Über Umweltminister Altmaier: "Der Minister redet von der Strompreisbremse, meint aber eine Ausbaubremse" Kurier-Interview mit Grünen-Chefin Claudia Roth: „Wir brauchen Netze“

Grünen-Chefin Claudia Roth beim Interview mit Kurier-Chefredakteur Joachim Braun (rechts) und Redakteur Elmar Schatz (links).Foto: Andreas Harbach Foto: red

Was tun, wenn Bürger gegen Stromautobahnen und Verspargelung der Landschaft protestieren? Grünen-Chefin Claudia Roth, die am Samstag in Bayreuth Wahlkampf gemacht hat, versucht im Kurier-Interview darauf Antwort zu geben.

 
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Frau Roth, Bundesumweltminister Altmaier hat am Freitag auf unsere Frage nach der Stromautobahn gesagt: „Inzwischen hat auch Claudia Roth verstanden, dass man nicht jedes Windrad mit Blumengirlanden begrüßen, sich aber dann beim Leitungsbau in die Büsche schlagen kann.“ Wo sind die Girlanden?
Claudia Roth: Die Blumengirlanden gefallen mir. Aber im Ernst: Offenbar muss sich Herr Altmaier schon einiges an Schmarrn einfallen lassen, um von seinem Unvermögen als Umweltminister abzulenken. Mit der Energiewende kann sich Herr Altmaier tatsächlich nicht profilieren, die hat er gemeinsam mit Herrn Rösler  (Wirtschaftsminister/die Redaktion) ja systematisch hintertrieben und an die Wand gefahren. Dieser Umweltminister versucht, erneuerbare Energien auszubremsen, redet von der Strompreisbremse, meint aber in Wahrheit eine Ausbaubremse. Statt sich endlich wirklich um einen Masterplan für die Energiewende zu kümmern, besucht er lieber den Affen von Justin Bieber im Münchner Tierpark Hellabrunn. Und dass wir Grüne beim Leitungsbau längst Vorschläge vorgelegt haben, wie man dafür auch wirkliche Akzeptanz bei der Bevölkerung schafft, scheint ihm bei seinen wichtigen Terminen entgangen zu sein.

Aber das ändert nichts daran, dass die Menschen, gerade auch in Oberfranken, Sorge haben wegen dem, was gerade passiert: Zum einen die Verspargelung der Landschaft und zum anderen die Stromautobahnen, von denen eine auch die Fränkische Schweiz durchschneidet. Dagegen gibt es schon erste Widerstände.
Roth: Genau deswegen sind wir diejenigen, die mit den Menschen einen Dialog führen und fragen: Was wollen wir wirklich für unsere Zukunft? Wir sind doch mittendrin im Klimawandel. Wir haben es gesehen in diesem Sommer; es gab wieder mal eine Jahrhundertflut. Wir müssen also was tun gegen den Klimawandel. Wir müssen weg vom Öl, von den fossilen Brennstoffen. Wir müssen was tun, um sicher aus der Atomkraft auszusteigen. In meiner Heimat in Schwaben steht das größte deutsche Atomkraftwerk in Gundremmingen, und da wird schon wieder über eine Laufzeitverlängerung gesprochen. Und als Ersatz eignet sich ganz sicher nicht die Kohle. Unsere Noch-Regierung will ja 18 neue Kohlekraftwerke bauen, anstatt in die Erneuerbaren zu investieren. Aber selbst das modernste, neueste Kohlekraftwerk ist der größte Klimakiller.

So weit alles klar, aber das war nicht die Frage.
Roth: Die bayerische Landesregierung hat alles dafür getan, dass hier möglichst wenig Windräder stehen. Gerade habe ich erfahren, dass der von (Ministerpräsident) Seehofer geforderte Abstand zur Wohnbebauung so groß ist, dass man überhaupt kein Windrad in Bayern genehmigen könnte. Deshalb wurde das jetzt heimlich, still und leise beim Bundesrat einkassiert. Selbst bei einer stärkeren Regionalisierung der Energieversorgung brauchen wir Netze, um den Strom vom Norden nach Süden zu transportieren – und wir brauchen Speichermöglichkeiten. Das darf aber nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden, sondern mit ihnen zusammen. Die Behauptung, es seien immer die Grünen vor Ort oder die Bürgerinitiativen, die den Netzausbau verhindern, ist falsch. Der Netzausbau hängt an Tennet, dieser halbstaatlichen Firma aus den Niederlanden ...

Wissen Sie, wo diese Firma ihren Sitz hat?
Roth: Die deutsche Tochter?

Hier in Bayreuth.
Roth: Wirklich? Das wusste ich gar nicht.

Die sind aus Eon hervorgegangen.
Roth: Ja, Tennet hat den Netzausbau in der Hand – und ist offenbar überfordert mit der Aufgabe. Aber natürlich müssen wir dort, wo es Konflikte gibt, mit den Menschen reden und versuchen, einen möglichst breiten Konsens zu finden.

Was halten Sie von Biogasanlagen, viele sind auch in unserer Region gebaut worden?
Roth: Biogas war eine richtige Überlegung. Wir Grüne wollten aber, dass die Anlagen aus Resten gespeist werden. Doch nun wird dafür eigens Mais angebaut. Da braucht es Grenzen und klare Regeln, weil das die Böden auslaugt und die Landschaft zerstört. Und die bäuerliche Landwirtschaft.

Wie wollen Sie die Strompreise bezahlbar halten?
Roth: Wir Grüne haben gesagt, energieintensive, international tätige Unternehmen sollen Ausnahmeregelungen bekommen, weil sie sonst massiv benachteiligt wären gegenüber anderen Unternehmen im globalen Wettbewerb. Da ging es um ein paar Hunderte. In der Zwischenzeit reden wir von an die dreitausend Ausnahmen – für Skilifte, Schlachtbetriebe und Rechenzentren. Jürgen Trittin hat mir erzählt, in seinem Wahlkreis in Göttingen ist sogar C&A dabei. Dadurch wird die Umlage mit sieben Milliarden Euro sehr viel teurer. Wir wollen davon vier Milliarden wieder zurückholen, indem wir nicht gerechtfertigte Ausnahmen streichen. Das zweite Problem ist, dass Schwarz-Gelb durch massive Beeinflussung im Europaparlament aktiv dazu beigetragen hat, den CO2-Handel zu ruinieren. Und der Braunkohleanteil steigt wieder. Wir Grüne stellen uns aber nicht hin und sagen: Wählt Grün und dann wird die Energie billig. Aber das können auch alle anderen nicht sagen, denn am Ende kosten uns Atom und Kohle sehr viel mehr.

Ganz konkret: Was wollen die Grünen tun, um den Strompreis zu bremsen?
Roth: Wir wollen den Strompreis fairer und ehrlicher machen, indem wir die ungerechtfertigten Vergünstigungen für Unternehmen streichen. So können wir vier Milliarden zurückgeben an die Verbraucher. Das bedeutet ungefähr 50 Euro für einen kleinen Haushalt. Das ist nicht die Welt, aber immerhin etwas. Alle zahlen nämlich für diese Ausnahmen, die reine Lobby-Geschenke aus Staatsgeld sind.

Kann es überhaupt gelingen, die Kernenergie komplett abzuschaffen?
Roth: Ja, wieso denn nicht. Das ist eine politische Frage, ob wir alle gemeinsam unsere Anstrengungen in Richtung Energiewende lenken. Dann klappt das auch. Und die Menschen in Deutschland wollen das mehrheitlich auch. Und schauen Sie doch nur mal nach Fukushima: Dort dauert die Katastrophe an, dort fließen täglich Hunderte Tonnen radioaktives Wasser ins Meer, und auch die Auswirkungen von Tschernobyl sind ja bis heute noch spürbar. In ihrer Abkehr von der Atomkraft ist die Bundesregierung aber einfach nicht glaubwürdig: Die Atomtechnologie wird ins Ausland exportiert, sie erteilt Hermes-Bürgschaften für den Bau von neuen Atomkraftwerken in aller Welt. Deutschland braucht eine Regierung, die es ernst meint mit dem Atomausstieg und den erneuerbaren Energien.

Herr Altmaier hat kritisch angemerkt, dass 160 Prozent der geplanten Windkraftanlagen für dieses Jahr schon genehmigt worden seien; sehen Sie das auch als Problem an?
Roth: Stellen Sie sich vor, ein Umweltminister, der sich darüber ärgert, dass der Ausbau klimafreundlicher Energiequellen so schnell vorankommt. Das ist doch eine Farce! Und genauso der Noch-Wirtschaftsminister. Die beiden, Altmaier und Rösler, machen in hohem Maße eine standortgefährdende Politik. Wir hingegen setzen sehr stark auf dezentrale Versorgungskonzepte.

Woran es fehlt, sind Energiespeicher. Gegen die meisten Projekte, ob in Oberbayern am Jochberg oder im Schwarzwald, gibt es große Widerstände, auch von Naturschützern. Wie wollen Sie diesen Widerspruch lösen?
Roth: Ja, wir brauchen mehr Speicherkapazitäten. Dafür muss von Anfang an, wie es jetzt in Baden-Württemberg versucht wird, zusammen mit den Bürgern ein möglichst breiter Konsens gesucht werden. Aber natürlich liegt es auch in der Natur von Kompromissen, dass nicht alle Seiten immer zu hundert Prozent das bekommen, was sie wollen. Aber wenn wir sagen: Wir wollen diese Energiewende, weil wir nur so eine sichere und nachhaltige Energieversorgung garantieren können, dann müssen wir auf die Kompromissfähigkeit der Menschen vertrauen.

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