Erstes Flüchtlingsheim für Homosexuelle

Von Martin Sistig
Ralph Hoffmann wird von Oleksander und seinen vier Mitbewohnern immer herzlich empfangen. Er ist im Vorstand des Vereins Fliederlich, der das Flüchtlingsheim für Homosexuelle und Transsexuelle betreibt. Foto: red Foto: red

Es ist ein unauffälliges Haus zwischen vielen anderen unauffälligen Häusern im Szeneviertel Gostenhof. Und doch ist es ein besonderes: Dort leben fünf Flüchtlinge, die um ihr Leben fürchten, weil sie schwul oder transsexuell sind. 

 
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Oleksandr ist anzusehen, dass er Wert auf ein gepflegtes Äußeres legt: Er trägt ein weißes Hemd, eine elegante schwarze Hose und schicke Schuhe. Der 23-Jährige hat einen modischen Haarschnitt, ein Augenbrauenpiercing und mehrere Ohrringe. Er wirkt feinsinnig, auch wenn er breit grinst.

Vor wenigen Tagen ist Oleksandr in das unauffällige Gebäude eingezogen. Zum ersten Mal seit Jahren hat er keine Angst vor seinen Mitbewohnern. Mit vier anderen Flüchtlingen aus Russland, der Ukraine, dem Iran und Armenien wohnt er in zwei Etagen des Hauses. Im unteren Stockwerk hat jeder von ihnen ein eigenes Zimmer, oben gibt es einen Gemeinschaftsraum, eine Küche und einen Sportbereich. Im Vergleich zu anderen Flüchtlingsheimen sind die Räume fast schon luxuriös. Und auch die Stimmung ist positiv: Die Bewohner gehen auffallend höflich, freundlich und verbindlich miteinander und mit ihren Gästen um.

Rechtsextremistische Gruppe wettert

Sie alle haben ihre Heimatländer aus dem gleichen Grund verlassen: Sie sind schwul oder transsexuell und wurden deshalb verfolgt und bedroht. Auch in Deutschland fürchten sie sich vor Homophoben. Aus diesem Grund bleibt die Adresse des Hauses geheim. Zu groß ist die Sorge, dass rechte Gruppen dort ihr Unwesen treiben, sagt Ralph Hoffmann, Vorstand des schwul-lesbischen Zentrums Fliederlich in Nürnberg. Der Verein betreibt seit Februar die Flüchtlingsunterkunft. „Die Nazis haben uns sowieso schon auf dem Kieker.“ Im Internet wettert eine rechtsextremistische Gruppierung gegen den Verein, der sich seit 1978 für Homosexuelle und Transsexuelle in Nürnberg einsetzt.

Der Besitzer des Hauses in Gostenhof hatte die Idee, sein Gebäude für einige Zeit für homosexuelle und transsexuelle Flüchtlinge anzubieten - eine Premiere in Deutschland. Und der Bedarf ist da: Immer mehr Flüchtlinge kontaktieren den Verein Fliederlich über das Internet. „Wir wurden um Hilfe gebeten, weil einige Flüchtlinge von anderen als homosexuell oder transsexuell identifiziert wurden“, sagt Hoffmann, „sobald sowas rauskommt, geht es ums Leben.“ In den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge steht Homosexualität unter Strafe, zum Teil sogar unter Todesstrafe.

Auch in der Flüchtlingsunterkunft unsicher

Oleksandr wurde in seiner Heimat diskriminiert, beklaut und bedroht. Deshalb entschloss er sich, nach Deutschland zu flüchten. „Per Gesetz ist Homosexualität in der Ukraine zwar legal, wird von der Gesellschaft aber nicht akzeptiert“, sagt er. Am 11. Februar 2015 kam Oleksandr in die Landesaufnahmestelle Bramsche in Niedersachsen. Seine Reise ging weiter über Zirndorf in eine Unterkunft in Gräfenberg. Nach kurzer Zeit wurde er auch dort von anderen Flüchtlingen beleidigt und angegangen. Oleksandr kam in eine weitere Unterkunft nach Gößweinstein, in der er fast elf Monate verbrachte. Aber auch dort wurde es nicht besser: Ein anderer Flüchtling drohte ihn zu erstechen.

In der Nürnberger Unterkunft von Fliederlich hat der 23-Jährige einen geschützten Ort gefunden. Drei weitere Plätze sind vergeben, was aber immer noch viel zu wenige seien, sagt Ralph Hoffmann. „Wir müssen täglich Bewerber ablehnen. Wenn wir nach dem Bedarf gehen, könnten wir ein Haus für 50 oder 60 Flüchtlinge betreiben."

Ein Leben ohne Unterdrückung

Oleksandr gefällt es, mit seinen Mitbewohnern über alles sprechen zu können. Er ist dankbar, ohne Druck und Unterdrückung leben zu können. Der Alltag im Haus gleicht dem einer Wohngemeinschaft. Die Bewohner unternehmen viel, kochen und essen zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Ein Paar ist übrigens nicht darunter. Kürzlich war die Deutschlehrerin zu Besuch: „Da lerne ich kein Fränkisch, aber Deutsch“, sagt Oleksandr mit einem Lachen.

Der Ukrainer hofft, bald in Deutschland arbeiten zu dürfen. Am liebsten würde er Physiotherapie studieren – dafür muss er aber Bleiberecht haben. Bis dahin würde er gerne als Barkeeper oder Kellner arbeiten. Das hat er auch schon in Warschau und Kiew gemacht. Er braucht aber dafür die Erlaubnis der Behörden. Nur wenn kein Deutscher Interesse an einem Angebot zeigt, hat er die Chance auf den Job.

Wie geht es weiter?

Nicht nur die Zukunft von Oleksandr in Deutschland ist ungewiss, auch die seiner besonderen Wohngruppe. Ende des Jahres will der Besitzer das Haus umbauen. Der Verein Fliederlich muss dann andere Räume für das Projekt finden. Ralph Hoffmann zeigt sich optimistisch: „Es laufen schon Gespräche, wo wir im Anschluss hinziehen können.“ 

Aus ganz Deutschland erhält Fliederlich nun Anfragen, die ersten Erfahrungen weiterzugeben. In Berlin hat mittlerweile ebenfalls eine Unterkunft dieser Art eröffnet, in Hannover und München sind sie in Planung. Hoffmanns Vision ist es, in allen größeren Städten ein solches Angebot einzurichten. „Es geht schließlich immer um Menschen.“

Info: Der Verein Fliederlich betreibt das Wohnheim für  alle, die sich als  lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, intersexuell oder queer bezeichnen und deshalb Diskriminierung ausgesetzt sind. Die Finanzierung läuft über die Stadt Nürnberg, die das Geld wiederum vom Freistaat erhält.  Nürnberg beherbergt aktuell rund 8500 Flüchtlinge in 130 städtischen Unterkünften und 15 größeren Flüchtlingsheimen des Bezirks Mittelfranken. Drei der Heime mit insgesamt 60 Plätzen sind nur für Frauen eingerichtet. Grundsätzlich begrüße die Stadt weitere Unterkünfte für bestimmte Gruppen oder Minderheiten, wenn es laut fachlichen Überlegungen Sinn mache, sagt Dieter Maly, der Leiter des Nürnberger Sozialamtes. 

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