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Der traumatisierte Philosoph
Am Anfang steht ein Rosenkrieg. Weil sich Michel und Marcelle Navratil nicht einigen können, wer die beiden Söhne Michel und Edmond bekommt, entführt der Vater die Kinder und bucht unter falschem Namen Tickets für die „Titanic“, um in den USA ein neues Leben zu beginnen. Der Vater geht mit dem Schiff unter, die Kinder gehen mit dem letzten Rettungsboot von Bord und als „Titanic“-Waisen in die Geschichte ein. Erst als ihre Mutter in Marseille eine Zeitungsnotiz über die rätselhaften Buben liest, die Fragen immer höflich, aber stets mit „Oui“ beantworten, endet ihre Odyssee. Edmond wird Architekt, Michel Philosoph. „Ich bin im Alter von vier Jahren gestorben“, erklärt er rückblickend. Die Menschen, die lebend rauskamen, hätten sich das oft ergaunert oder seien aggressiv gewesen: „Die Ehrlichen hatten keine Chance.“
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„Frauen und Kinder zuerst“
Charles Lightoller ist Zweiter Offizier und ranghöchster Überlebender des Unglücks. Er überwacht das Absetzen der Rettungsboote auf Backbord, weist unerbittlich alle männlichen Passagiere ab, zuletzt mit Warnschüssen. Stattdessen schickt er halb volle Boote los, was einen Fehler des Kapitäns offenbart: Der hatte alle Frauen und Kinder nach Backbord geschickt. Nur wer sitzt dann in den Booten auf Steuerbord? Lightoller überlebt auf einem kieloben treibenden Rettungsboot, geht als Letzter an Bord der „Carpathia“. Während des Ersten Weltkriegs befehligt er den Zerstörer „HMS Garry“ und versenkt mit einem Rammstoß ein deutsches U-Boot. Als alliierte Truppen im Zweiten Weltkrieg in Dünkirchen eingekesselt werden, holt Lightoller mit seiner Jacht „Sundowner“ 127 Soldaten über den Kanal. Platz ist eigentlich nur für 21.
Vom Atlantik nach Wimbledon
Das Bootsdeck ist bereits überflutet, als Richard Norris Williams ins Wasser springt. Sein Vater wird von einem Schornstein erschlagen, doch der junge Tennisspieler aus Genf klammert sich an ein vollgelaufenes Rettungsboot, wird reingezogen und harrt stundenlang bis zur Hüfte im eiskalten Wasser aus. Nur elf der 30 Passagiere in Faltboot A überstehen diese Tortur. Als die „Carpathia“ die Überlebenden an Bord nimmt, sind seine Beine lila. Der Bordarzt empfiehlt die Amputation, doch Williams weigert sich. „Die brauche ich noch“, erklärt er und bestreitet Wochen später wieder Turniere, wo er auch gegen Karl Behr spielt, ebenfalls ein Überlebender der „Titanic“. Williams gewinnt 1914 und 1916 die US Open, triumphiert 1920 in Wimbledon im Doppel, holt 1924 Olympia-Gold im Mixed. Auch den Daviscup gewinnt er, fünf Mal.
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