Sein Vorsprung bei Halbzeit auf seinen großen Konkurrenten Ryoyu Kobayashi beträgt schließlich nur 1,8 Punkte, umgerechnet genau ein Meter. Der Japaner, der in der Qualifikation in Innsbruck am Dienstag mit 129 Metern den dritten Platz belegte, hat den psychologischen Vorteil, dass er die Tournee 2019 und 2022 schon zweimal gewonnen hat. Und er hat den Vorteil, dass er im Gegensatz zu Wellinger fernab der Heimat keinen Erwartungsdruck spürt und sich nicht um das Rieseninteresse der Öffentlichkeit scheren muss. Seine kurzen Antworten auf Journalistenfragen sind fast schon legendär. Auf die Nachfrage, wie sein Verhältnis zu Wellinger sei und ob er mit ihm mal einen Kaffee trinken würde, antwortete Kobayashi nur das: „Ich trinke keinen Kaffee.“
Freitag siegte zum letzten Mal
Der Japaner hat die beiden ausstehenden Tournee-Springen in Österreich jeweils schon gewonnen, während Wellinger in Innsbruck und Bischofshofen bislang „nur“ zwei dritte Plätze auf dem Weg zu Rang zwei in der Gesamtwertung im Jahr 2018 zu Buche stehen hat. Dazu gilt der Bergisel-Bakken von Innsbruck als deutsche „Schicksalsschanze“ – spätestens hier platzten in den vergangenen Jahren die deutschen Tournee-Hoffnungen. Der letzte deutsche Tagessieg gelang dort Richard Freitag 2015.
Doch nicht einmal das schlechte deutsche Tournee-Karma von Innsbruck kann Wellinger schocken: „Ich weiß, dass Markus Eisenbichler und Karl Geiger hier Gold und Silber bei der WM gewonnen haben und anschließend noch den Titel im Team geholt haben.“ Das war bei der WM 2019. Und einer der Hauptdarsteller von damals ist felsenfest davon überzeugt, dass diesmal Wellinger ganz oben stehen wird. „Andi wird diese Tournee rocken. Er ist einfach momentan so entspannt drauf“, sagte Geiger.
Nach harten Jahren mit schweren Verletzungen vom Kreuzbandriss bis zum Schlüsselbeinbruch hat sich das „intuitive Skisprung-Ausnahmetalent Wellinger“ (Horngacher) das perfekte Erfolgspaket erarbeitet. Zur Topform kommen Top-Sprungski der neuen Marke Van Deer, der Firma von Alpin-Legende Marcel Hirscher. „Er ist die Frohnatur mit lockeren Sprüchen geblieben, die er schon immer war. Aber gleichzeitig bleibt Andi jetzt bei sich, rastet nicht aus. Die Verletzung hat ihn demütig gemacht, er kann das Fliegen noch viel mehr schätzen“, sagte der letzte deutsche Tournee-Gesamtsieger Hannawald und kam zu dem Schluss: „Ich traue ihm deshalb zu, dass er durchzieht bei dieser Tournee. Es wird auch Zeit, dass ich einen Nachfolger bekomme.“