Vor 100 Jahren starb Franz Marc

Von Michael Weiser

Franz Marc ist allgegenwärtig, kaum ein anderer deutscher Künstler wird so oft nachgedruckt wie der Meister der farbstrahlenden Tierbilder. Vor hundert Jahren starb der Münchner Maler, Mitbegründer des Blauen Reiter, in der Schlacht vor Verdun. In dem Krieg, den er zunächst so begrüßt hatte.

 
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"Zwischen den grenzenlosen schauervollen Bildern der Zerstörung, zwischen denen ich jetzt lebe, hat dieser Heimkehrgedanke einen Glorienschein, der gar nicht lieblich genug zu beschreiben ist“, schreibt der Maler am Morgen an seine Frau Maria. Kurz darauf schickt er noch einen kurzen Kartengruß: „Sorg dich nicht, ich komm schon durch, auch gesundheitlich. Ich fühle mich gut und geb sehr acht auf mich.“

Am Abend desselben Tages, es ist der sonnige, vom Frühling bereits durchwärmte 4. März 1916, ist der Maler tot. Von einem Erkundungsritt bei Braquis nahe Verdun kehrt, blutüberströmt, nur noch sein Bursche zurück. Er meldet, dass dem Leutnant Franz Marc gegen 16 Uhr ein Granatsplitter die linke Schläfe durchschlagen habe. Es war ein Zufallstreffer, der einen überreich Begabten aus dem Sattel gerissen hat, Franz Marc, den Maler der träumenden Tiere, den Pionier des Expressionismus, den Mitbegründer der Gruppe des Blauen Reiters.

"Diese einzige Hygiene"

Der Münchner ist von dem Krieg verschlungen worden, den er selber zunächst begrüßt hatte. Auch der in seinen Werken so sanftmütig wirkende Maler gehört zu den vielen Intellektuellen, die den Krieg als Notwendigkeit sehen. Als „reinigendes Gewitter“, das die Schwüle der Luft mit Donnerwucht zerreißt, als Opfer, das die Völker verjüngt. Schon 1909 hatte Filippo Tommaso Marinetti im „Manifest des Futurismus“ den Kampf gefeiert: „Wir wollen den Krieg verherrlichen, diese einzige Hygiene der Welt, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Anarchisten, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung des Weibes.“

Als großartiges Schauspiel lässt sich der Krieg vor allem fernab der Kraterlandschaften der Schlachtfelder wahrnehmen. Viele Künstler der Avantgarde berauschen sich an den gewalttätigen Zeiten. „Meine Kunst kriegt hier zu fressen“, schreibt etwa Max Beckmann. „Draußen das wunderbar großartige Geräusch der Schlacht, diese eigenartig schaurig großartige Musik. Wie wenn die Tore zur Ewigkeit aufgerissen werden, ist es, wenn so eine große Salve herüberklingt.“ Manch anderer wird zum aggressiven Patrioten. Der freundliche Max Liebermann entwirft ein Titelbild für ein Kriegsmagazin: ein Trupp Soldaten, darunter die Schrift „Marsch, Marsch, Hurrah!“

Weihe des Opfers

So naiv begeistert ist Marc nicht. Auch die Erzählung vom Kriegsfreiwilligen ist wohl eine Legende aus späteren Zeiten, ein Versuch, Franz Marc zum Nationalhelden zu stilisieren, wie Wilfried Schoeller in seiner neuen Biographie schreibt. Die Weihe des Opfers fürs Vaterland sollte ihm seinen Platz im Pantheon bewahren, in den Jahren nach dem Krieg, als darüber gestritten wurde, was wahre deutsche Kunst sei.

Aber feststeht: Marc folgt dem Ruf des Vaterlandes ohne Zögern. Nicht als freudig erregter Pennäler, eher als Intellektueller, dessen Äußerungen und dessen Bereitschaft, den Einzelnen ohne Rücksicht dem hehren Ziel unterzuordnen, heute einigermaßen befremden. Mit Ernst und Hingabe widmet er sich dem Soldatendasein, mehr und mehr scheint er sich im Kriege zu Hause zu fühlen. Er staunt über die Wucht des deutschen Ansturms, bedauert gleichzeitig den Franzosen. Insgesamt aber bezeichnet er den Krieg aber als notwendig für Europas Läuterung: „Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut vergossen.“ Er sieht das Schlachten als „heilsamen, wenn auch grausamen Durchgang zu unseren Zielen“, wie er an seinen Künstlerfreund Wassili Kandinsky schreibt.

Entsetzlicher Preis

Marc zeigt sich so widersprüchlich wie die Avantgarde Europas insgesamt. Egal, wie gut sie vorher über alle Grenzen hinweg befreundet waren: Viele, allzu viele Intellektuelle des alten Kontinents sind von der Notwendigkeit der mörderischen Hygiene überzeugt. Der Russe Kandinsky, der vor der drohenden Internierung als feindlicher Ausländer in die Schweiz geflüchtet ist, ist von Beginn an einer der wenigen, die sich ablehnend äußern. „Ich dachte, dass für den Bau der Zukunft der Platz auf eine andere Art gesäubert wird“, schreibt er an Marc. „Der Preis für diese Säuberung ist entsetzlich.“

Der Nietzsche-Verehrer Marc leidet unter dem Krieg, baut mehr und mehr ab, äußert sich voller Abscheu und doch überzeugt, dass das Massaker sein muss. Auch um der Kunst willen. Die „Pseudokunst, mit der sich der Deutsche bislang gutmütig zufrieden gegeben hat“, werde ihr Ende finden, schreibt er in einem Beitrag für die „Vossische Zeitung“. Dabei ist er – anders als viele Kollegen – kein Nationalist. Niemals lässt sich Franz Marc von den Deutschtümlern einspannen, ihm geht es um die Neugründung Europas im Zeichen des Geistes. In Aufsätzen, die uns heute schaudern lassen, spricht er davon, dass Europa einen Bürgerkrieg führe – gegen seine eigenen üblen Säfte. Insofern sei der Krieg auch als Buße zu ertragen. Opfer sind zu tragen. Bereits im September 1914 ist sein guter Freund Macke gestorben, „der arme August“. Marc beklagt den Verlust eines Unersetzlichen. Und äußert sich mit Pathos: „Die Gesamtheit reicht sich in Treue die Hände und trägt stolz, unter Siegesklängen, den Verlust.“

Künstler in der Flugwerft

Franz Marcs Frau Maria konnte dem Töten nie einen Sinn abringen, in ihren Briefen hat sie sich manchmal erstaunt ob Marcs menschenfernen Tons gezeigt. Im Dezember 1915 schreibt ihr der zunehmend desillusionierte Marc: „Der Krieg hat sich längst selber überdauert und ist sinnlos geworden; auch die Opfer, die er fordert, sind sinnlos geworden. Etwas Gewissenloseres und Traurigeres als das nutzlose Blut, das am Isonzo vergeudet wird, lässt sich in menschliche Gehirnen nicht mehr ausdenken.“ Als gebe es nützlich vergeudetes Blut...

Marc schreibt vom Gemetzel am Fluß Isonzo, vom Krieg der Italiener gegen Österreich, wo die beiden Nachbarn insgesamt ein gutes Dutzend Schlachten austragen werden. In dem Augenblick, da er an seine Frau schreibt, weiß der bayerische Leutnant noch nicht, dass sich auch für ihn Gewaltiges vorbereitet. Er denkt immer wieder an die Kunst, an seine Ausdrucksform der Zukunft. Mit 40, 50 Jahren, so denkt er, werde er seine besten Bilder malen können. „Ich bin mit nichts in mir fertig“, schreibt er einmal. Die oberste deutsche Heeresleitung aber hat andere Pläne. Sie will den Gegner bei Verdun aus der Reserve locken. Mit einer beispiellosen Feuerwalze und dem Einsatz von Zehntausenden Soldaten beginnt sie den Angriff. „Nun sind wir mittendrin in diesem ungeheuerlichsten aller Kriegstage“, schreibt Franz Marc. Eine Woche später ist er tot, gerade mal 36 Jahre alt ist er geworden. Und die Dichterin Elske Lasker-Schüler ruft ihrem künstlerischen „Halbbruder“ ergreifende Worte nach: „Der blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, der die Tiere noch reden hörte.“

In München sitzt derweil ein gestrandeter Schweizer, der ins deutsche Heer eingezogen worden ist: Paul Klee. Auch er ist ein Blauer Reiter, Mitglied jener Gruppe, die der Krieg auseinandergerissen hat. Klee ist ein Freund Marcs, wenngleich er dessen Offiziersattitüde verabscheut. Ihm kommt, ohne dass er’s so genau weiß, der Tod Mackes und Marcs zugute. Künstler sollen, darauf haben sich Minister und Generäle im Geheimen geeinigt, nicht mehr an der Front gefährdet werden. Paul Klee darf also malen. Fern der Front, in Oberschleißheim, trägt er Tarnfarben auf. Auf Kampfflugzeuge. Bedarf danach wird noch lange herrschen.