Aber wie viel an dem Teig ist wirklich 150 Jahre alt? Die Mikroorganismen seien nicht mehr dieselben wie damals, erklärte Karl de Smedt in einem BBC-Podcast. Man müsse sich die Organismen vorstellen wie Menschen in einer alten Stadt: Die Leute, die bei der Gründung dort lebten, sind längst tot, aber ein paar ihrer Familien wohnen immer noch dort.
Ich bezweifle, dass Siggi auch so alt werden wird. Manchmal fremdeln wir ein wenig. Vorteig aus Sauerteig machen, gehen lassen, Hauptteig machen, gehen lassen, durchkneten, gehen lassen – das alles fordert viel Geduld. Die Überreste verkleben den Abfluss, die Reinigungsbürste und auch sonst alles in der Küche. Die Kruste der Brote wird gerne zu hart, meine Freundin hat sich schon vier Mal (!) ihre Zahnretainer daran ausgebissen und ist dadurch zur Stammkundin beim Kieferorthopäden geworden. Siggi wohnt bei uns, aber ein Familienmitglied ist er noch nicht.
Siggi sorgt für Verzweiflung – und Glück
Allerdings gibt es auch diese Glücksmomente. Wenn der Sauerteig so richtig aufgeht, obwohl er zuletzt richtig schwach auf der Brust war, auch wenn du nicht wirklich weißt, warum. Wenn der Ofen eingeschaltet ist und die Wohnung sich mit dem Duft von Brot füllt. Wenn man den Laib aus dem Ofen nimmt und sich das Messer mit sanftem Krachen durch die Kruste arbeitet. Wenn die noch dampfende Brotscheibe vor dir liegt und du kaum erwarten kannst, mal reinzubeißen. Reinbeißen, genau das werde ich jetzt machen - und dann die Küche putzen.
P.S.: Vielleicht hast du dich gefragt, was Sauerteig eigentlich mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Tatsächlich gibt es dazu kaum Informationen. Du sparst natürlich viel Verpackung, weil du nur Mehl kaufen musst. Dafür musst du eventuell auch Sauerteig wegkippen, wenn du ihn fütterst und damit vermehrst, aber keine Zeit zum Backen hast. Auch sind die Backöfen daheim wohl in der Regel weniger energieeffektiv als jene in den Bäckereien, die viele Brotlaibe gleichzeitig backen.
Das alles dürfte nur minimale Unterschiede machen, aber eines kann ich dir sagen: Seitdem ich mein eigenes Sauerteig-Brot backe, mag ich kein anderes mehr. Ich liebe Bäckereien, aber einen ganzen Laib habe ich dort seit Wochen nicht mehr gekauft – und mich entspannt wenig so sehr wie das Brotbacken.
Florian Gann versucht, Nachhaltigkeit in seinen Alltag einzubauen. So ist er auch zum Brotbacken gekommen. Er hielt sich für gänzlich talentfrei – und kriegt es nun doch irgendwie hin.