Aber feststeht: Marc folgt dem Ruf des Vaterlandes ohne Zögern. Nicht als freudig erregter Pennäler, eher als Intellektueller, dessen Äußerungen und dessen Bereitschaft, den Einzelnen ohne Rücksicht dem hehren Ziel unterzuordnen, heute einigermaßen befremden. Mit Ernst und Hingabe widmet er sich dem Soldatendasein, mehr und mehr scheint er sich im Kriege zu Hause zu fühlen. Er staunt über die Wucht des deutschen Ansturms, bedauert gleichzeitig den Franzosen. Insgesamt aber bezeichnet er den Krieg aber als notwendig für Europas Läuterung: „Um Reinigung wird der Krieg geführt und das kranke Blut vergossen.“ Er sieht das Schlachten als „heilsamen, wenn auch grausamen Durchgang zu unseren Zielen“, wie er an seinen Künstlerfreund Wassili Kandinsky schreibt.
Entsetzlicher Preis
Marc zeigt sich so widersprüchlich wie die Avantgarde Europas insgesamt. Egal, wie gut sie vorher über alle Grenzen hinweg befreundet waren: Viele, allzu viele Intellektuelle des alten Kontinents sind von der Notwendigkeit der mörderischen Hygiene überzeugt. Der Russe Kandinsky, der vor der drohenden Internierung als feindlicher Ausländer in die Schweiz geflüchtet ist, ist von Beginn an einer der wenigen, die sich ablehnend äußern. „Ich dachte, dass für den Bau der Zukunft der Platz auf eine andere Art gesäubert wird“, schreibt er an Marc. „Der Preis für diese Säuberung ist entsetzlich.“
Der Nietzsche-Verehrer Marc leidet unter dem Krieg, baut mehr und mehr ab, äußert sich voller Abscheu und doch überzeugt, dass das Massaker sein muss. Auch um der Kunst willen. Die „Pseudokunst, mit der sich der Deutsche bislang gutmütig zufrieden gegeben hat“, werde ihr Ende finden, schreibt er in einem Beitrag für die „Vossische Zeitung“. Dabei ist er – anders als viele Kollegen – kein Nationalist. Niemals lässt sich Franz Marc von den Deutschtümlern einspannen, ihm geht es um die Neugründung Europas im Zeichen des Geistes. In Aufsätzen, die uns heute schaudern lassen, spricht er davon, dass Europa einen Bürgerkrieg führe – gegen seine eigenen üblen Säfte. Insofern sei der Krieg auch als Buße zu ertragen. Opfer sind zu tragen. Bereits im September 1914 ist sein guter Freund Macke gestorben, „der arme August“. Marc beklagt den Verlust eines Unersetzlichen. Und äußert sich mit Pathos: „Die Gesamtheit reicht sich in Treue die Hände und trägt stolz, unter Siegesklängen, den Verlust.“
Künstler in der Flugwerft
Franz Marcs Frau Maria konnte dem Töten nie einen Sinn abringen, in ihren Briefen hat sie sich manchmal erstaunt ob Marcs menschenfernen Tons gezeigt. Im Dezember 1915 schreibt ihr der zunehmend desillusionierte Marc: „Der Krieg hat sich längst selber überdauert und ist sinnlos geworden; auch die Opfer, die er fordert, sind sinnlos geworden. Etwas Gewissenloseres und Traurigeres als das nutzlose Blut, das am Isonzo vergeudet wird, lässt sich in menschliche Gehirnen nicht mehr ausdenken.“ Als gebe es nützlich vergeudetes Blut...
Marc schreibt vom Gemetzel am Fluß Isonzo, vom Krieg der Italiener gegen Österreich, wo die beiden Nachbarn insgesamt ein gutes Dutzend Schlachten austragen werden. In dem Augenblick, da er an seine Frau schreibt, weiß der bayerische Leutnant noch nicht, dass sich auch für ihn Gewaltiges vorbereitet. Er denkt immer wieder an die Kunst, an seine Ausdrucksform der Zukunft. Mit 40, 50 Jahren, so denkt er, werde er seine besten Bilder malen können. „Ich bin mit nichts in mir fertig“, schreibt er einmal. Die oberste deutsche Heeresleitung aber hat andere Pläne. Sie will den Gegner bei Verdun aus der Reserve locken. Mit einer beispiellosen Feuerwalze und dem Einsatz von Zehntausenden Soldaten beginnt sie den Angriff. „Nun sind wir mittendrin in diesem ungeheuerlichsten aller Kriegstage“, schreibt Franz Marc. Eine Woche später ist er tot, gerade mal 36 Jahre alt ist er geworden. Und die Dichterin Elske Lasker-Schüler ruft ihrem künstlerischen „Halbbruder“ ergreifende Worte nach: „Der blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, der die Tiere noch reden hörte.“
In München sitzt derweil ein gestrandeter Schweizer, der ins deutsche Heer eingezogen worden ist: Paul Klee. Auch er ist ein Blauer Reiter, Mitglied jener Gruppe, die der Krieg auseinandergerissen hat. Klee ist ein Freund Marcs, wenngleich er dessen Offiziersattitüde verabscheut. Ihm kommt, ohne dass er’s so genau weiß, der Tod Mackes und Marcs zugute. Künstler sollen, darauf haben sich Minister und Generäle im Geheimen geeinigt, nicht mehr an der Front gefährdet werden. Paul Klee darf also malen. Fern der Front, in Oberschleißheim, trägt er Tarnfarben auf. Auf Kampfflugzeuge. Bedarf danach wird noch lange herrschen.