Warum Wolfgang Schwemmer, Ulvi Kulacs erster Anwalt, seinen Mandanten mit der Polizei reden ließ Der Verteidiger als Selbstverteidiger

Von Manfred Scherer
Wolfgang Schwemmer vor seiner Aussage im Wiederaufnahmeverfahren. Foto: Scherer Foto: red

Vom Aussehen und vom ersten Eindruck her – etwas rundlich, gemütlich, freundlich – könnte er Ulvi Kulacs großer Bruder sein. Doch für den Bayreuther Anwalt Wolfgang Schwemmer (52) war Kulac etwas ganz anderes: Der Mandant in dem „Fall, den ich immer mit mir herumtragen werde, über den ich mir immer das Hirn zermartern werde.“ Schwemmer war Kulacs erster Verteidiger. Er konnte nicht verhindern, dass der geistig behinderte Mann wegen Mordes an Peggy Knobloch verurteilt wurde, obwohl der Anwalt noch heute überzeugt ist, dass der Schuldspruch vom 30. April 2004 in Hof „falsch ist“.

 
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Der Fall Peggy–Ulvi hat Schwemmer vor drei Wochen mit voller Wucht eingeholt. Nach der Aussage des Leiters der Soko II, Wolfgang Geier, stand Schwemmer als Depp da. Als der Mann, der Ulvi bei der Soko II zum Abschuss freigegeben hatte mit den Worten „du kannst mit der Polizei alles besprechen, wenn ich nicht da bin“. Als der Mann, der sich nach Ulvis umstrittenen Geständnis am 2. Juli 2002 zu einem Elternabend und dann in den Urlaub geflüchtet haben soll. Als „Versager“ hat ihn die "Spiegel"-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen im Bericht über Geiers Aussage tituliert, ohne Schwemmers Aussage zu dem Fall zu kennen. Für die bekannteste deutsche Gerichtsreporterin, die über die spektakulärsten Prozesse hierzulande berichtet, ist Schwemmer ein Feld-, Wald- und Wiesenanwalt, der etwas getan hat, was sie „so noch nie erlebt hat“. Auch nach Schwemmers Aussage wird sie auf Anfrage dieser Zeitung bei ihrem vernichtenden Urteil bleiben.

Schwemmer, von der Schweigepflicht entbunden, gibt im Zeugenstand zu, dass ihn die Kritik „der Medien entsetzt“ habe. Und der erste Verteidiger von Ulvi Kulac beginnt mit seiner Selbstverteidigung: Elternabend? Damals war keiner – der ganze 2. Juli 2002 war im Kalender Schwemmers für die Vernehmung Ulvi Kulacs „geblockt“. Die umstrittene Vernehmungssituation: „Das Verhör war beendet, ich fuhr zwei Ecken weiter zum Einkaufen. Nach zehn Minuten ruft Soko-Chef Geier an und sagt: Jetzt hat er gestanden. Ich bin sofort zurück.“ Heute sagt Schwemmer über die Arbeitsweise der Soko II: „Man hat gewartet, bis ich weg war.“ Dass die Ermittler Ulvi „über den Tisch gezogen“ haben, will er nicht behaupten: „Ich will nicht den Vorwurf erheben, dass da etwa getürkt wurde.“ Selbst die falsche Behauptung der Ermittler in der Vernehmung, an Ulvis Kleidung sei Blut von Peggy gefunden worden, ist für ihn nicht getürkt, sondern eine Rechtsfrage: „Ich war überzeugt, dass das Geständnis deshalb nicht verwertet werden darf.“ Schwemmer erläutert, was das Geständnis seines Mandanten in ihm ausgelöst habe: „Ich glaubte es nicht, denn Ulvi war ein begnadeter Märchenerzähler.“ Dass der Soko-Chef Geier ihn zitiert hatte, er sei zu „75 Prozent“ überzeugt, Ulvi sei der Täter, bestätigt Schwemmer auf Nachfrage der Staatsanwältin Sandra Staade: „Würden sie aufgrund einer 75-prozentigen Wahrscheinlichkeit jemanden verurteilen? Immerhin gab es das Geständnis. Ich habe bei den weiteren Ermittlungen auf Sachbeweise gewartet, die es bestätigen. Da kam nichts.“ Richtig geärgert hat Schwemmer sich nur einmal. Als Soko-Chef Geier ihn mit den Worten „Sie sind doch auch Vater“ dazu bewegen wollte, noch weiter auf Kulac einzuwirken.

Schwemmer weist auch den Vorwurf zurück, er habe Kulac durch die Erlaubnis, auch ohne Verteidiger mit der Polizei zu reden, in Schwierigkeiten gebracht: „Der Ulvi hört nicht darauf, wenn ein Verteidiger sagt: Du sprichst nicht mit der Polizei. Er fühlte sich wichtig, wenn er von der Polizei befragt wurde. Gerade weil ich wusste, dass er so ein Märchenerzähler ist, glaubte ich, er würde soviel verschiedene Sachen erzählen, dass man am Ende nicht mehr unterscheiden kann, was stimmt oder nicht.“ Nach dem am Nachmittag vom Psychiater Hans-Ludwig Kröber erstatteten Gutachten könnte es sein, dass Schwemmers Strategie doch noch aufgeht – auch wenn das nur die Einschätzung eines Feld-, Wald- und Wiesenreporters ist.

Header Fall Peggy

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