Einheimischen geht es besser - Flüchtlings-Vorurteile im Fakten-Check Bayreuther Tafel trotzt Bundestrend

Von Katharina Wojczenko
Ausgabe im Bayreuther Tafel-Laden: Helfer Klaus Rettig gibt einer Kundin der Tortenböden. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Die Tafeln bekommen immer mehr Spenden, die Bedürftigen im Schnitt aber weniger Lebensmittel, sagt der Bundesverband Deutsche Tafel. Unter ihnen seien viele Flüchlinge. Grund für eine neue Neid-Debatte? Mitnichten, sagen Ingrid Heinritzi-Martin und Peter Zilles von der Bayreuther Tafel. Der Kurier checkt Fakten und Vorwürfe.

 
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1. Immer mehr Menschen kommen zur Tafel

Jein. Fast 1,8 Millionen Menschen in Deutschland holen sich regelmäßig Lebensmittelspenden bei Tafeln ab, sagt Bundesvorsitzender Brühl. 18 Prozent mehr als im Jahr 2014. Darunter seien etwa 280.000 Flüchtlinge. Die Spenden seien in dem Zeitraum aber nur um zehn Prozent gestiegen. 

Anders in Bayreuth: "Wir haben seit drei Jahren etwa gleich viele Kunden", sagt Peter Zilles. Was ihn freut: Die Bayreuther Tafel hat Kunden verloren. "Das sind Leute, die sagen: Wir haben jetzt einen Job, wir müssen nicht mehr kommen." Oder sie haben einen gefunden, in dem sie besser bezahlt werden, haben von tariflichen Gehaltserhöhungen profitiert. Heinritzi-Martin nennt noch einen Grund: "Immer mehr Menschen bauen im Schrebergarten wieder Gemüse an."

Gleichzeitig unterstützt die Tafel nun mehr Flüchtlinge als vorher. Unterm Strich ist die Kunden-Zahl daher gleich geblieben, sagt Zilles. Die Bayreuther Tafel hat etwa 1600 Kunden, die sich einmal pro Woche Lebensmittel holen dürfen - aber in der Regel kommen nur 500 bis 600 davon pro Woche.

Sie nehmen auch Lebensmittel für ihre Familien mit, wenn sie in einer Bedarfsgemeinschaft sind. Die größte ist derzeit eine Familie mit neun Kindern. Die Kunden können bis zu 49 Mal im Jahr kommen - so viele Wochen ist der Tafelladen geöffnet.

2. Wegen der Flüchtlinge wird es für einheimische Bedürftige knapp

Nein. Die Zahl der Kunden ist in Bayreuth gleich geblieben - und auch die der Lebensmittelspenden, sagt Zilles liegt weiter bei fünf bis sieben Tonnen pro Woche. Mit Schwankungen: Jetzt in der Kürbiszeit sind es sogar zehn Tonnen. Trotzdem freut sich die Tafel immer über Spenden, sagt Vorsitzende Heinritzi-Martin. Zum Beispiel braucht das Kühlauto, mit dem die Ehrenamtlichen die Spenden abholen, neue Winterreifen.

2015 kamen besonders viele Flüchtlinge nach Bayreuth - und zur Tafel. "Menschen aus der Erstaufnahmeeinrichtung haben wir abgewiesen", sagt Zilles. Die Regierung hat sie dort schließlich voll verpflegt. Mittlerweile kommen etwas mehr Flüchtlinge zur Tafel als 2014. Heinritzi-Martin sagt aber: "Wenn alle Bedürftigen aus dem Raum Bayreuth zu uns kämen, würde es knapp." Die Scham sei immer noch groß.

3. Flüchtlinge sind heikler als Einheimische

"Anspruchsdenken gibt es überall", sagt Heinritzi-Martin. So würden manche Kunden, die jahrelang im Supermarkt nur makelloses Obst gesehen hätten, niemals eine Banane mit braunen Flecken anrühren. Andere würden sich extra das dunklere Obst für Bananenmilch schnappen.

Heinritzi-Martin unterscheidet anders: "Es gibt pfiffige Kunden, die mit Resten umgehen und kochen können - und andere, denen dieses Wissen fehlt." 

Da sieht sie durchaus Tendenzen: "Migranten nehmen besonders gern frisches Gemüse. Sie kochen wohl mehr selbst." Und Russen und Spätaussiedler haben ein Faible für Toast.

4. Wegen der Flüchtlinge dauert es nun länger

Anfangs ja, sagt Zilles. Die Ausgabe erfolgt über ein Farbsystem. Das muss man erst einmal begreifen. Da habe es in der Schlange schon Unruhe zwischen Altkunden und Flüchtlingen gegeben. Zilles: "Sie hatten über Monate gelernt: Der erste gewinnt." Spätestens beim zweiten Besuch hätten aber alle begriffen, wie das System funktioniert und dass jeder etwas bekommt. Seitdem läuft's.

Eine Sonderbehandlung gebe es nicht: Die Bayreuther haben sich - anders als andere Tafeln - vor Jahren dagegen entschieden, vorgepackte Tüten an die Bedürftigen zu verteilen. Stattdessen können sie aus dem Angebot aussuchen, wenn sie an der Reihe sind.

Die Fleischsorten trennen sie in der Bayreuther Ausgabe schon lange nach Tier. So können Muslime Schweinefleisch meiden. Das kostet deutlich mehr Zeit als vorgepackte Tüten, ist aber ökologischer, sagt Heinritzi-Martin: "Irgendetwas war immer drin, das nicht schmeckte. Das landet im Müll, da brauchen wir uns nichts vorzumachen."

5. Flüchtlinge sind mangelhaft versorgt

Dass Flüchtlinge überhaupt die Tafel nutzen, erklärt Bundesvorsitzender Brühl unter anderem mit einer "mangelhaften Versorgung" in den Unterkünften. Bei Flüchtlingen, die in Wohnungen untergebracht seien, reiche die staatliche Unterstützung oft nicht aus - wie auch bei Hartz-IV-Empfängern, sagt sein Stellvertreter Kai Noack.

Anna Westermann, Dekanatsbeauftragte für Flüchtlingsfragen und Vorsitzende von Bunt statt Braun, sieht das in Bayreuth nicht ganz so krass. Flüchtlinge müssten genau rechnen und jeden Cent umdrehen, weil sie weniger als Hartz-IV-Empfänger bekämen. "Die Tafeln sind da eine gute Unterstützung. Die Caritas und wir weisen die Flüchtlinge auch auf dieses Angebot hin." Was die Versorgung angeht, sagt sie aber: "Das läuft gut."

Mit Material von dpa

Hintergrund: Bayreuth auch in Landesverband-Spitze

Bayern hat im September als letztes Bundesland einen eigenen Landesverband für die Tafel gegründet. 46 der etwa 170 bayerischen Tafeln sind schon beigetreten. Vorsitzender ist Reiner Haupka aus Olching. Der Bayreuther Tafel-Vorstand ist im Landes-Vorstand ebenfalls vertreten: Manfred Kästle ist Kassier, Peter Zilles aus Heinersreuth Schriftführer.

Bisher wurde Bayern von drei Ländervertretern und Nord, Süd und Mitte betreut. Diese hatten zwar engen Kontakt zum Bundesverband in Berlin, konnten aber als Privatpersonen weder Verträge schließen noch Spendenquittungen ausstellen, teilt der Verband mit. Ihr bisheriger Sprecher Haupka werde als Vorsitzender eines eingetragenen Vereins nun ganz andere Möglichkeiten haben.

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