E. fuhr eine Hercules K50, eine begehrte Maschine damals. „Und er war einer der Attraktivsten“, sagt eine Jugendfreundin. Auf einem Foto aus den 1980er Jahren lächelt E. in einer Gruppe junger Leute, an seiner Seite eine blonde junge Frau, seine Freundin. Er, leicht füllig mit dichtem Haar und Schnauzer im Chic der damaligen Zeit.

In der Gruppe gingen sie zusammen auf Reisen, zum Wandern in die Schweiz. Er war immer dabei. Er habe sich nie betrunken und gut verdient. „Prädestiniert für Wohlstand und ein bürgerliches Leben.“ Maurer zählten zu den gut bezahlten Arbeitnehmern. Sie waren gesucht und konnten sich etwas dazuzuverdienen. Auch Roland E. Er half Freunden beim Hausbau, auch einem Kollegen aus dem Nachbardorf.

So kannten ihn alle. Bis vor etwa acht Jahren. „Der Bruch kam, als wir uns getrennt haben, das stimmt. Das hat er nicht verkraftet. Er hat wohl immer gehofft, dass wir zurückkommen. Er hing so an seinem Sohn“, sagt Gabi K. So wie sie ihre Zeit mit Roland E. beschreibt, trifft es auf viele Paare zu. Sind in Urlaub gefahren, haben erst bei den Eltern gewohnt, dann ein Haus gebaut. „Es war schön, als wir dort eingezogen sind.“ Sie haben einen Sohn bekommen. E. sei ein „liebevoller Vater“ gewesen. Nach der Trennung behandelt er sie „ruppig“ – und zieht sich immer mehr zurück. Er kommt nicht mehr zu seinem Stammtisch, den Wolperdingern, die sich vor 30 Jahren aus der Dorfjugend gegründet haben. Die Jungs wollten damals schießen und Waffen kaufen. „Das war in Mode“, sagt der ehemalige Wirt des Dorfes. Auch in dessen Kneipe taucht E. nicht mehr auf. Was er die ganze Zeit so allein gemacht hat? „Den Rasen gemäht und die Fensterbänke abgekehrt“, sagt jemand. Auch von seinem Vater erzählt man sich, dass er den Zaun mit dem Besen abgekehrt hat. Man sah E. nur noch selten, selbst enge Verwandte. Auch am Silvesterabend läuft er alleine durchs Dorf.

Gabi K. weint jetzt. „Wenn ich das gewusst hätte, ich hätte ihn angerufen.“ Schon länger ist er schwer krank. Zuerst spürte er die schwere Arbeit in den Armen. Als er 1999 in der JVA Ebrach anfing, beaufsichtigte er Baustellen mit Gefangenen, stand am Tor. Eine Waffe trug er nie, auf der Schießanlage durfte er nicht üben, weil er kein Beamter ist. Bald geht es ihm schlechter, es kommen Operationen an Magen und Bauchspeicheldrüse dazu. Die JVA setzt ihn als Fahrer ein. Er nimmt viele Medikamente, kann nur noch nachts essen. „Dann liegt er nachts da, wacht auf, schaut aus dem Fenster und sieht, wie die anderen feiern. Da dreht er durch“, sagt Gabi K. und weint. Aber nein, „er ist nicht schießwütig. Ich hab’ 14 Jahre in dem Haus gewohnt, die Waffen wurden nie herausgeholt.“ Weder die Pistole, noch der Revolver, noch die zwei Gewehre. Sie hat ihn geliebt. „Er war von Anfang an mein großer Schwarm.“ Sie ist niemand, der hasst, nur jemand, der die Welt nicht mehr versteht. Wenn sie von der Zeit „damals“ erzählt, leuchten ihre verweinten Augen ganz kurz. Einmal lächelt sie sogar.

Janinas Mutter will Roland E. in die Augen sehen vor Gericht. „Die wollen ihm in die Augen sehen? Das können sie. Aber ich werde auch da sein.“ Sie will dem Vater ihres Sohnes beistehen. Auch seiner Familie, obwohl sie dem Vater die Schuld gibt, dass die Beziehung auseinandergegangen ist, nachdem sie sich „eingemischt“ hätten. „Die brauchen mich.“

E.s jüngere Schwester sagt nur: „Wir können nichts sagen, wir sind selbst fassungslos. Was er gemacht hat, der hat uns …“ E.s Eltern, beide über 80, saßen drei Tage nach seiner Verhaftung bei Thomas Sechser (53), dem Bürgermeister des Ortes. Drei Menschen beieinander, die mit der Situation überfordert sind. Sechser „versuchte, sie zu beruhigen“. Das sei die Tat eines Einzelnen gewesen, die Eltern müssten sich keine Vorwürfe machen. Er bot an, ihnen professionelle Hilfe zu vermitteln, aber er weiß, im Grunde ist er hilflos. Auch wie die Gemeinde in Zukunft damit umgehen werde, weiß er nicht. „Ich bin auch kein Psychologe.“

Wütend ist Gabi K. darüber, wie man mit ihrem Ex umgeht, dass vor allem „das ganze Internet, die Zeitungen“ ihn als Monster darstellen. „Warum muss alles jede Stunde kommen. Warum die Pressekonferenz um 12.30 Uhr, wenn jeder Zeit hat, sich ans Radio zu stellen?“ Aber sie schafft es immer, gleich wieder auf nüchtern zu schalten: „Vielleicht werde ich das in einem halben Jahr ganz anders sehen.“ Ist sie eine starke Frau? „Das sieht nur so aus.“ Ihr Sohn stecke das alles viel besser weg als sie. „Der Junge ist stark.“ Trotzdem hat sie den Notfallseelsorger angerufen. Sie möchte, dass er sich um ihren Sohn kümmert. „Man weiß ja nie, was das später anrichtet.“ Auf jeden Fall hat sie schon eine Besuchserlaubnis im Gefängnis beantragt. Der Sohn will wissen, warum sein Papa ihn angelogen hat an Neujahr. Er sei einfach enttäuscht. „Wenn er es ihm gesagt hätte, hätte ich ihn überreden können, sich zu stellen.“

Aber er tat es nicht. Die Polizei befragte „fast alle“ Unterschleichacher, durchsuchte mehrere Wohnungen, auch die eines 14-Jährigen. Als das Haus seines Nachbarn durchsucht wurde, schaute E. zu. Profiler aus München hatten bereits die Akten und waren im Dorf. Alle hatten ihre Waffen abgegeben, auch E. Und er hatte bei seinem Alibi gelogen. „Wir kamen ihm schnell auf die Spur“, sagte Armin Kühnert, der Leiter der Sonderkommission. Am Morgen des 12. Januar wurde E.s Grundstück durchsucht und er wurde verhaftet. Die Staatsanwaltschaft Bamberg bereitet eine Anklage unter anderem wegen Mordes vor. Bis die vorliegt, kann es noch dauern. Weil ein psychiatrisches Gutachten erstellt werden muss, das erfahrungsgemäß drei bis vier Monate in Anspruch nimmt. Dem schwer kranken Robert E. droht lebenslang. Gabi K.: „Das Gefängnis wird er nicht überleben.“

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