Vendies Shells mit seinen Trophäen: "Jetzt habe ich etwas zum herzeigen." Nicht nur auf der Haut. Foto: Andreas Harbach
Noch viel Platz am Rücken
Genau hier, in der Altstadt, hat Shells heute das King-Pin, sein eigenes Studio. Hier rollt er seinen linken Ärmel hoch und hebt sein Hemd an, um die Bilder zu zeigen, die er selbst durch die Welt trägt, immer und überall. Die Motive auf dem linken Unterarm und auf dem Bauch hat er selbst gestochen. Den rechten Arm und den Hals legte er unter die Nadeln von Kollegen. Der Rücken ist noch komplett frei: Platz für etwas ganz Besonderes. „Die Idee dafür habe ich schon“, sagt er. Allein den Kollegen, der aus der Idee Kunst machen darf, hat er noch nicht gefunden. Denn genaue Vorgaben gibt es natürlich nicht.
„Der Kunde kommt mit der Idee und ich entwerfe das Bild. Wenn es ihm gefällt, steche ich es. Nur so läuft das“, sagt Shells – und diese künstlerische Freiheit, die er sich selbst herausnimmt, will und muss er natürlich auch den anderen gewähren. Ein erschöpfter Samurai soll es werden, auf dem Rücken. Dazu bereit, den Gnadenstoß von Kollegen zu erhalten, die mit erhobenen Schwertern auf ihn eindringen. Umweht von Kirschblütenblättern. „Die sind ein Zeichen dafür, dass das Leben kurz, aber schön ist“, erklärt Shells.
Samurai am Hals
Das Porträt eines anderen Samurais, Yamamoto Tsunemoto, ziert Shells‘ Hals. Tsunemoto gilt als Autor des über 300 Jahre alten „Hagakure“, des Ehrenkodex für Samurai, das Verstand und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten lehrt. „Immer wenn ich mal nicht weiter weiß, lese ich darin“, erklärt Shells. Das habe ihm schon oft geholfen. Auf seiner linken Hand – selbstgestochen und prominent platziert – fliegt eine Motte. „Die fliegen immer in Richtung Licht“, sagt Shells, ein Vorbild für sein Leben, das er für alle sichtbar auf der Haut trägt.
Alle Tattoos die Shells selbst trägt und auch alle, die er selbst sticht, sind in schwarz-grau-Tönen. Natürlich auch das Gewinner-Tattoo bei der Chicago Tattoo Convention. „Best of black and grey on Saturday“ ist der Name des Wettbewerbs, den er gewann - das beste schwarz-graue Tattoo am Samstag, dem Haupttag der Convention, an der über 700 Tätowierer aus der ganzen Welt teilnahmen. „Wenn man sich durch die Tätowiererliste der Chicagoer Tattoo Convention klickt, kommt man zu dem Ergebnis, dass ein erster Platz in den Wettbewerben dort schon sehr gut ist“, sagt Maik Frey vom Verein der deutschen organisierten Tätowierer (DOT e.V.), der selbst oft Jury-Mitglied bei vergleichbaren Wettbewerben ist.
Eine nordische Kriegerin am Hals und darüber, auf der rechten Kopfhälfte ein schwarzer Rabe: Mit diesem Bild, das er seiner Freundin Leonie stechen durfte, siegte der Bayreuther Vendies Shells bei der Chicago-Tatoo-Convention 2017 in der Kategorie "Best of black and grey on Saturday". Foto: privat
15 Stunden harte Arbeit
„Jetzt habe ich was zum Herzeigen“, sagt Shells, überglücklich, dass sich der Einsatz gelohnt hat. 15 Stunden arbeitete er an der nordischen Kriegerin und dem schwarzen Raben, der seither die rechte Kopfhälfte seiner Freundin Leonie ziert. Stundenweise arbeiteten beide im Stehen. „Denn wir hatten dort nichts, als das, was uns die Convention zur Verfügung gestellt hat: Zwei Bänke, destilliertes Wassser, Desinfektionsmittel und Strom. „Ein Banner hatten wir noch dabei – und Visitenkarten“, sagt Shells.
Ein interessantes Motiv, ein großer Teil davon am Kopf, spartanische Ausstattung aber extrem hohe Motivation – „die Amerikaner sind einfach offen auf Neues, das konnten wir in Chicago spüren“, sagt Shells. Chicago, wo Shells viele Verwandte hat, war seine dritte Convention. Erstmals war er 2013 in London dabei – damals noch als Angestellter. „Dort habe ich zum ersten Mal verstanden, in was für einer Welt ich mich als Tattoo-Artist eigentlich bewege“, sagt er im Nachhinein. Von diesem Zeitpunkt an sei klar gewesen: „Das ist es, was ich will. Ab jetzt Vollgas.“ Ausgebremst hat ihn seine erste Convention in Deutschland, an der er selbstständig teilnahm: Kein Preis bei wenig Konkurrenz und das Gefühl, die Gewinner hätten schon vorher festgestanden. Die nächste Convention wird eine in Texas sein – dort feiert Shells‘ Schwester nächstes Jahr Hochzeit. Aber auch ohne Verwandtschaft vor Ort, fühle man sich unter Tätowierern immer wie im Schoß einer Familie, sagt Shells. In Chicago habe er zwei Tage als Gasttätowierer in einem Studio gearbeitet: „Wenn ein Stuhl frei ist, freuen sich die Besitzer darüber, weil sie ihrer Kundschaft noch mehr bieten können als sonst“, sagt Shells. Eine Übernachtung sei auch meist drin. Es ist eine Szene, die zusammenhält. Vendies Shells hat sich reingekämpft.