Bayreuther Tattoo-Artist siegt in Chicago

Von Renate Allwicher
„Yes it hurts“, steht auf einem Schild im . „Da muss man durch“, sagt Shells. „Schmerzmittel wirken meist blutverdünnend, dann würde das Tattoo mehr nässen.“ Dafür hat der Kunde Im Studio, anders als bei der Convention, einen bequemen Liegestuhl. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Als Sechsjähriger hat Vendies Shells einen Malwettbewerb gewonnen. In der Bayreuther Fußgängerzone setzte er sich an einen Tisch, malte Dinosaurier und gewann so ein Fahrrad im Wert von 450 Mark. „Viel Geld damals“, sagt seine Mutter. Heute hat Vendies Shells den ersten Preis bei der Chicago Tattoo Convention gewonnen. Dafür gibt es kein Geld und kein Fahrrad. Aber „das ist das Beste, was mir je passiert ist“, sagt Shells. Er hat lange dafür gekämpft.

 
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Mit Quali kommst du in der kreativen Szene nicht weit

Das Kind hat Talent – seinen Eltern war das früh klar. „Er malte und modellierte immer und überall“, erzählt Mutter Erika: „Oft glaubten uns bei Malwettbewerben die Leute nicht, dass er das selbst gemacht hat.“ Liebe zur Kunst – das ist es, was ihn umtreibt, als Kind und heute, erklärt  Shells. „Mein Problem war aber: Ich habe einen Quali – und damit kommst du in der künstlerisch-kreativen Szene nicht weit.“ Er probierte alle Ausbildungsberufe durch, bei denen er vielleicht einen Pinsel in die Hand nehmen dürfte. Als Maler:  Aber Fassaden einfarbig zu streichen und Häuser zu dämmen, machte ihn nicht glücklich. Als Lackierer: „Da musste ich die meiste Zeit schleifen.“ Schließlich kaufte er auf Ebay für 50 Euro seine erste Maschine. Eine Art Starter-Set fürs Tätowieren: Farbe, Nadeln, alles inklusive. „Das war eine schlechte Maschine und schlechte Farbe“, sagt er heute. Aber es war ein Start. „Ich hatte zwar keine Erfahrung, aber meine Freunde hatten auch kein Geld – das passte gut zusammen“, sagt Vendies.

Tattoos sind ein Statement, das du nicht verstecken kannst

Auch auf seinem eigenen Unterarm ist eines der Starter-Set-Tattoos zu sehen. Viele Augäpfel, die sich auf einen Menschen richten. Inzwischen umrahmt von vielen weiteren Bildern. Tattoo-Kunst verlangt Charakterstärke, sagt Shells: „Du trägst sie immer nach außen, das ist ein Statement, das du nicht verstecken kannst.

Dass Tattoos seine künstlerische Ausdrucksform werden könnten, war Vendies Shells schon früh klar. Sein Vater, ein Amerikaner, hatte einst selbst ein Studio in Bayreuth. „Das war damals allerdings noch ganz anders“, sagt er. Kataloge voller Delfine oder keltischer Runen, aus denen sich die Kunden etwas aussuchten. Die Nadeln mussten sich die Tätowierer selbst löten. Es war mehr Handwerk, weniger Kunst.

Jahre später, das Studio des Vaters war längst geschlossen, war es aber schwer, einen Einstieg in die Szene zu finden – jenseits der experimentierfreudigen Freunde. Immer wieder stellte er sich in Läden vor, aber es dauerte lange, bis er eine erste feste Anstellung fand. Über die Gründe kann er in den meisten Fällen nur spekulieren. Einmal allerdings bekam er direkt gesagt: „Du kommst aus der Altstadt, die Klientel wollen wir nicht.“

Vendies Shells mit seinen Trophäen: "Jetzt habe ich etwas zum herzeigen." Nicht nur auf der Haut. Foto: Andreas Harbach

 

Noch viel Platz am Rücken

Genau hier, in der Altstadt, hat Shells heute das King-Pin, sein eigenes Studio. Hier rollt er seinen linken Ärmel hoch und hebt sein Hemd an, um die Bilder zu zeigen, die er selbst durch die Welt trägt, immer und überall. Die Motive auf dem linken Unterarm und auf dem Bauch hat er selbst gestochen. Den rechten Arm und den Hals legte er unter die Nadeln von Kollegen. Der Rücken ist noch komplett frei: Platz für etwas ganz Besonderes. „Die Idee dafür habe ich schon“, sagt er. Allein den Kollegen, der aus der Idee Kunst machen darf, hat er noch nicht gefunden. Denn genaue Vorgaben gibt es natürlich nicht.

„Der Kunde kommt mit der Idee und ich entwerfe das Bild. Wenn es ihm gefällt, steche ich es. Nur so läuft das“,  sagt Shells – und diese künstlerische Freiheit, die er sich selbst herausnimmt, will und muss er natürlich auch den anderen gewähren. Ein erschöpfter Samurai soll es werden, auf dem Rücken. Dazu bereit, den Gnadenstoß von Kollegen zu erhalten, die mit erhobenen Schwertern auf ihn eindringen. Umweht von Kirschblütenblättern. „Die sind ein Zeichen dafür, dass das Leben kurz, aber schön ist“, erklärt Shells.

Samurai am Hals

Das Porträt eines anderen Samurais, Yamamoto Tsunemoto, ziert Shells‘ Hals. Tsunemoto gilt als Autor des über 300 Jahre alten „Hagakure“, des Ehrenkodex für Samurai, das Verstand und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten lehrt. „Immer wenn ich mal nicht weiter weiß, lese ich darin“, erklärt Shells. Das habe ihm schon oft geholfen. Auf seiner linken Hand – selbstgestochen und prominent platziert – fliegt eine Motte. „Die fliegen immer in Richtung Licht“, sagt Shells, ein Vorbild für sein Leben, das er für alle sichtbar auf der Haut trägt.

Alle Tattoos die Shells selbst trägt und auch alle, die er selbst sticht, sind in schwarz-grau-Tönen. Natürlich auch das Gewinner-Tattoo bei der Chicago Tattoo Convention. „Best of black and grey on Saturday“ ist der Name des Wettbewerbs, den er gewann - das beste schwarz-graue Tattoo am Samstag, dem Haupttag der Convention, an der über 700 Tätowierer aus der ganzen Welt teilnahmen. „Wenn man sich durch die Tätowiererliste der Chicagoer Tattoo Convention klickt, kommt man zu dem Ergebnis, dass ein erster Platz in den Wettbewerben dort schon sehr gut ist“, sagt Maik Frey vom Verein der deutschen organisierten Tätowierer (DOT e.V.), der selbst oft Jury-Mitglied bei vergleichbaren Wettbewerben ist.

Eine nordische Kriegerin am Hals und darüber, auf der rechten Kopfhälfte ein schwarzer Rabe: Mit diesem Bild, das er seiner Freundin Leonie stechen durfte, siegte der Bayreuther Vendies Shells bei der Chicago-Tatoo-Convention 2017 in der Kategorie "Best of black and grey on Saturday". Foto: privat

 

15 Stunden harte Arbeit

„Jetzt habe ich was zum Herzeigen“, sagt Shells, überglücklich, dass sich der Einsatz gelohnt hat. 15 Stunden arbeitete er an der nordischen Kriegerin und dem schwarzen Raben, der seither die rechte Kopfhälfte seiner Freundin Leonie ziert. Stundenweise arbeiteten beide im Stehen. „Denn wir hatten dort nichts, als das, was uns die Convention zur Verfügung gestellt hat: Zwei Bänke, destilliertes Wassser, Desinfektionsmittel und Strom. „Ein Banner hatten wir noch dabei – und Visitenkarten“, sagt Shells.

Ein interessantes Motiv, ein großer Teil davon am Kopf, spartanische Ausstattung aber extrem hohe Motivation – „die Amerikaner sind einfach offen auf Neues, das konnten wir in Chicago spüren“, sagt Shells. Chicago, wo Shells viele Verwandte hat, war seine dritte Convention. Erstmals war er 2013 in London dabei – damals noch als Angestellter. „Dort habe ich zum ersten Mal verstanden, in was für einer Welt ich mich als Tattoo-Artist eigentlich bewege“, sagt er im Nachhinein. Von diesem Zeitpunkt an sei klar gewesen: „Das ist es, was ich will. Ab jetzt Vollgas.“  Ausgebremst hat ihn seine erste Convention in Deutschland, an der er selbstständig teilnahm: Kein Preis bei wenig Konkurrenz und das Gefühl, die Gewinner hätten schon vorher festgestanden. Die nächste Convention wird eine in Texas sein – dort feiert Shells‘ Schwester nächstes Jahr Hochzeit. Aber auch ohne Verwandtschaft vor Ort, fühle man sich unter Tätowierern immer wie im Schoß einer Familie, sagt Shells. In Chicago habe er zwei Tage als Gasttätowierer in einem Studio gearbeitet: „Wenn ein Stuhl frei ist, freuen sich die Besitzer darüber, weil sie ihrer Kundschaft noch mehr bieten können als sonst“, sagt Shells. Eine Übernachtung sei auch meist drin. Es ist eine Szene, die zusammenhält. Vendies Shells hat sich reingekämpft.

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