Diese Frau lebt fast nur im Zelt

Weder sportlich noch durchtrainiert: Christine Thürmer ist trotzdem zu Fuß durch die halbe Welt unterwegs. Foto: Harbach Foto: red

Christine Thürmer (48) wandert von Talkshow zu Talkshow.  Normal wandert sie seit zwölf Jahren durch die halbe Welt, gilt als die Frau, die die längsten Strecken zu Fuß (34.000 Kilometer), per Rad (30.000) und im Paddelboot (nur 6000) abgearbeitet hat. Vor kurzem war sie in Bayreuth. Ein Gespräch über Sex, Macht und Männer.

 
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Angst: Als Frau „Angst“, wenn sie allein unterwegs ist? Das fragen die Frauen sie immer. Im Gegenteil, als Frau sei sie sogar sicherer auf den Strecken, sie werde nicht als Bedrohung empfunden. Und die Die soziale Kontrolle unter den Wanderern sei groß, wie in einer großen Familie.

Beziehungen: Das schöne Ideal von einem Partner für das ganze Leben, daran glaubt sie nicht. Aber die Liebe hat auch bei ihr zugeschlagen. Und ja, auf Wanderungen lernt sie immer wieder „Typen“ kennen.

Chef: Das war sie früher. Sie sanierte marode Firmen, die Leute mussten nach ihrer Pfeife tanzen. Heute vermisst sie das nicht. „Das hatte ich.“

Durchhalten: Beim Wandern kommt der „Flow“, ein Begriff aus der Psychologie. Ein Zustand, bei dem sie „weder unter- noch überfordert“ ist.

Essen: Das liebt sie. In Bayreuth hat sie einen Eisbecher verdrückt. Sie ist so gar nicht das Ideal einer sportlichen und durchtrainierten Frau, die die meiste Zeit des Jahres draußen wandert, schläft und isst. Ihre Botschaft: „Wenn ich das schaffe, können das alle.“

Frauen: „Ich bin eine alte Feministin.“ Von einer Frauenquote hält sie gar nichts. Die Frauen müssten endlich raus aus der Opferrolle, das hat gefälligst im Kopf zu beginnen. Umso mehr ärgert es sie, dass die Zeitschrift Emma noch nicht bei ihr angerufen hat.

Geld: Hat sie genug. „Es reicht, bis ich 90 bin.“ Als sie noch Chefin war, hat sie viel verdient und viel gespart. Sie kommt mit weniger als 300 Euro im Monat aus.  Wenn das Buch (siehe Ruhm) gut läuft, reicht es, bis sie 92 Jahre alt ist.

Job: Der Job absorbiere, sagt Thürmer. Man sei „intellektuell fremdgesteuert“. Jetzt könne sie ihre Kapazität darauf verwenden, wozu sie Lust habe. Wandern und denken.

Komisch: Es tummeln sich viele auf den Wanderungen, die es anderswo nicht gepackt haben. Die hoffen auf den „claim to fame“, es wenigstens mit dem Wandern zu etwas wie Ruhm zu bringen. Das klingt nicht erfolgversprechend.

Leistung: Als sie in Kanada über die Strecke geflogen ist, die sie vorher gewandert ist, war sie mehr als zufrieden mit ihrer Leistung. „Das gibt Selbstvertrauen.“

Männer: Brauchen immer etwas zu bezwingen oder zu optimieren, ihnen reiche es nicht, einfach durch die Natur zu laufen. Aber je länger die Strecke, desto geringer würden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Siehe Frauen und Leistung.

Kleidung: Auf den Wanderungen verliert sie die sozialen Kontakte. Auch den Bezug zum „normalen“ Leben. Das macht sich auch in der vernachlässigten Kleidung und Frisur bemerkbar.

Nörgler: Gibt es viele zu ihrem Lebensstil. Widersprüche und Zweifel („Das wirst du bereuen, wenn du Rente bekommst“) kennt sie. „Ich halte den Leuten den Spiegel vor“, sagt sie. Sie kannte die Zweifel, aber traute sich. „Irgendwann musst du springen.“

Plan: Ihre Wanderungen plant sie genauso, wie sie ihr Leben geplant hat. Sie hat „wahnsinnig viel telefoniert“ mit Krankenkasse und Rentenversicherung, bevor sie in die Welt gezogen ist. Ihre wenige Habe lagert in einer Garage.

Qual: Geld und Abenteuer, das schließt sich aus. Ebenso Familie haben und auf Tour gehen wollen. „Das zerreißt die Menschen.“ Aber wer auf Tour geht, verliere die Hälfte seiner Freunde. Das ist der Preis der Freiheit.

Ruhm: Darauf hatte sie es nun wirklich nicht angelegt – und prompt hat es geklappt. Sie will und braucht nicht das Geld als „Vollzeit-Outdoor“-Frau, die einen Sponsor hat und auf Einnahmen aus ihren Büchern angewiesen ist. Sie wandert, weil sie Lust drauf hat. „Laufen. Essen. Schlafen" heißt ihr Buch, das gerade erschienen ist und in dem sie ihre Erfahrungen auf den drei US-Langstrecken-Trails beschreibt. Das bringt sie in alle Talk-Shows und viele Zeitungen.

Sexy: Die europäischen Trails, so heißen die Wanderstrecken in der Fachsprache, gelten als nicht so sexy wie die amerikanischen. Zu Unrecht, sagt sie. Und ist jetzt auf großer Europa-Wanderschaft.

Wasser: Zählt mit Nahrung und Wetterschutz zu den wichtigsten Dingen auf ihren Wanderungen.

Umsteigen: Aussteigen ist für Thürmer ein „Unwort“. Sie nennt sich Umsteiger. Sie hat das Leben in der Chefetage mit dem unter freiem Himmel getauscht. Gut geplant und nicht aus Mangel an Alternativen.

Vertrauen: The trail provides, sagt sie. Das bedeutet: Auf der Wanderung ist schon gesorgt für dich. So sei es auch im richtigen Leben. Man müsse einfach nur darauf – vertrauen.

Wüste: Beim Wandern durch die Wüste zeige sich der Unterschied Männern und Frauen am stärksten. Jeden Tag 50 Kilometer in der Hitze, das schaffe psychisch den physisch stärksten Mann. Nicht aber die Frau.

Ziel: Es gibt viele wandernde Menschen wie Thürmer. Bei denjenigen, die weglaufen, sei die Abbrecherquote am höchsten. Sie laufe auf etwas zu, sagt sie. „Ich bin glücklich.“

Zelt: Ihr hauptsächliches Zuhause. Ultraleicht und überhaupt nicht komfortabel. Wenn sie wieder zurück ist von ihren Reisen und in einem gammeligen WG-Zimmer Unterschlupf findet, weiß sie selbst das schlechteste Bett zu schätzen.

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